Die Berliner Band »Frigg«

Die Hosen der Matrosen

Musikalisch hat das Brecht-Jahr versagt, findet die Berliner Band Frigg und lässt Brecht nachspielen.

Wenn die Vereinnahmung linker Ikonen durch die Festkomitees der Berliner Republik so weitergeht, erleben wir zum 150. Geburtstag von Rosa Luxemburg die Vertonung ihrer Schriften durch Anke Engelke. Das Brecht-Jubiläum im vorletzten Jahr ließ jedenfalls das Allerschlimmste ahnen.

Nun erscheint auf dem New Yorker Knitting-Factory-Label eine Brecht-Platte der Berliner Band Frigg. Ist das nun das Nachspiel des Brecht-Jubiläums, wo jeder Feuilletonist, jeder Schlagersänger, jeder Skispringer sich zum Thema Brecht auskübeln konnte? Machen sich Berufsmusiker überhaupt Gedanken über sowas? Musiker, die zum größten Teil an Musikhochschulen einen Beruf gelernt haben, also sich eine Existenz zwischen Clubmucken, Theatermusik und Studiojobs aufgebaut haben, und mit dem kleinen Budget, das ihnen für einigermaßen autonome Kreativität zur Verfügung steht, streng haushalten müssen. Schließlich haben sich Frigg in einer Sparte des Marktes zwischen Jazz und ernster Musik sozialisiert, in der ausverkaufte 2 000er-Auflagen als wirtschaftliche Erfolge gewertet werden.

Gibt es in einer Situation der Beliebigkeit, in die die Brecht-Werke zusehends geraten sind, überhaupt noch die Möglichkeit, Statements von Gewicht zu machen? Frigg benutzten einen Umweg. Statt eine nie gehörte Facette der »Dreigroschenoper« herauszukitzeln, konzentrierten sich der Gitarrist und Komponist Bert Wrede bei der Auswahl des Textmaterials auf Aufzeichnungen aus den Zwanzigern. »Ich habe mit Bernd Weissig schon früher angefangen, Stücke von Brecht zu spielen, die eine solche Seeräuber- und Abenteuer-Atmosphäre hatten. Später wurde er ja sozusagen institutionalisiert, auch von der DDR. Davon konnte 1920 noch keine Rede sein. Es sind auch unter anderem gar keine offiziell vorliegenden Gedichte, sondern zum Teil Tagebuchaufzeichnungen mit Gedichtcharakter.«

Wenn es darum geht, eine Linie vom hedonistischen zum politischen Brecht herzustellen, will sich aber keiner der Musiker so recht festlegen. Da scheint jeder seine eigene Position zu haben: Bei Bert Wrede gehörte Brecht zum Pflichtprogramm des Hochschullehrplans, bei Bassist Horst Nonnenmacher politisch zum guten Ton, z.B. in der Berliner Theatermanufaktur und der Schaubühne - heute das Theater am Halleschen Ufer. Und Schluss. Einigen dagegen können sich alle auf den - eher formalistischen - Einwand, die musikalische Hommage des Brecht-Jahres sei doch sehr berechenbar ausgefallen. Bert Wrede: »Was es in diesem Brecht-Jahr wirklich wenig gab, waren Leute, die das Thema musikalisch zeitgemäß behandelt haben. Der einzige, der neue Songs gemacht hat, war meines Wissens tatsächlich Konstantin Wecker. Alle anderen haben die alten Lieder gespielt.«

Und das Anstimmen neuer Lieder stand auf der Frigg-Agenda immer sehr weit oben. Während die Kommilitonen sich noch durch das 1989 an der Eisler-Schule standardisierte Fusions-Programm gniedelten, ließ Wrede sich vom Sound der New Yorker Downtown-Musiker um John Zorn anfixen: »Wir waren zu der Zeit ungefähr einmal im Monat auf ein russisches Festival eingeladen. Dort haben wir eine Wiener Band kennengelernt, Tonart, die uns auch nach Wien eingeladen haben. Und deren Manager hat mir mal eine Cassette überspielt mit zwei Platten drauf: Die eine war 'News for Lulu', mit Bill Frisell, John Zorn und George Lewis. Die andere war Naked City. Ich war komplett von den Socken, weil das Musik war, wie ich sie schon immer geil fand, ohne dass mir einfiel, sie hier in Berlin zu machen. Das hat mir einen Ruck gegeben. Solche Musik hatte ich noch nie gehört.«

Damit ist die mittlerweile zur Produktion einer Frigg-CD üblich gewordene Fahrt nach New York sowohl eine Reise ins Ungewisse wie auch in die musikalische Heimat - und sie ist mit allerhand Geschichten gespickt, über die Frigg endlos erzählen können. Ob die Zapping-Ästhetik John Zorns wirklich noch zeitgemäß ist, darüber lässt sich steiten, auch wenn die Reizüberflutung, die auf »Naked City« in den späten Achtzigern bereits zum Anlass für die 30-Styles-in 2-Minuten-Ästhetik wurde, mit allen gesellschaftlichen Effekten erst im wiedervereinigten Deutschland der Neunziger endgültig griffen. Um die Verarbeitung dieses Aspekts machen sich allerdings mittlerweile eher Drum'n'Bass produzierende Vorstädter verdient. Und auch Wrede und Hilken setzen seit Neuestem mit ihrem eigenen Projekt Strit Breakbeats auf die Welt improvisierter Musik. Ohne dabei den bürgerlichen Sphären zu entkommen, in denen Bill-Evans-Platten genauso ihren Platz haben wie Kochbücher von Roger Willemsen und Suhrkamp-Gedichtbände von Albert Ostermaier, als dessen Soundtrack eine Strit-Produktion eben erschien.

Die Brecht-Platte ist allerdings - es wird Zeit, das anzumerken - besser, als die Bedingungen ihres Zustandekommens dies ahnen lassen. Bei der Auswahl der Sprecher und SängerInnen wurde darauf geachtet, dass dies kein deutsches Projekt wird; an Stelle von Muttersprachlern wurde ein ungleiches Gespann internationaler Sprachdekonstruktivisten engagiert: Der britische Extremvokalist Phil Minton kann im Alleingang die Tonkulisse einer Menschenmenge simulieren. Die israelische Sängerin Meira Asher, die zornige Elektro/Poetry-Platten einspielt und kein Wort Deutsch spricht, erwies sich als Idealbesetzung für Zeilen wie »Die blauen Hosen der Matrosen sind international.« Eine lustige, harte und immer überraschende Brecht-Wunderwelt spannen Frigg auf, in der in jedem Moment ein neuer Charakter um die Gassenecke schlingert und neue Verbindungen in die Party wirft. Die Texte spannen für das Szenario den Rahmen auf, den es immer wieder zu sprengen gilt. Was mal gelingt, mal nicht, aber der Kampf darum ist der Prozess, und dabei knallt's eben auch ordentlich. Aber bei so versierten MusikerInnen ist eine solche Knallerei mitunter auch ein Genuss.

Ähnlich wie mit dem durch Brecht gesteckten Rahmen verhält es sich dabei mit dem Erbe der Komponisten Hanns Eisler und Kurt Weill, die respektvoll zitiert werden. Als weitere Paten können der Sampler »Lost in the Stars«, auf dem Van Dyke Parks, Todd Rundgren, Marianne Faithful und Charlie Haden zumindest in den Arrangements den üblichen Rahmen hinter sich ließen, und John Zorns Morricone-Bearbeitungen aus den Regalen gezerrt werden. Wer sich in dieser Gesellschaft wohlfühlt, wird in Frigg-Brecht einen würdigen Verwandten in die Arme schließen können.

Frigg: »Brecht«. Knitting Factory/Zomba