Bekenntnisse des Vatikan

Die Dialektik des Hl. Stuhls

Mit seinem Schuldbekenntnis hat Johannes Paul II. urbi et orbi überrascht: Die Funktionäre haben mitunter geirrt, die Partei niemals.

Im Jahr 1784 bereiste ein Franzose das Rheinland. Über seinen Aufenthalt in Köln berichtete er seinem Bruder brieflich nach Paris. Verwundert äußerte er sich über den Berufsstand der Pastoren: »Sie bestehen hier aus groben, ungehobelten Klötzen, über und über mit Tobak und dem Ausfluss der Nase beschmiert, die im dicken Tobakdampf in den offenen Bierhäusern mit den Bauern um Pfennige auf dem Brett oder mit Karten spielten. Nirgends sah ich den schwarzen Stand in einer so verächtlichen Lage als hier.« Gegen den im Klerus verbreiteten Hang zum öffentlichen und übermäßigen Alkoholkonsum schritten seinerzeit die Bischöfe des Öfteren energisch ein. Schon damals waren die Kirchenchefs peinlich darauf bedacht, der Spottlust und der Verachtung kein Ziel zu bieten.

Ähnliche Sorgen haben den Papst nun dazu getrieben, sich vor aller Welt für die »Verfehlungen« des Katholizismus zu entschuldigen. Bereits 1994 hatte Johannes Paul II. erklärt, die Kirche könne »nicht die Schwelle des neuen Jahrtausends überschreiten, ohne ihre Kinder dazu anzuhalten, sich durch Reue von Irrungen, Treulosigkeiten, Inkonsequenzen und Verspätungen zu reinigen.« Diese Ankündigung führte zu Erschütterungen unter katholischen Ultra-Fundamentalisten, dennoch wurde in den Folgejahren ein Dokument erarbeitet, das als Grundlage für die am vergangenen Sonntag ergangene päpstliche Abbitte diente. Urheber der Schrift »Erinnern und Versöhnen. Die Kirche und die Verfehlungen ihrer Vergangenheit« ist eine internationale Theologenkommission, redigiert wurde der Text von der Glaubenskongregation im Vatikan, deren Chef der deutsche Kardinal Joseph Ratzinger ist.

Das Papier enthält alle denkbaren Allgemeinplätze über das Erinnern, Versöhnen, Bekennen und Tolerieren; die katholische Mordbrennerei während der Kreuzzüge, der Inquisition und der Kolonialmission heißt nun selbstkritisch »Anwendung von Gewalt im Dienst an der Wahrheit«. Guter Zweck und falsche Mittel. Besonders bedauert werden in dem Bekenntnispapier ausgerechnet zwei Glücksfälle der Kirchengeschichte, die die Destruktionsmacht der Päpste einschränkten: Man bittet um Vergebung für die von der katholischen Kirche mitverursachte Abspaltung der Orthodoxen vor ungefähr tausend Jahren und gibt reuig zu, dass der Klerus am Aufkommen des Atheismus zum großen Teil selbst schuld sei.

Gleichzeitig wird die Christenheit in dem Ratzinger-Dokument noch einmal nachdrücklich an ihre Feinde erinnert. Gefährlich etwa sei eine »fundamentalistische Kritik, der es um den Aufweis geht, dass die Kirche nicht von Gott kommen kann und dass sie im innersten Wesen korrumpiert« sei. »Von dieser Seite« werde der katholischen Kirche »eine aus immer den gleichen Punkten bestehende Kurzlitanei vorgehalten: Kreuzzüge - Inquisition - Hexenwahn - Wissenschaftsfeindlichkeit - Intoleranz.« Weiter klagt die Glaubenskongregation über die »gobalen Vorwürfe und Schuldzuweisungen»; diese seien Ergebnis einer Tradition der Religionskritik, die sich im »Rationalismus der Aufklärung, der antikirchlichen Propaganda des Liberalismus sowie der totalitären Ideologien des Faschismus, Nationalsozialismus und Kommunismus« etabliert habe, wobei das glatt gelogen ist. Mit rechten Autoritäten hat sich die Kirche eigentlich immer ganz gut arrangiert.

Weniger konkret als in der Benennung ihrer (vermeintlichen) Feinde ist die Kirche, wo es um das Verhältnis zwischen Juden und Christen geht. Das Papier der Theologenkommission führt aus, hier sei »eine besondere Gewissenserforschung unausweichlich«, und verweist auf eine Erklärung, die die Päpstliche Kommission für die Beziehung zu den Juden 1998 herausgegeben hatte. Diese Stellungnahme war seinerzeit heftig kritisiert worden, weil sie die unhaltbare Behauptung enthielt, der Antisemitismus der Nazis habe »seine Wurzeln außerhalb des Christentums«. In seiner Ansprache vom vergangenen Sonntag blieb der Papst ähnlich vage und entschuldigte sich global für all die Verachtung, Feindschaft und Verfolgung, die Juden von Christen jemals erfahren haben. Bereits Ende letzter Woche hatte der Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Michel Friedman, kritisiert, die Erklärung des Papstes sei für die Juden »halbherzig und enttäuschend«, die offizielle katholische Kirche habe während des Dritten Reiches außerordentlich versagt.

Der Antisemitismus ist ein durchgängiges Motiv in der Geschichte des Christentums: Zu Beginn des ersten Kreuzzuges gegen den Islam erschlugen die katholischen Ritter im Rheinland, in Regensburg und in Prag zahlreiche Juden, während des gesamten Mittelalters und der Inquisition kam es immer wieder, insbesondere in Spanien, zu antisemitischen Pogromen. Bis 1960 wurde in den katholischen Fürbitten zu den Karfreitags-Gottesdiensten für die »treulosen Juden« gebetet.

Gegen die Nazi-Herrschaft haben einzelne Katholiken opponiert, nicht aber die offizielle Kirche. Im Gegenteil. Kurz nach Hitlers Machtübernahme hatten die deutschen Bischöfe im Einklang mit dem Vatikan verkündet, es falle den Katholiken »keineswegs schwer, die neue starke Betonung der Autorität im deutschen Staatswesen zu würdigen, und uns ihr mit jener Bereitschaft zu unterwerfen, die sich nicht nur als eine natürliche Tugend, sondern wiederum als eine übernatürliche kennzeichnet, weil wir in jeder menschlichen Obrigkeit einen Abglanz der göttlichen Herrschaft und eine Teilnahme an der ewigen Autorität Gottes erblicken«.

Nach dem Zweiten Krieg verhalf der Vatikan zahlreichen hochrangigen Nazi-Funktionären über die so genannte Rattenlinie zur Flucht nach Übersee. Die bis zur Kollaboration reichende Hinnahme der Naziherrschaft entsprang dabei keineswegs den Konventionen der Diplomatie oder einer pazifistisch angeleiteten Unparteilichkeit der Kurie. Man wusste durchaus zwischen Freund und Feind zu unterscheiden. Bereits 1937 hatte Pius XII., damals noch Staatssekretär, der Nazi-Führung versichert, der Heilige Stuhl billige auch die Anwendung »äußerer Machtmittel gegen die bolschewistische Gefahr«.

Auch sonst wird in den sorgfältig gedrechselten Formulierungen des Papstes kein einziges konkretes Verbrechen benannt. Das explizite Bekenntnis zur institutionellen Verantwortung fehlt, der Papst spricht lediglich über die Schuld von »Söhnen der Kirche«. Das hat einen einfachen Grund. Eine Institution, die einerseits ein Monopol auf die Wahrheit beansprucht und als soziales Gefüge nach dem vordemokratisch-feudalen Prinzip einer obersten Autorität funktioniert, würde zusammenbrechen, sobald dieser obersten Autorität im historischen Rückblick die Unfehlbarkeit abgesprochen würde. Deshalb haben sich der Kirche gewogene Historiker auch rückhaltlos einer Methode der Geschichtsforschung verschrieben, die immerzu versucht, vergangene Verbrechen im Zusammenhang der jeweiligen Zeitumstände zu »verstehen«.

Entsprechend äußerte sich letzte Woche der Historiker Konrad Repgen im christlichen Rheinischen Merkur zum Thema »Kirche und Juden»: Hier sei »nicht nur nach den involvierten Normen und Institutionen zu fragen, sondern es ist mehr noch der Blick auf die Mentalitäten zu richten. In diesem Punkt aber gerät das Fragen an ein Ende, sobald die dafür geeigneten und eindeutigen Quellen fehlen«, wie es zum Beispiel im Blick auf das Mittelalter und die frühe Neuzeit der Fall sei. So bequem immunisiert der Historismus bei Bedarf jede Episode der Geschichte gegen das Urteil. Was bleibt, ist meistens die tragische Verstrickung der handelnden Personen.

Die Abbitte wurde vorab vielfach als halbherzig kritisiert. Vatikan-Kenner behaupten, der Papst hätte gerne etwas klarer und entschiedener formuliert, er sei allerdings von den Fundamentalisten um Ratzinger gebremst worden. Solche Überlegungen stellt nur an, wer der katholischen Kirche etwas Unmögliches, nämlich ein Potenzial zum Fortschritt abgewinnen will. Tatsächlich handelt es sich um eine eingespielte Arbeitsteilung. Der aus Polen stammende Papst, dem heute allseits das Verdienst zugeschrieben wird, er habe u.a. durch die Unterstützung der Solidarnosc-Gewerkschaft zum Zusammenbruch des Kommunismus beigetragen, ist zuständig für Politik und Öffentlichkeitsarbeit; deshalb reist er auch so viel herum. Ratzinger und seine Leute, deren Glaubenkongregation offiziell als Nachfolge der Inquisitionsbehörde fungiert, wachen darüber, dass die Bemühungen von Johannes Paul II. um eine attraktivere Kirche nicht zu einer ideologischen Diffusion führen.

Den Expansionskurs des Papstes trägt die Programm-Abteilung aber mit. In einem Gespräch mit der FAZ äußerte Ratzinger in der vergangenen Woche, wenn die Kirche »neue Kulturen, neue Generationen, eine neue Epoche erreichen will«, müsse sie unbedingt darauf achten, »ein gehöriges Maß an innerer Evidenz des Glaubens« zu bewahren.

Ihren Zweck hat die päpstliche Beichte trotzdem erfüllt. Die Hoffnung auf neuerliche Reformationen des Aberglaubens ist lebendiger denn je. In der Zeit etwa schrieb exemplarisch Robert Leicht: »In dem Schuldbekenntnis steckt eine gewaltige Sprengkraft.« Dem Heiligen Geist wird sie nichts anhaben können.