Ein Jahr Kfor-Einsatz

Patt im Protektorat

Mit der Vereinbarung über einen serbischen Truppenrückzug und dem Ende des Nato-Bombardements begann vor einem Jahr der Alltag im Protektorat Kosovo. Die von Nato-Verbänden dominierte internationale Kfor-Truppe rückte in die Provinz ein, gleichzeitig begannen Kosovo-Albaner mit der - bis heute andauernden - massenhaften Vertreibung und auch der Ermordung von Serben, Sinti und Roma. Nach zwölf Monaten »Schutzherrschaft«, so übersetzt der Duden den Begriff Protektorat, zeichnet sich heute ab, dass die militärische Besetzung des Kosovo vor allem dazu geführt hat, den an ethnischen Fronten geführten innerserbischen Bürgerkrieg territorial einzugrenzen und gleichzeitig dessen Kräftekonstellation zu Gunsten der Albaner umzupolen.

Milosevics Hoheit wurde beschnitten und die UCK - bisher - daran gehindert, die Provinz von Serbien zu trennen und womöglich dem albanischen Staat einzuverleiben. Vorläufiges Fazit: In den vergangenen 52 Wochen fielen dem unter Kfor-Aufsicht fortgesetzten Bürgerkrieg mindestens so viele Menschen zum Opfer wie in den Monaten vor Beginn der Nato-Luft-Intervention.

Unter Linken wurde in den vergangenen Monaten viel darüber gestritten, ob der Kosovo-Krieg ein amerikanisches, ein deutsches oder ein Unternehmen gewesen sei, das für die Ausweglosigkeit aktueller und künftiger Elends- und Krisenverwaltung durch die großen Mächte steht. Geht man davon aus, dass so etwas wie ein imperialistisches Gesamtinteresse an global ungehinderter marktwirtschaftlicher Verwertung aller natürlichen und sozialen Ressourcen mit dem Prinzip einer ziemlich brutalen Staatenkonkurrenz koexistiert - und bisweilen kollidiert -, dann sitzen die wirklichen Sieger des Krieges in Berlin.

Es wäre dann nämlich so: In Bezug auf das imperialistische Gesamtinteresse hätten von der vorläufigen Zähmung des Bürgerkrieges allerlei Mächte im Westen profitiert, in Bezug auf die aktuelle Staatenkonkurrenz allerdings vor allem Deutschland. Nicht zufällig trug die proalbanische Dramaturgie der Nato-Eskalation - menschenrechtsverbrämte - Züge traditioneller deutscher Volksgruppen-Arithmetik.

Stellt man den Kosovo-Krieg in größere Bezüge, wird deutlich, dass Rot-Grün unter dem Banner der Menschenrechte instinktsicher den Kampf gegen die letzten Reste der im deutschen Establishment verhassten Ordnung von Jalta fortsetzt. Es liegt in der Logik des keinesfalls erledigten Wettbewerbs zwischen den Großmächten, dass Deutschland als Newcomer nach 1989/90 ein Interesse daran haben musste, die etablierten Verhältnisse zu dynamisieren.

Neue Grenzen, neue Staaten, neue Minderheiten in ganz Europa - nicht einmal hat eine deutsche Regierung während der letzten zehn Jahre auf Dauer für einen territorialen und/oder sozialen Status quo votiert, der im Ergebnis des Zweiten Weltkrieges entstanden und nun umstritten war. Diese hegemonialen Ambitionen mögen nicht auf unmittelbare Herrschaft zielen und sie mögen im Verband der EU vorgetragen werden: Von Jugoslawien z.B. soll dennoch nichts übrig bleiben.

Schenkt man zudem der Tatsache genügende Aufmerksamkeit, dass deutsche Politiker und Publizisten immer mal wieder öffentlich über eine Lostrennung des Kosovo von Milosevics Serbien nachdenken, könnte die aktuelle Situation im Protektorat als Patt gedeutet werden: zwischen den Kräften des Wandels und denen des Beharrens. Bezogen auf die Architektur der europäischen Staatenwelt waren die Letzteren bisher eher in Washington, London und Paris zu Hause.