NS-Akten am Grund des Toplitzsees

Wasserdicht verpackt

Der US-Fernsehsender CBS und das Simon-Wiesenthal-Center suchen im österreichischen Toplitzsee nach versenkten Nazi-Akten.

Die Suchaktion ist in vollem Gange: Das Simon-Wiesenthal-Center aus Los Angeles, der US-amerikanische Fernsehsender CBS und die Oceaneering Advanced Technologies Group, die schon an der Bergung der »Titanic« beteiligt war, forschen derzeit im österreichischen Toplitzsee nach NS-Dokumenten. Mindestens 130 Kisten mit Akten, Falschgeld und Beutegut sollen die Nazis in dem Bergsee im Ausseer Land versenkt haben, 75 dieser Kisten wurden in den letzten Jahrzehnten bereits aus dem Gewässer geborgen.

Für das jetzige Tauchvorhaben hat man sich gut vorbereitet. So wurde der See zunächst per Unterwasserroboter und Sonar kartografiert, nun plant man, einzelne Stellen genauer unter die Lupe zu nehmen. Dabei könnte aufschlussreiches Material ans Tageslicht kommen, denn das Ausseer Land war 1945 eine regelrechte Nazi-Kolonie.

Kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges tummelten sich in der so genannten Alpenfestung zahlreiche hochrangige NS-Parteifunktionäre: Ernst Kaltenbrunner, der Chef des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA), brachte ganze Lastwagenladungen mit Akten und »Beutegut« in die Alpenregion und erteilte von dort die letzten Befehle zur Räumung der Konzentrationslager. Auch der Sicherheitsdienst (SD) verlagerte Archivbestände und einige seiner Dienststellen in die Gegend um den Toplitzsee.

Neben diesen Dokumenten hofft Bill Owens von CBS, bei der Suchaktion auch auf eine »Skorzeny-Spur« zu stoßen. Der SS-Obersturmbannführer und Sabotagespezialist Otto Skorzeny hatte im Ausseer Land geheime Waffenlager angelegt und soll bereits kurz nach Kriegsende im Sold westlicher Geheimdienste gestanden haben. Später war der Kriegsverbrecher eine Schlüsselfigur in der Nazi-Fluchthilfeorganisation Odessa - dem Verband der ehemaligen SS-Angehörigen.

Auch über Wilhelm Höttl, der ebenfalls Odessa-Mitglied gewesen sein soll, könnten neue Erkenntnisse gewonnen werden. Der SS-Mann und SD-Funktionär, der bis zu seinem Tod 1999 im Ausseer Land lebte, wurde 1947 aus der Haft entlassen. Danach beteiligte er sich am Aufbau der antikommunistischen »geheimen Terrororganisation« Gladio, deren Eingliederung in Nato-Strukturen 1990 bekannt wurde. Im Falle einer Invasion der Sowjetunion sollte die Truppe den Guerilla-Kampf aufnehmen. Während des Nationalsozialismus organsierte Höttl, der mit RSHA-Chef Kaltenbrunner eng vertraut war, das so genannte Unternehmen Bernhard: Häftlinge des KZ Sachsenhausen mussten Falschgeld - insbesondere britische Pfund-Noten - in Millionenhöhe und gefälschte Papiere herstellen. Unter Höttls Leitung wurde eine groß angelegte Geldwäscheaktion betrieben, Agenten des RSHA zahlten Falschgeld in Millionenhöhe auf Nummernkonten ein.

Ziel der Aktion war die Schwächung der britischen Wirtschaft, der Einkauf von Rüstungsgütern und die Bezahlung von Spitzeln und Spionen. Die angehäuften Devisen und das von der SS zusammengeraubte Vermögen hätten nach dem Krieg zum »Wiederaufbau« eines »Vierten Reiches« dienen können. Bereits 1963 schrieb Simon Wiesenthal in einem Brief an das österreichische Innenministerium, »dass sich im Toplitzsee Dokumente über die Verlagerung deutschen Kapitals befinden, das heißt die sogenannte Liste der Depositare«. Diese Dokumente könnten möglicherweise Aufschluss über den bis heute ungeklärten Verbleib einiger Kriegsverbrecher geben - und manch ein »Wirtschaftswunder« der Nachkriegszeit in einem anderen Licht erscheinen lassen.

Bisher fanden mehrere offizielle Suchen im Toplitzsee statt. Erstmals organisierte der stern 1959 eine Tauchaktion. Von den 37 Kisten, die an die Oberfläche gebracht wurden, waren zahlreiche mit Falschgeld gefüllt. Man fand aber auch Dokumente des RSHA mit »Angaben über all diejenigen, die 1945 hofften, untertauchen zu können und vergessen zu werden«, wie das Magazin damals berichtete. Chefredakteur Henri Nannen ließ die Suche schließlich aus bis heute unbekannten Gründen abbrechen, die österreichischen Behörden beschlagnahmten die geborgenen Akten. Zeitungen mutmaßten, dass Nannen bestochen worden sei: »Eine Liste der Vertrauensmänner (die Geld deutscher Firmen ins Ausland verlagern sollten; R.B.) wurde im Auftrag von Kaltenbrunner im Toplitzsee versenkt«, schrieb das Linzer Volksblatt nach der stern-Suche.

Eine weitere Bergungsaktion ordnete 1963 die österreichische Regierung an, die den See während der Taucharbeiten hermetisch abriegeln ließ. Angeblich sollen damals alle Nazi-Kisten herausgeholt worden sein; offiziell war von 38 gefundenen Kisten Falschgeld, Druckwerkzeug sowie Munition die Rede, Dokumente jedoch seien nicht unter den Fundstücken gewesen. Leiter der Aktion war Dr. Holler von der Sicherheitsdirektion in Graz, der vor 1945 als Mitarbeiter Kaltenbrunners tätig war und zudem für den SD arbeitete. Nach der staatlichen Suchaktion wurde zunächst ein Tauchverbot über den Toplitzsee verhängt. Doch trotz des Verbots und entgegen der offiziellen Version fand der Taucher Gerhard Zauner ein Jahr später weitere Kisten, Metallfässer und Hochseeminen in dem See.

20 Jahre später erforschte der deutsche Biologe Hans Fricke den See mit einem Tauchboot. Dabei entdeckte er nicht nur neue Tierarten, sondern auch Kisten mit Falschgeld, Munition, Waffen und Flugzeugteilen, die zum Teil auch geborgen wurden. Der Biologe hatte »merkwürdigerweise guten Kontakt mit einem der überlebenden Geldfälscher« des »Unternehmens Bernhard«, wie der ORF im Januar dieses Jahres berichtete.

Vor zwei Wochen nun wollen ein Anwohner und zwei Touristen einen Hubschrauber über dem Toplitzsee gehört haben, der bei schlechtem Wetter, mitten in der Nacht, Gegenstände aus dem Wasser gezogen habe. Diese seien dann heimlich per Lkw weggebracht worden, berichteten die Zeugen. Sonst hat zwar niemand etwas von dem »Phantomhubschrauber« mitgekriegt - aber wo nach Nazi-Dokumenten gesucht wird, darf es auch an Verschwörungstheorien nicht fehlen.