»We are Motörhead«

Stümpf ist Trümpf

Simplizistisch, radikal, todesverachtend, laut, grunzend, hymnisch: Dies sind Motörhead.

Vor beinahe zwei Jahrzehnten las man im Music Express/Sounds eine Besprechung der aktuellen Alben von Krokus und Motörhead. Der Rezensent vertrat darin die allemal bedenkenswerte Auffassung, dass selbst die beste Krokus-LP immer noch schlechter sei als die schlechteste von Motörhead, weil diese Band wie keine zweite die Sündhaftigkeit, Tumbheit, Vi- und Brutalität des Heavy Metal verkörpere, dieses musikalischen Abbilds der alles vernutzenden industrialisierten Gesellschaft, oder so.

Wie wahr das gesprochen war, zeigt nicht zuletzt der Umstand, dass sich in den vergangenen zwanzig Jahren nichts, aber auch gar nichts daran geändert hat. Immer noch muss die - seit einiger Zeit wieder zur klassischen Trioformation verschweißte - Barbarenband mit Lemmy »Let me kill, Mister!« Kilmister am Bramarbass als Personifikation des Genres herhalten. Zwar sind Metallica, Slayer, Pantera und Konsorten als Gewährsmänner hinzugekommen, aber wer gedroschenen, dumpfen, martialischen Schweine-Metal mit einer gewissen militanten Rabiatesse meint, der sagt wohl doch immer noch zuerst Motörhead (zumindest, wenn er nicht gerade zu den absoluten Szenegängern und -kennern gehört, die einen ja immer gleich zehn alternative Platten von Bands vorlegen, deren Schriftzüge kein Mensch lesen kann).

Kurzum, Motörhead ist immer noch ein Stempelwort. Nun ist die Existenz als künstlerisches Markenzeichen einträglich und durchaus ehrenvoll, eine Zeitlang wenigstens, auf Dauer aber wohl unbefriedigend, weil man gezwungen ist, auf der Stelle zu treten. Denn nichts verzeiht der konservative Kunde, und Hardrocker sind nun mal konservativ bis hinten gegen, einem altbewährten Produkt weniger als Veränderung - von kleinen Zugeständnissen an den jeweils herrschenden historischen Geist wollen wir hier mal absehen, die sind durchaus nötig, um so etwas wie Frische zu suggerieren.

Lemmy hat solche Zurückweisungen am eigenen Leib erfahren müssen, als er tief in den Achtzigern den vormaligen Wild-Horses- und Thin-Lizzy-Gitarristen Brian Robertson als Ersatz für Fast Eddie Clarke einstellte und die Riffs auf einmal einen oder zwei Töne mehr bekamen, dafür das Metronom nicht mehr ganz so nervös ausschlug. Die Addicts reagierten erbost, und »Another Perfect Day« lag wie Schwermetall in den Regalen. Auch ein eher nach vorne blickender Geist wie Diedrich Diederichsen beklagte sich darüber und glaubte feststellen zu können, wie »aus der simplizistischen, radikalen, todesverachtenden, lauten Idiotenrockband mit grunzend-hymnisch-guten Songs, an denen Speedfreaks mit Freude am Ausgemergelten und Intellektuelle mit Spaß am Süffisanten gleichermaßen ihre brüllend-idiotische Freude hatten, eine ganz normale Heavy-Metal-Band« wurde. Tja, ob ausgemergelt wirklich das richtige Attribut für diesen feisten Brachialsound ist, darüber ließe sich streiten - aber Diederichsen hatte (und hat) natürlich Recht. Das war nicht mehr die gleiche Band.

Lemmy sah seinen Fehler dann auch sehr bald ein und ließ von nun an die Finger von solchen Experimenten. So lebte er dahin, und wenn er nicht ... Aber die Frage ist doch: Wie kann man damit leben? Kann man damit leben? Ja. Wenn man stumpf genug ist. Und wenn man anstatt der Weiterentwicklung die Variation als legitime künstlerische Aufgabe für sich anzuerkennen vermag.

Motörhead sind die Meister der Variation. Jeder kennt, wenn er Motörhead kennt, diese eine Lemmy-typische, im besten Sinne abgedroschene Bass-Phrase am Anfang dieses einen klassischen Songs, diese Riff-Mücke, die dann stets zu einem ausgewachsenen, vor Wut trompetenden Song-Elefanten wird. Man muss allerdings bis zum Chorus warten, also glücklicherweise nie sehr lange, bis einwandfrei zu entscheiden ist, um welchen Standard es sich hier handelt: »Overkill«, »Bomber«, »Ace Of Spades«, am Ende »Iron Fist»? Je nun, jetzt kommt noch »We Are Motörhead« hinzu, denn beim Titelstück des neuen Albums hat man die alte Leier wieder mal leicht modifiziert, moduliert, umgeschrieben, aber nur leicht, wie gesagt: »We are Motorhead and we're gonna kick your ass!« Das ist etwas für die erste Zugabe, würde ich sagen.

Fünf weitere Hochgeschwindigkeitsgeschosse sorgen dannn für den guten Schnitt, darunter das nicht sehr inspirierte Sex-Pistols-Cover »God Save The Queen« und der anschlagsfleißige, mit mehrstimmiger Chorusmelodie nachgerade eingängige Riffer »Stay Out Of Jail«. Avancierter freilich kommt die gut fünfminütige, also eigentlich überlange Midtempo-Keule »Wake The Dead« daher; unter anderem weil der trickreiche, durchaus filigran trommelnde Mickey Dee sich hier mal an einer komplexeren, abwechslungsreicheren Rhythmusstruktur versucht - der Chef wiederum an einem Basssolo, vor schönen, schwebenden Akkordharmonien der Gitarre.

Einmal mehr gibt es auch Balladeskes, eine Ode an die Vergänglichkeit (»One More Fucking Time«), bei der Lemmys tiefer, heiser-gequälter Kompressor-Gesang sich plötzlich aufhellt, schon beinahe transparent wird und brüchig, ja verletzt das Leiden der Kreatur beklagt - bis es ihn schließlich doch wieder so empört, dass er einen ganzen Chorus lang Zeit braucht, um sich den Ingrimm von der Seele zu schreien. Und am Ende des Songs lässt sein verlängerter Arm Phil Campbell, ein Rockgitarrist alter Schule, der noch wirklich zu improvisieren versteht, seinen sechssaitigen Straßenköter ganz unkitschig jaulen. Das müsste schon ein Stein sein, der hier nicht mitfühlte.

So, damit hat es dann aber auch sein Bewenden in Sachen Vertracktheit, ich sage das, falls da doch schon wieder einige die Stirn in Skepsis kraus ziehen. Der Rest ist nämlich Double-Bass auf Speed wie üblich, aber selbstredend imposant, zumal wenn die drei, gleichsam Hand in Hand, den Takt in seine Sechzehntel zerhäckseln. Klar ist das simpel, man könnte auch simplizistisch sagen, aber das macht doch immer noch mächtig Späne.

Motörhead: »We Are Motörhead«. Steamhammer (SPV)