PDS-Ausschluss von Gerhard Branstner

Der Revolution eine Mütze

Gerhard Branstner hat der Geschichte das Biberfell über die Ohren gezogen. Jetzt hat sich die Geschichte revanchiert.

Wer noch immer meint, es gebe ein paar offene Fragen und ungelöste Probleme, der hat vermutlich bloß seinen Gerhard Branstner nicht gründlich genug studiert. Denn in den epochalen geschichtsphilosophischen Werken »Rotfeder« und »Revolution auf Knien« hat Branstner doch längst alles gesagt, auf seiner Homepage ist es nachzulesen, und in Kalaschnikow und in der jungen Welt sagt er es immer wieder: Die Arbeiterklasse wird die wahre Revolution machen und den Sozialismus errichten, dann kommt der Kommunismus und mit ihm beginnt die eigentliche Geschichte der Menschheit, wir werden alle werden wie die Eskimos und den ganzen Tag lachen.

Das ist, wenn die Geschichte sich nur entschließt, den ehernen Gesetzen zu folgen, denen sie unterliegt, und nicht ständig irgendwelche dummen Irrtümer begeht, ganz unvermeidlich. Sollte die Arbeiterklasse jedoch ihre historische Pflicht versäumen und die Revolution nicht machen, etwa weil sie sich vom Kapitalismus korrumpieren ließ, so müsste die Menschheit untergehen.

Gerhard Branstner ist ein genialer Selbstdenker und Heimphilosoph. Er selbst nennt sich einen Marxisten, manche seiner Genossen aber nennen Marx einen frühen Branstnerianer. Er erinnert an gewisse emeritierte Buchhalter, die mehrere Tausend Mark von ihrer Rente absparen, um eine ganze Seite ihrer Heimatzeitung zu mieten und eine lokale Öffentlichkeit mit der Weltsensation zu überraschen, die Quadratur des Kreises sei nun endlich gelungen. Der mathematische Beweis fiel ihnen leicht, und sie wundern sich, dass nicht längst jemand draufgekommen ist. Dann warten sie wochenlang auf einen Anruf des Nobelpreis-Komitees.

Was Heisenberg und Einstein in der Physik vergeblich gesucht hätten, das habe er in der Historie gefunden: die Weltformel. Schon 1998 verriet er sie Arnold Schölzel in einem Interview, weshalb sie womöglich als junge-Welt-Formel in die Geistesgeschichte eingehen wird: »Für die lebende Natur (einschließlich des Menschen) sucht man nach einer Weltformel. Dafür stehen Begriffe wie Pantheismus oder, was besonders gegenwärtig Mode ist, die Ganzheitstheorien. Aber das sind nur Aushilfsbemühungen, wenn nicht gar Irrwege. Die wirkliche zusammenfassende Formel ist im Gesetz der Anpassung gefunden. Allerdings nur, wenn seine Darwinsche Fassung durch die Erkenntnis der spezifisch menschlichen Anpassung vertieft und zugleich auf eine höhere Ebene gehoben ist.«

Das Gesetz der Anpassung aber lautet: Der Mensch passt sich der Natur an, indem er die Natur dem Menschen anpasst. Wenn die Natur ihm droht, seine Ohren einzufrieren, macht er aus ihr eine Mütze. Nicht aus der ganzen Natur, aber doch aus einem Biberfell oder einem Pfund Schafwolle.

Wenn man nun noch Branstners opus magnum »Revolution auf Knien oder Der wirkliche Sozialismus« gelesen hat, weiß man »erstens, wieso Marx und Darwin die Welt jeweils nur halb erfaßt haben und wie wir sie ganz erfassen können. Zweitens, woran die Welt des 'realen Sozialismus' in Wahrheit gescheitert ist, und was der Kapitalismus nun davon hat. Drittens, wie unsere Welt vor dem drohenden Untergang gerettet werden kann, und was der Haken dabei ist. Überdies wird dem Leser mit der 'Soziologischen Transfermatik' eine wirklich neue Wissenschaft entdeckt, was ja auch nicht jeden Tag in jedem Buch vorkommt.« Was es aber mit dieser Transfermatik auf sich hat und ob es sich bei ihr nicht vielleicht um einen chronischen Tippfehler handelt, weiß Branstner allein.

In der vergangenen Woche wurde er aus der PDS, deren Marxistischem Forum er angehörte, ausgeschlossen. Seit dem Parteitag von Münster war mit einer Säuberung zu rechnen. Denn im selben Moment, da die Grünen ein ekelhaftes Beispiel von Regierungsfähigkeit geben, kennt die PDS keine andere Sorge, als selbst regierungsfähig zu werden. Dazu fehlt ihr fast gar nichts mehr.

Dass es ohne Marktwirtschaft keine Freiheit gibt, hat sie längst begriffen, ebenso, dass der demokratische Sozialismus auf schöpferisches Unternehmertum nicht verzichten kann. Und der übernächste Parteitag wird begreifen, dass das Menschenrecht im Einzelfall von der Bundeswehr erkämpft werden muss.

Es stören allerdings die Regierungsfähigkeit noch manche Genossen, die beim Blick in den Kühlschrank oder in die Tagesthemen ein leiser Zweifel beschleicht, ob denn die Marktwirtschaft wirklich die optimale Methode zur Allokation der Ressourcen sei. In einem Interview der Berliner Zeitung gab Gregor Gysi bereits am 8. Februar das Signal: »Auch in meiner Partei neigen einige dazu, sich als Fremdkörper zu kultivieren. Ein Fremdkörper wird bekanntlich isoliert und abgestoßen.«

Ein Anlass fand sich, als Branstner am 14. März in der jungen Welt die programmatischen Entwürfe eines »modernen Sozialismus« kommentierte. Gysi nannte er eine »Eitelbeule«, Bisky eine »Mehrwegflasche«, beide seien sie im Begriff, die PDS zu zerstören: »Unsere Führer sind der SPD in den Arsch gekrochen, bevor die ihn hingehalten hat. Das hatte nicht den gewünschten Effekt. Nun versuchen sie es, da die augenblicklich für jeden Zuspruch dankbar ist, bei der CDU. Da ist ja auch kein großer Unterschied im Geruch. Noch dazu die Nase unserer Führer kaum noch diensttauglich ist.«

Der Mann liebt eine drastische Sprache. Und eben mit Branstners Verbalinjurien und mit seinem mangelhaften Demokratieverständnis begründete tags darauf Michael Brie, Vorsteher der Rosa-Luxemburg-Stiftung und Mitglied der Programmkommission, den Ausschlussantrag: »Warum aber wiegt nun die öffentliche Beleidigung von Führungspersönlichkeiten der PDS so besonders schwer? Warum ist 'Majestätsbeleidigung' besonders ernst zu nehmen? Bei den beleidigten Personen handelt es sich um demokratisch gewählte Repräsentanten der Gesamtpartei. Deshalb müssen sie unter besonderem Schutz der Partei vor persönlicher Beleidigung stehen.«

Zweitens habe die PDS aus der Geschichte gelernt, dass politische Veränderungen nicht gegen eine gesellschaftliche Mehrheit durchgesetzt werden dürften und dass es jederzeit möglich sein müsse, solche Veränderungen zurückzunehmen, wenn sich das Kräfteverhältnis im Parlament entsprechend ändert.

Diesem Grundsatz widerspreche Branstners Kritik: »Eine weitere Irreführung ist die Verbreitung der Auffassung, 'daß die Partei nur solche Veränderungen anstrebt, für die sie in der Gesellschaft eine Mehrheit findet'. Gysi scheint Analphabet zu sein, wenn er nicht weiß, daß Giordano Bruno, Galilei, Kopernikus, Leonardo da Vinci, Cromwell, Robespierre, Marx, Einstein und tausend andere Veränderungen angestrebt haben, für die sie in der Gesellschaft keine Mehrheiten fanden und zum Teil bis heute nicht gefunden haben.« Man könnte die Maßnahme der Parteiführung für undemokratisch oder gar stalinistisch halten. Aber andererseits ist es gewiss schwer und auf die Dauer nervtötend, mit Leuten zu diskutieren, die zwischen Kunst, Wissenschaft und Politik nicht unterscheiden.

Branstner mag sich trösten. Es gibt ja nicht nur die PDS, sondern auch noch den »Offenen Kanal Berlin«. Dort, neben allerhand christlichen und islamischen Predigern, die ohne Unterlass ewige Wahrheiten verkünden, und dem singenden Weinwirt vom Wedding, der sich für einen verkannten Sinatra hält, wäre er bestens aufgehoben.