Sigill heißt jetzt Zinnober

Stirb und Werde

Das rechtsextreme Dresdner Musikmagazin Sigill feiert die 20. Ausgabe und macht den Laden dicht. Doch unter neuem Namen geht es weiter.

Zwanzig Ausgaben von Sigill sind Herausgeber Stephan Pockrandt genug. Von einem Scheitern kann bei dem Magazin, das sich bisher vor allem an der politischen Vereinnahmung der DarkwaveóSzene versucht hat, aber kaum die Rede sein. Aus Sigill wird künftig Zinnober.

Schon jetzt wirbt die SigillóGarde für das Nachfolgeprojekt, ein »Kulturmagazin« für extreme, okkulte, reaktionäre und obskure Positionen, wie sie auch in Sigill vertreten wurden. Zukünftig will man sich aber weniger um Darkwave kümmern ó der Schwerpunkt soll auf esoterischóheidnischen Themen liegen. Der Name ist Programm: Zinnober ist ein Begriff aus der Alchemie und steht für die Polarität von Feuer und Eis, beides sind zentrale Elemente von naturreligiösen Vorstellungen. Ideologisch setzen die Macher auf Kontinuität: »Der Weg des Zinnober« ó so heißt die Autobiografie des italienischen Faschisten Julius Evola, der als Lieblingstheoretiker der Dresdner Kulturkämpfer gilt.

Das Blatt will aber nicht nur Zinnober sein, sondern auch Sigill bleiben: Pockrandts Magazin hat sich vor allem als Sprachrohr für die »konservative Kulturavantgarde Europas« verstanden. Der Begriff »konservativ« bezieht sich auf die Konservativen Revolutionäre der Weimarer Zeit sowie auf die Theoretiker des italienischen und französischen Faschismus.

Das nationalrevolutionäre IdeologieóGemisch ist bei Sigill nicht nur durch eine breite Rezeption von esoterischen Vorstellungen ergänzt und mit naturreligiösóheidnischen Themen angereichert worden. Ästhetisch sah man sich vor allem dem »Schönen Schein des Dritten Reichs« verpflichet, ausführlich wurden Werke von NSóKünstlern besprochen.

Doch in erster Linie fungierte das Blatt als Kulturmagazin einer modernisierten Rechten: Sigill hatte als Zeitschrift für die GothicóTechnoóWaveóAvantgarde begonnen und sich bei der Berichterstattung auf den rechtsextremen Teil dieser Subkultur konzentriert: NeoóFolkóBands wie Death In June oder Sol Invictus besprach man ebenso wie die esoterischen Klänge des österreichischen Musikprojektes Allerseelen und die IndustrialóCollagen von Blood Axis oder NON.

Ästhetisch abgerundet wurden die Ausgaben gerne mit Aufsätzen über Dichter und Denker der europäischen Rechten, wie zum Beispiel den Nationalisten und Vordenker des italienischen Faschismus Gabriele D'Annunzio und den norwegischen HitleróVerehrer Knut Hamsun. Die SigillóReportagen über okkulte Gruppierungen waren überdies immer wieder für tiefe Einblicke in die Abgründe des esoterischen Faschismus gut.

Zu den Autoren des Musikmagazins zählt neben Pockrandt und Gero Mielczorek, dem Schriftleiter des Magazins, der Europa Vorn óAutor Martin Schwarz, der auch im NPDóOrgan Deutsche Stimme veröffentlicht. Daneben finden sich Beiträge von Stefan Björn Ulbrich, der seine Karriere bei der mittlerweile verbotenen WikingóJugend begonnen hatte. Heute führt Ulbrich den ArunóVerlag, der hauptsächlich Schriften aus dem heidnischen Spektrum vertreibt. Auch SigillóChef Pockrandt arbeitet seit kurzem bei Arun.

Andere SigillóAutoren kommen direkt aus der Musikszene: Gerhard Petak alias Kadmon von der Formation Allerseelen, der auch für die geschichtsrevisionistischen Staatsbriefe schreibt und Jens Hermann, der Sigill verlassen hat, um sich seinem auf völkische Tonkunst spezialisierten Label Mjölnir zu widmen. Ein weiterer Stammautor ist Markus Wolff, der mit seiner Band Waldteufel vor kurzem ein Lied aus der Feder von Hermann Wirth, dem Gründer des SSóAhnenerbes, neu vertont hat.

Neben ihrem Zeitungsprojekt hat die SigillóGarde 1995 den Trägerverein Las e.V. gegründet. Der Verein organisiert neben Tanzveranstaltungen im Raum Dresden auch größere Konzerte: So zum Beispiel die IndoóEuropeanóSacrificeóTour der faschistischen USóBand Blood Axis in Deutschland.

Später wurde das Label Eis und Licht Tonträger initiiert, um »heimischen« Bands die Möglichkeit zur Veröffentlichung zu bieten. Das Label hat vor allem NeoóFolkóGruppen wie Orplid, Dies Natalis oder Forseti im Programm. Aber auch eine Platte der Formation Von Thronstahl um den Sänger Josef Maria Klumb wurde hier produziert. Klumb hat bereits mehrfach erfolglos juristisch zu verhindern versucht, ein Antisemit genannt zu werden.

Einer der ersten Tonträger von Eis und Licht war die Compilation »Cavalcare la Tigre« zum 100. Geburtstag von Evola ó mit Beiträgen von Allerseelen, Von Thronstahl, Blood Axis, Waldteufel und anderen Bands aus dem rechtsextremen Spektrum der DarkwaveóSzene.

Die SigillóGarde macht aus ihrer kulturpolitischen Ausrichtung an der extremen Rechten keinen Hehl, die visuelle und inhaltliche Präsentation der Zeitschrift ist eindeutig. Dass sie dennoch ein fester Bestandteil der deutschen DarkwaveóSzene ist, wurde nicht nur durch die in Sigill geschalteten Annoncen von verschiedenen Labeln und VersandóAgenturen der Szene deutlich.

Auch die Events des Las e.V. erfreuen sich großer Beliebtheit, ebenso die Produktionen von Eis und Licht, die in vielen DarkwaveóFanzines und Magazinen wohlwollend besprochen wurden. Ein Großteil der sich oft unpolitisch gebenden Gothics grenzt sich zwar vordergründig von Rechtsextremen ab. Doch unter dem Deckmantel einer falsch verstandenen Toleranz können rechte Kulturkämpfer meist ungestört in der Szene agieren.

Die von Sigill vertretenen Inhalte scheinen aber auch mit Vorstellungen von Teilen der Schwarzen Szene übereinzustimmen: Für das kommende 9. WaveóGotikóTreffen über Pfingsten in Leipzig sind eine Reihe von rechten bis rechtsextremen Bands angekündigt. Und wie im letzten Jahr wird es wahrscheinlich einen SigillóStand geben. Dort wird wohl Feuer und Eis verkauft. Zinnober eben.