Die Clans der HipHop-Labels

In Dog We Trust

Vom Ego zum Wego: Mehr und mehr HipHop-Labels stilisieren sich zu Clans oder Mafia-Familien. Wo ich war, soll wir werden.

Als der Rapper DMX im vergangenen Jahr bei der Verleihung der Billboard Music Awards auf die Bühne ging, um sich seine Auszeichnung für das beste R'n'B-Album abzuholen, war er nicht alleine. Eine ganze Bande von Künstlern seines Labels Ruff Ryders ging mit ihm hoch. Kaum vorstellbar, dass sich irgendein Rockstar so verhalten würde - dass etwa Trent Reznor von den Nine Inch Nails den ganzen Stall seines Labels Nothing mitschleppt. Aber im HipHop werden diese Inszenierungen kollektiver Stärke immer beliebter - die Rap-Labels inszenieren sich zunehmend als Familien, Clans oder Dynastien.

Wie die Mafia-Familien, deren Hollywood-Mythologisierung den Gangsta-Rap schon immer beeinflusst hat, kämpfen diese Labels darum, den HipHop-Markt zu beherrschen. Und Loyalität ist in diesem Krieg Clan gegen Clan von zentraler Wichtigkeit. Nicht nur, weil Teamwork effektiver ist, sondern weil diese Form von Kameradschaft Zuflucht und Schutz auf einem Feld bietet, wo sonst der Kampf jeder gegen jeden herrscht.

Ruff Ryders aus Yonkers, New York, und Cash Money aus New Orleans sind die zwei stärksten Gruppierungen im aktuellen HipHop. Beide nutzen diese Clan-Identitäten auf das Heftigste: durch die Verwendung des Logos etwa oder mit Stücken wie »I'm A Ruff Ryder«, »Cash Money Is an Army«, »Ruff Ryders' Anthem« oder mit dem Album der Rapperin Eve »The First Lady of Ruff Ryders«. Sowohl Ruff Ryders als auch Cash Money haben einen Produzenten - Swizz Beats bzw. Mannie Fresh -, der für einen ganz bestimmten, sofort wiedererkennbaren Sound sorgt. Cash Money hat auch eine Supergroup, Hot Boys, die aus den größten Solostars des Labels besteht - Juvenile, B. G. und Lil Wayne. Und beide Labels sind nicht zuletzt tatsächlich Familienbetriebe, Ruff Ryders wurde von den Geschwistern Darrin, Joaquin und Chivon Dean begründet; Cash Money von den Brüdern Ron und Brian Williams. Als wollten sie dieses gemeinsame Ethos noch unterstreichen, gingen beide Labels zusammen auf US-Tournee.

Obwohl es im HipHop schon immer Crews, Cliquen und Posses gab, sprach HipHop fast immer in der ersten Person Singular. Doch neuerdings ist dieses Ego durch etwas in den Schatten gestellt worden, das man Wego nennen könnte: ein Subjekt, das sich im kollektiven Triumphalismus von Stücken wie Ruff Ryders' »We In Here« oder »We On Fire« von den Hot Boys meldet. Und im Windschatten dieser Erfolge haben auch andere Labels begonnen, sich als Familien im Cosa-Nostra-Style zu präsentieren. »You Are About To Witness A Dynasty Like No Other« verspricht etwa ein Aufkleber auf dem jüngsten Album von Jay-Z und bezieht sich damit auf die anderen Künstler des Labels Roc-A-Fella, Beanie Siegel, Memphis Bleek und Amil. Und das Label Murder Inc. hat seine Belegschaft zur Hot-Boys-mäßigen Supergroup The Murderers gemacht.

Das Konzept der Blutsbrüderschaft wurde in den mittleren Neunzigern vom Wu-Tang Clan entwickelt, den zehn Rappern, die sich rund um den Produzenten RZA scharten. Während sich die Gruppe in ihren Lyrics und in der Cover-Art zu kriegerischen Priestern stilisierte, die, bewaffnet mit obskurem Wissen und einer verschlüsselten Sprache, den Kampf gegen das Böse aufgenommen haben, operierte der Wu-Tang Clan gleichzeitig als ein cleveres Unterhaltungs-Unternehmen. Alle Mitglieder des Clans schlossen Solo-Verträge mit verschiedenen Plattenfirmen ab, um sich nicht in die Hand eines einzigen Labels zu begeben. Gleichzeitig warfen sie alle möglichen Merchandising-Produkte auf den Markt, die alle über das Wu-Tang-Logo funktionierten: Klamotten, einen Comic, eine Web-Site und das Wu-Tang-Videospiel »Shaolin Style«. Das Logo war eine stilisierte Fledermaus, die man auch als »W« lesen konnte und die gewendet als Anfangsbuchstabe verschiedener Wu-Tang-Rapper taugte, als »M« etwa für Method Man oder als »G« für GZA. 1997 war der Wu-Tang Clan auf dem Höhepunkt seines Ruhms und das Logo so bekannt, dass das Rap-Magazin Source es anstelle der Rapper auf das Cover setzte.

Diese Branding-Strategie des Wu-Tang Clan übernahm Master P für sein Label No Limit und trieb sie noch weiter. Die Fließband-Veröffentlichungen von No Limit haben alle eine sofort wiedererkennbare Cover-Gestaltung - die knallbunten, hyperrealistischen Getto-Tableaus des Designer-Teams Pen & Pixel -, die perfekt zu dem formelhaften New-Orleans-Gangsta-Sound der Platten passt. Zahllose Hardcore-HipHop-Labels aus der zweiten Reihe haben sich mittlerweile an den Pen & Pixel-Look gehängt, in der Hoffnung, sie könnten ihre Platten an Leute verkaufen, die glauben, die Platte des neuesten Rekruten der No-Limit-Army zu erwerben. Master Ps Imperium ist mittlerweile 361 Millionen Dollar wert, nicht zuletzt, weil er im großen Stil auf Diversifizierung setzt und von No-Limit-Spielzeug über No-Limit-Kleidung bis zu einer Serie von Spielfilmen, die direkt für den Videomarkt produziert werden, alles Mögliche herausbringt.

Genauso gehen Ruff Ryders und Cash Money vor. Auch sie folgen der No-Limit-Strategie der forcierten Marktsättigung, bringen eine Platte nach der anderen heraus und arbeiten an eigenen Filmen - hitting while you're hot. DMX hat innerhalb von anderthalb Jahren drei Alben auf den Markt geworfen, und in den ersten Monaten dieses Jahres sind sowohl Platten von The Lox und Drag-On erschienen als auch eine Swizz-Beatz-Compilation sowie das Soloalbum des Lox-Rappers Jadakiss.

Die Techniken, mit denen Ruff Ryders und Cash Money ihre Imperien aufbauen, sind mittlerweile Rap-Industrie-Standards. Um das Einer-für-alle-alle-für-einen-Image zu verstärken, gastieren die Rapper kreuz und quer auf den Platten der anderen Stars des Labels, unbekannte Künstler werden durch Gast-Auftritte bei ihren bekannten Kollegen eingeführt. Diese Doppel-Strategie, Künstler aufzubauen und sie durch Cross-Promotion miteinander zu vernetzen, hat kein Label so weit getrieben wie Cash Money. Zwar geben sich mittlerweile auf fast jeder HipHop-Platte prominente Gast-Rapper das Mikrofon in die Hand, aber auf den Cash-Money-Platten tritt nie jemand von außerhalb des Clans auf - die Gäste sind immer Label-Kumpels.

Aber es wäre falsch zu behaupten, der Familienkult im HipHop sei nur eine Art ideologische Schaufensterdekoration für die eigentliche Business-Realpolitik. Die family values stellen eine Art privatisierten Sozialismus dar, gebaut rund um Ideale wie Altruismus, Zusammenarbeit und Aufopferung für das gemeinsame Wohl. Der Rap-Clan ist ein sicherer Hafen im halsabschneiderischen Wettbewerb der HipHop-Industrie (des Kapitalismus mit anderen Worten) und als solcher verspricht er Trost und Schutz in einer Welt, die ansonsten von emotionaler und moralischer Leere beherrscht würde.

Deshalb findet die Betonung, die Cash Money und Ruff Ryders auf Einheit legen, auch solche Resonanz bei den Fans. Die Idee des Clans auf dem Kriegspfad versöhnt die widersprüchlichen Bedürfnisse, zugleich Gewinner und Teil einer Gruppe sein zu wollen. Das Familien-, Clan- und Cliquen-Ethos löst das grundlegende Problem der amerikanischen Ideologie, der HipHop ansonsten vorbehaltlos folgt: den Konflikt zwischen Individualismus und Community.

DMX, der größte Star von Ruff Ryders, meidet zwei der Hauptthemen des Gangsta-Rap - Sexploitation und das Zurschaustellen von Reichtum -, um sich fast ausschließlich den Themen Loyalität, Verrat und Vergeltung zu widmen. DMX wuchs selbst in zerrütteten Verhältnissen auf und sehnt sich nach nichts mehr als nach einer Ersatzfamilie. Diese Sehnsucht führt ihn zu einer merkwürdigen Hunde-Obsession. Vollkommen anders als die lüsterne Hundepersönlichkeit, die sich George Clinton in seiner Früh-Achtziger. »Atomic-Dog»-Phase gab - die später von Snoop Doggy Dog wieder aufgenommen wurde -, bezeichnen sich DMX und seine Clique als Hunde, um die Treue zu betonen: die Treue zum Rudel oder die Treue zum Besitzer. Immer wieder besteht DMX darauf: »I will die for my dogs«.

DMXs blutrünstige doomy-and-gloomy Bilderwelt - die Alben tragen Titel wie »It's Dark and Hell Is Hot« und »Flesh Of My Flesh, Blood Of My Blood«, blutverschmiert schaut er vom Cover - hat wesentlich mehr mit den von Teenage-Angst geschüttelten Metal- und Industrial-Künstlern gemeinsam als mit anderen HipHoppern. DMX teilt mit Gruppen wie Nine Inch Nails, Marilyn Manson oder Korn eine Sicht auf die Welt, die etwas stark Gothic-haftes hat, mit einer »mittelalterlichen Symbolik des Bluts« (Foucault) im Zentrum: Vorstellungen von Abstammung, Clan-Loyalität, Blutsbrüderschaft.

Das fängt an mit DMXs Phantasie der Hunde-Brüderschaft als einer Art reinrassiger Straßen-Aristokratie: »My dogs, the beginnig of this bloodline of mine.« Das »Blood« in DMXs Wortschatz ist im höchsten Maße aufgeladen. Im Begriff des Bluts wird die Ambivalenz der gewalttätigen und ambivalenten Gefühle des Gangsta-Rap ausgetragen: das Oszillieren zwischen Liebe und Hass, zwischen Loyalität und Verrat. Ganz ähnlich teilt Ruff Ryders' Parole »Ryde Or Die« die Welt in zwei Gruppen auf: Sie und Wir. Leute, die man umlegt, und Leute, für die man umlegt / stirbt / an deren Seite man in die Schlacht zieht. Schon der Name Ruff Ryders, ein Zitat aus dem Sam-Peckinpah-Western »The Wild Bunch«, erinnert an diesen blaze-and-glory-Romantizismus.

Die Gangsta-Rapper haben im Hollywood-Mafiafilm einen Spiegel für diese heißblütigen Leidenschaften gefunden. Die Mafia-Familien missachten die Gesetze der Gesellschaft und beharren stattdessen auf einer eigenen Moral: einer neo-mittelalterlichen Ethik der Treue und der Rache, die nur für die Blutsverwandten gilt und für diejenigen, die zwar nicht verwandt sind, aber Lehnstreue geschworen haben. Italienische Soziologen haben zur Analyse dieser Clan-Kameradschaften den Begriff des »amoralischen Familiarismus« verwendet. »Amoralisch« ist allerdings leicht irreführend, denn die Familien halten sich gerade an eine strenge Ethik von Loyalität und Rache, an einen Ehrenkodex, der brutal durchgesetzt wird.

Dieser amoralische Familiarismus erreichte die HipHop-Kultur über die Gangsterfilme und traf dort auf so starke Resonanz, weil er perfekt zu einer bestimmten Straßenrealität, die von Gangs und Territorialstreitigkeiten bestimmt ist, passt. Gerade weil sich die Gruppenzugehörigkeit im HipHop im kompakten und übersichtlichen Feld einer Clique bewegt, mit Verbindung zu einem Ort, dem project - wie zum Beispiel die Magnolia Neighborhood in New Orleans, wo Cash Money herkommen -, vermittelt diese Idee von Familie ein Gefühl von unity, das viel greifbarer erscheint als die Treue zu so abstrakten und problematischen Institutionen wie den Vereinigten Staaten von Amerika oder zu irgendwelchen afro-amerikanischen Nationalismen.

Die filmischen Darstellungen der Mafia, etwa in »Der Pate« oder in »Good Fellas«, funktionieren oft über eine fatale Spannung zwischen der Loyalität innerhalb der Familie und der Geschäftslogik. Den Clan-Ältesten wird kein Respekt mehr erwiesen, bad blood bringt Brüder gegeneinander auf, rivalisierende Familien ziehen gegeneinander in den Krieg, nur weil sich neue Geschäftsfelder öffnen, wie etwa der Drogenhandel, und weil die Meinungsverschiedenheiten nicht anders ausgetragen werden können. Im HipHop gibt es eine ganz ähnliche Spannung zwischen der til death do us part-Lehnstreue und der konkreten Realität der Business-Beziehung.

Obwohl The Lox ursprünglich Mitglieder von Ruff Ryders waren, taten sie sich mit Puff Daddy und dessen Bad Boy Label zusammen, als es ihnen opportun erschien. Puff Daddy änderte ihren Namen - vorher nannten sie sich Warlocks - , brachte sie dazu, ihren Hardcore-Street-Style etwas herunterzudimmen und ließ sie Radiokompatible Songs aufnehmen. Aber dann floppte ihr Album auf Bad Boy, The Lox wurden nicht reich und berühmt. Also wurde die Gruppe Puff Daddy wieder untreu, erneuerte ihren Schwur auf Ruff Ryders und brachte dort »We Are The Streets« heraus, ein Album, das alles andere als Radio-freundlich ist, sondern um das harte Leben auf der Straße kreist. Andere Beispiele für Rapper, die ihre Treue auf verschiedene Labels verteilen, sind Snoop Doggy Dogg, der von Death Row zu No Limit ging, oder Eve, die eigentlich eine Protegée von Dr. Dres Label Aftermath war, bevor sie zu Ruff Ryders ging.

All dies spricht natürlich eher dafür, dass HipHop eben doch nicht ganz so funktioniert wie einander sich bekriegende Clans, sondern eher wie Sport, die andere Sparte der Unterhaltungsindustrie, die rund um symbolische Kriegführung organisiert ist, wo Spitzensportler ebenfalls den Verein wechseln, wenn irgendwo mehr bezahlt wird.

Trotzdem: Für einige Rapper gilt die thick as blood-Rhetorik. Für DMX etwa ist Loyalität ein alles überragender Wert. In einer hyperindividualistischen Welt, wo die Kräfte des Marktes alle Formen von Solidarität zerreißen und wo jede und jeder seinen Preis hat, sagt er: »They do it for dough / Me I do it for the love«. Und auf einem Zwischenstück seines Albums »And Then There Was X«, wo irgendein unbekannter Eckensteher verkündet, er würde alles dafür tun, das Geld zu bekommen, das er braucht, antwortet ihm DMX: »Dog, you think about loyalty first, know wha' I'm saying? You got loyalty, money will come. You got to learn.«

Simon Reynolds lebt in New York. Er veröffentlicht u.a. in New York Times, Village Voice und Spin und ist Autor des Buches »Energy Flash - A Journey Through Rave Music and Dance Culture«, Picador, 1998. - Der Text wurde von Tobias Rapp ins Deutsche übertragen.