Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen

Brüder, die Sonne ...

Bei den Kommunalwahlen im Herbst letzten Jahres machten die nordrhein-westfälischen Sozialdemokraten eine ganz neue Erfahrung. Sie landeten mit 33,9 Prozent in Gefilden, die sie nur vom Hörensagen kannten. Damals befand sich nicht nur die rot-grüne Bundesregierung in einem so genannten Stimmungstief, sondern auch die Arbeiterklasse.

Die Arbeiterinnen und Arbeiter gingen nicht wählen, weil Gerhard Schröder zu viel Trara um das postmoderne Aufsteiger-Milieu machte. Erst mit seiner Intervention zu Gunsten der pleitebedrohten Arbeitsplätze beim Bau-Konzern Holzmann signalisierte der Bundeskanzler, dass die Neue Mitte überall ist. In einem speziell für die Wahlkämpfer und Wahlkämpferinnen verfassten Handbuch rechnete die NRW-Parteispitze vor, dass allein die Mobilisierung der »treuen SPD-Anhänger« 39 Prozent Stimmenanteil bringen würde. Den notwendigen Rest würde man sich dann bei den »unsicheren SPD-Wähler/innen« abholen.

Dumm war, dass diese Prognose auf der Basis einer Wahlbeteiligung von 70 Prozent erstellt worden war, die reale jedoch am Sonntag gerade einmal 57 Prozent betrug . »Es war die Hitze«, sagte der enttäuschte Wahlsieger Wolfgang Clement angesichts des magersten SPD-Ergebnisses seit 1949. Wenn es am schönen Wetter lag, dann müssen am Sonntag in den Quartieren der kleinen Leute besonders viele das alte Sozi-Kampflied »Brüder zur Sonne ...« wörtlich genommen haben, denn dort lag die Wahlbeteiligung zwischen 33 und 49 Prozent - und damit noch einmal weit unter dem Landesschnitt.

Entweder hat die SPD ihre traditionelle Klientel nicht mobilisieren können, oder diese ist - wie die Zechen und Bergwerke im viel beschworenen »Strukturwandel« auch - gleich mit verschwunden. Das letztere scheint nicht unwahrscheinlich, denn auch Jürgen Rüttgers konnte mit dem Arbeitsplatz-Chauvinismus seiner Anti-Einwanderungskampagne nicht punkten.

Die Grünen sind mit ihrer Schrumpfung von zehn auf sieben Prozent noch viel zu gut davongekommen. Ihre Honoratioren hatten während der letzten Wochen in einem Präventivschlag gegen Möllemann, der das komplette Ruhrgebiet mit Schnellstraßen tunneln will, noch schnell mitteilen lassen, man werde einen Ausbau der Autobahnen und auch eine Metrorapid-Strecke an Rhein und Ruhr selbstverständlich mittragen. Die einstigen Ökos wollten damit ein Vorurteil widerlegen, das außerhalb der FDP niemand mehr hat.

Nun darf Umweltministerin Bärbel Höhn womöglich weiterhin täglich, emphatisch und populistisch gegen britisches Rindfleisch und für das Bauernland NRW hetzen. Stellt man weiterhin in Rechnung, dass mit dem Aachener Linken-Fresser Reiner Priggen jemand Chef der Düsseldorfer Grünen-Fraktion wird, der außer Strippenziehen, Tabus brechen und Daherreden wie Joseph Fischer keinerlei Qualitäten hat, dann darf beinahe festgestellt werden, dass es für den Gang der Dinge ziemlich wurscht wäre, würde Clement den Jürgen Möllemann zum Koalitionspartner nehmen. Clement würde mit dem Programm der FDP gut klar kommen, und deshalb werden die Grünen lediglich als Erpressungs-Opfer in die Koalitionsverhandlungen gehen. Und ebenso herauskommen. Priggen und Co. hoffen dabei, dass der Bundeskanzler und die SPD-Basis auf Rot-Grün beharren.

Die schönste Reaktion auf das Wahlergebnis kam übrigens von PDS-Geschäftsführer Bartsch. Mit 1,3 Prozent habe man »auf niedrigem Niveau politische Handlungsfähigkeit bewiesen«. Von einem Rückschlag für die West-Ausdehnung der Partei könne nicht gesprochen werden. Wo nichts ist, kann auch nichts zurückschlagen.