The Winner Takes It All

Das Urteil eines USóBezirksgerichts trifft nicht nur Microsoft, sondern auch die Rhetorik der New Economy.

Wer diesen Konzern verteidigt, hat es nicht leicht. »Verwirrt, blauäugig und lächerlich« sei sein Gutachten für Microsoft ausgefallen, musste sich Richard Schmalensee bescheinigen lassen. Was den Professor an der USóamerikanischen Universität von Massachussetts besonders geschmerzt haben dürfte: Die harten Worte kamen von einem Kollegen. Selbst »fehlendes systematisches Denken« bescheinigte ihm Franklin Fisher, ebenfalls Professor in Massachussetts, Zeuge der Anklage und außerdem der ehemalige Lehrmeister des Gescholtenen.

Als Schuljunge musste sich der geschmähte MicrosoftóGutachter auch von dem Bezirksrichter Thomas Penfield Jackson vorführen lassen. Wie erwartet kam das Gericht vergangene Woche zu der Entscheidung, dass Microsoft nicht nur ein Monopolist sei, sondern seine Stellung in der SoftwareóBranche ausgenutzt habe, um Konkurrenten gezielt aus dem Markt zu drängen. Mit diesem Urteil sind die Grundlagen geklärt: In den zukünftigen Verhandlungen, die sich über die nächsten Monate hinziehen werden, geht es nur noch um das richtige Strafmaß. Selbst die erzwungene Aufspaltung des SoftwareóKonzerns ist denkbar.

Dabei war das so konsequent zurückgewiesene Gutachten zur Verteidigung von Microsoft auf dem neuesten Stand der Diskussion. Es griff dezent auf ein Bewusstsein zurück, das zur Zeit die Phantasie der amerikanischen Wirtschaft beflügelt: The winner takes it all. Und solche Gewinner gibt es immer häufiger in der New Economy. Im Bereich der Informationstechnologie müssen nun mal ökonomische Sachverhalte völlig neu bewertet werden. Einzelne Höhenflüge wie von Microsoft sind keine Gefahr für die Wirtschaft, sondern ihr Antrieb.

Auf dieser neuen Orientierung basierte die Verteidigung des SoftwareóKonzerns. Der Gewinner hat immer Recht ó zwar formulieren die MicrosoftóAnwälte diese These selten direkt, dennoch basiert ihre ganze Argumentation darauf. Denn was beispielsweise wie ein gefährliches Monopol wirken mag, lässt sich auch ganz anders interpretieren. In der Informationswirtschaft sind nach Ansicht der NewóEconomyóPropheten temporäre Monopolisten geradezu überlebenswichtig. Und dies sei nur ein Zeichen dafür, dass ständige technische Revolutionen stattfinden und sich eben die beste Idee durchsetzen könne. Von Monopolen könne deswegen aber keine Rede sein. Im Gegenteil: Die führende Technologie von heute werde mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit in kurzer Zeit von einem Emporkömmling mit höherer Technologie verdrängt.

Noch positiver interpretiert: Wegen der so genannten NetzwerkóEffekte kann es sogar ausgesprochen sinnvoll sein, wenn sich nach einer technischen Revolution ein klar Sieger ergäbe. Diese Effekte entstehen, wenn der Wert einer Ware davon abhängt, wie viele andere Leute sie ebenfalls kaufen.

Besonders extrem wirkt sich dies im HighóTechóBereich aus. Wenn alle auf eine andere FaxóTechnologie setzen als ich, ist mein Gerät zwar funktionsfähig, aber für mich wertlos. Daraus resultiert der starke Wunsch der Anwender, diejenige Technologie zu wählen, die schließlich die Oberhand gewinnen wird. Am Ende besiegt ein einziges Unternehmen oder eine einzige Technologie alle anderen. Doch was bedeuten schon solche einsamen Siege, wenn die darauf folgende Niederlage bereits vorgezeichnet ist.

Was diese Argumentation so bemerkenswert macht: Mit ihr stand erstmals eine Selbstbeschreibung der New Economy auf dem Prüfstand der Gesellschaft. Und fiel prompt durch, jedenfalls in der ersten Instanz. Die auch von Monopolisten nicht beherrschbare Marktdynamik schien das Gericht nicht genügend zu beeindrucken, um lieb gewonnene Vorstellungen von ganz simplen wirtschaftlichen Grundsätze aufzugeben. Monopolistenverhalten liegt auch dann noch vor, wenn es in einer Branche praktiziert wird, die ihre ungeheuere Dynamik in eigenen Begriffsbildungen verewigt ó wie etwa in dem Grundsatz »The winner takes it all«.

Gespannt darf man nun darauf warten, wie sich die Sensationen der Informationswirtschaft bewähren werden. Der Endlosboom an der Börse, das Ende der Inflation oder die Begeisterung des Personals trotz unsicherer Arbeitsverhältnisse sind ja bereits erfolgreich im öffentlichen Bewusstsein verankert. All diese Erzählungen deuten angstbesetzte Themen positiv um, die nur noch als billiger Populismus angstbesetzt bleiben dürfen. Doch in keinem anderen Bereich wird derart ungehemmt ein offenkundiges Risiko zur Nebenwirkung erklärt. Dass die Starken stärker und die Schwachen schwächer werden, ist bedrohlicher Ausgangspunkt aller Überlegungen zum Monopol. Was heute als Zeichen erfreulicher Dynamik gilt, galt ursprünglich vor allem als Untergangssymptom und hat eine lange, hoch politisierte Geschichte.

»Die Ablösung der freien kapitalistischen Konkurrenz durch die kapitalistischen Monopole« sah etwa Lenin als eindeutige Tendenz des frühen 20. Jahrhunderts, die zur Krise des Bestehenden führen werde. Weil das sozialistisch geprägte Verdrängungsszenario so nahe bei den eigenen Befürchtungen lag, prägte es die USA stärker als jede andere westliche Gesellschaft. Schließlich, wenn Wettbewerb schon natürlich war, warum sollte es dann in der Wirtschaft nicht zugehen wie in der Natur: Die Großen fressen die Kleinen.

Um die eigene Vorstellung vom freien Wettbewerb zu retten, setzte der USóKongress eines der strengsten Monopolgesetze der Welt durch. Es war gegen die großen, trägen, wettbewerbsschädigenden Marktgiganten gerichtet. Der erste Schritt erfolgte schon 1890 mit dem ShermanóGesetz, nach dem nun auch Microsoft verurteilt ist. Danach ist es illegal, einen Markt zu »monopolisieren«.

Dennoch mussten die RadikalóLiberalen mit der Zeit anerkennen, dass AntióTrust, der Kampf gegen Monopole, seine Schattenseiten hat. Weil alles, was nicht in das Ideal des vollkommenen Marktes passte, unter MonopolóVerdacht stand, nahmen die Prozesse der Kartellbehörden bis zur Mitte des Jahrhunderts überhand. Das Ergebnis war aber auch nicht beeindruckender als in anderen Marktwirtschaften: Bis heute existieren vor allem Oligopole, Märkte mit einigen, wenigen Großunternehmen, die sich im Wettbewerb untereinander befinden. Dies gilt zumindest für die Old Economy, die klassische Industrieproduktion.

Der angeblich andere Weg wurde aufgezeigt durch IBM, die faktisch allein herrschende Computerfirma der siebziger Jahre. Jahrelang vom Justizministerium bekämpft, geriet der Branchengigant Anfang der achtziger Jahre aus dem Schussfeld der Behörden. Die Monopolklage gegen das Unternehmen verschwand für immer in den Akten, da sich zeigte, dass IBMs Macht wegen der Marktkräfte am Schwinden war. Der Computerriese hatte verschiedene Entwicklungen verschlafen, vor allem den Trend zum Personalcomputer. Dies war erst der Anfang einer Dynamik, aus der gerade Microsoft als Sieger hervorging und die in der heutigen explosiven Entwicklung der New Economy gipfelt ó Aufstieg und Fall gehen Hand in Hand.

In genau diese Kerbe versuchte dementsprechend die MicrosoftóVerteidigung im Prozessverlauf zu schlagen. Liegen nicht entscheidende Entwicklungen des Internets ohnehin außerhalb der Kontrolle von Microsoft? Gab es nicht eine klägliche Niederlage gegen den Konkurrenten Palm auf dem expandierenden Markt der HandheldóComputer, der so genannten Organizer?

Mit solchen Argumenten sind Bill Gates' Verteidiger vor Gericht gescheitert. Schließlich liegt der SoftwareóKonzern nicht zum erstenmal technisch im Rückstand. Durchsetzen ließ sich der Internetbrowser Explorer gegen den Konkurrenten Netscape nur durch die reine Marktmacht. Und was den OrganizeróMarkt betrifft: In einem Artikel für Newsweek schrieb Gates, er verwette das Schicksal seiner Firma darauf, dass auch in Zukunft der PCóMarkt dominieren werde. Palm Pilot sehe er keineswegs als Bedrohung an.

Wirtschaftsmacht und Größe sind also immer noch ausschlaggebend, auch wenn viel von den neuen Bedingungen im Zeitalter des InternetóKapitalismus die Rede ist. Dass auch politische Kalküle in der Neuen Welt eine Rolle spielen, demonstrierten anschaulich einige Abgeordnete der Republikanischen Partei. Noch am Tag des Urteilsspruchs verkündigten sie, die Gängelung Microsofts im nächsten Wahlkampf zu thematisieren.

So umwälzend ist eben doch nicht alles in der New Economy: Hinter der Begeisterung für neue Wege können ausgesprochen traditionelle Konstellationen eine Rolle spielen.