Werkschau von Verner Panton im Berliner Vitra Design Museum

König der Keinbeiner

Das Vitra Design Museum eröffnet seine Berliner Dependance mit einer Werkschau des dänischen Designers Verner Panton.

Tisch, Stuhl und Bett. Grundausstattung, lebensnotwendig. Wer kennt sie nicht, die Geschichte vom Mann, der zum Tisch Stuhl sagt, zum Bett Tisch - und der sich am Ende nicht mehr auskennt. Der Mann, um den es hier geht, heißt aber nicht Hildesheimer, sondern Panton: Verner Panton, dänischer Designer, geboren 1920 auf Fünen. Es geht nicht um die Auflösung der Begriffe, sondern um die Verschmelzung der Funktionen. Tischstuhlbett eben. Möbelensembles, die nicht nur multifunktional zu nutzen sind, sondern in letzter Konsequenz auch auf den Kopf gestellt noch Sinn machen.

Er könne es »nicht ertragen, in ein Wohnzimmer zu kommen und ein Sofa mit Sofatisch und zwei Sesseln zu sehen und zu wissen, dass man hier den ganzen Abend festsitzen« werde, sagte Panton rückblickend Ende der Neunziger. Was hier auf die 1964 produzierten »Flying Chairs« gemünzt ist - kojenartige Sitz- und Liegeschalen, die an Seilen befestigt von der Decke baumeln -, gilt erst recht für die dreidimensionalen Raumskulpturen des Pantonschen Designs der späten Sechziger und frühen Siebziger, in denen die Trennung in einzelne Möbelsegmente aufgehoben ist.

Auf der »Visiona 2»-Schau in Köln 1970 präsentierte Panton einen durch eine runde Öffnung betretbaren höhlenartigen Raum, der - vollständig aus wellenartigen, tropfenförmigen und ausgestülpten Schaumstoff-Formen gestaltet - mit bi-elastischem Dralon bezogen war. Fensterlos, durch hinter Stoff verborgene Lichtquellen kaum erhellt, stellen sich endoskopische Assoziationen ein. Orange, Aubergine, Rot, Zyklam, Violett und im äußeren Bereich auch ein kühleres Blau umfluten die Raummitte, in der ein Stehen gerade noch möglich ist. Die sich wölbenden und herabgleitenden Deckenelemente, die bruchlos anschließenden Wände und die gleichsam wabernden Bodenwellen lassen das Environment fast schwerelos aussehen. Für die Nachgeborenen scheint die »Phantasy Landscape« wie ein virtuell begehbares, surreales Bild - das Innere eines Raumschiffs aus dem ersten Star-Trek-Film nach der Kollision mit einem LSD-Meteoriten.

Ein zeitgenössischer Werbefilm des Kunststoffherstellers Bayer zeigt die User der Zukunft, die das cocooning de luxe in Pantons »Phantasy Landscape« proben: Ein Paar mit Stirnbändern beim psychedelischen Plausch, andere auf Abenteuerreise oder schlicht beim Bananenessen, um sich in dem eigenartigen Gehäuse heimisch zu machen. Körperpflege und Küche haben in dieser künstlichen Raumsituation keinen Platz. Panton sah sein Experiment - in den USA gab es die ersten Fertigmenüs, später die Mikrowelle - als wegweisend. Er sei überzeugt, dass »Kochen ein Hobby werden wird, komplette Menüs« kämen »fix und fertig aus der Fabrik«, und die Wohnung des vergesellschafteten Individuums sei nurmehr dazu da, »dass man sich von täglichen Zwang zur Leistung erholen kann«.

Die Assoziation des Science-Fiction-Films ist kein Zufall. Das Leben an Bord einer Raumkapsel erforderte die Möglichkeit, auf kleinstem Raum diverse Lebensbedürfnisse abdecken zu können. War die Mondkapsel eine Forschungssonde in amorphen, weil unbekannten Weltraumweiten, so ist der Mensch der Siebziger für Panton jemand, der sich auf Dralon-Hügel bettet und sich der Entspannung, seiner Libido und der Introspektion als Nesting im uteralen Futteral widmet.

Der Kontrast zwischen dem Ort, wo Pantons einstige Experimental-Möbel nun ausgestellt werden und den Möbeln selbst könnte kaum krasser sein. Es ist das ehemalige Abspannwerk Humboldt in Berlin Prenzlauer Berg. Hans Heinrich Müller, der das Gebäude als Chefarchitekt der Bewag 1926 erbaute, verbrämte die technischen Ungetüme, die das expansive Strombedürfnis des Groß-Berlin der zwanziger Jahre regelten, mit einer mystischen, neugotischen und mit orientalischen Stilanleihen dekorierten Fassade. Die den Naturgewalten ähnelnde, menschengemachte Elektrizität bekam hier eine Fassade, die zwar aus zweckmäßigem, stabilem Backstein gemauert und mit Klinker schlicht abgeschlossen war - die hohen, spitz auslaufenden Eingangsbögen aber, die chorartige Warte im Innern des Hofes und die schrägen Dach-Abschlussfriese geben dem Bau eine festungsähnliche und sakrale Aura.

In der ehemaligen Schalterhalle des Gebäudes befindet sich nun der Ausstellungsraum mit 1 000 Quadratmetern Ausstellungsfläche. Vielleicht etwas schmal geraten, sind im rechteckigen schlauchförmigen Areal auch noch ein Café und ein Ausstellungsshop untergebracht. Die Wände sind in weiß glasierter Kachelstruktur erhalten, einzelne Rangierelemente hängen als hübscher Anachronismus von der Decke.

Dies ist die erste von mehreren geplanten Filialen des Vitra Design Museums, dessen Mutterschiff in Weil am Rhein steht. Der Möbelproduzent Vitra begann in den frühen Achtzigern auszustellen, mit einer Sammlung von Design-Klassikern, die mittlerweile über dreitausend Stücke umfasst.

Doch die Möbel passen in das Abspannwerk. Denn Austauschbarkeit und Variationsfähigkeit gehören zu den Grundeigenschaften des Pantonschen Designs. Etwa beim »Living Tower«, einem raumhohen roten Polsterrahmen von 1969, in den rundum vier Kanapees eingebaut sind. Auf zungenartig einander entgegenragenden freien Tragelementen ähnelt das Sitz- und Liegeverhalten dem Beinebaumelnlassen auf einem Baumstamm an Ufer. Pantons Möbel waren zum Teil durchaus praktisch, nie aber dem Pathos reduktiver Schlichtheit verpflichtet.

Zum Symbol wurde der nach ihm benannte Stuhl. Nach Materialproblemen zu Beginn, einem ersten Entwurf in Schichtholz, folgte ein abgussförmiger ergonomischer Sitz, der die Bauhaus-Idee des Freischwingers in ein Allerweltsmöbel aus dem neuen Werkstoff Polyurethan umsetzte, später stabilisiert durch Glasfaser, produziert 1968 bis 1971. »Outside, inside, poolside, seaside, topside«, heißt es in einem Freischwinger-Werbeprospekt, »Vierbeiner, Dreibeiner, Einbeiner - Panton entwarf den Keinbeiner«. Noch war Plastik weit entfernt davon, billig zu sein. Der Stuhl, der eher einem in Stein geschmirgelten Thron mit ausgestellter Schleppe ähnelt, wurde bald omnipräsent in Werbung und Film. Sogar Amanda Lear posierte als Stripperin in einer Fotoserie vor dem Kunstmöbel mit der femininen Linie. Das Vogue-Cover mit Kate Moss von 1995 dagegen läutete bereits das Sixties-Revival ein. Heute stehen Objekte des 1998 verstorbenen Panton - der Ende der Sechziger gar das gesamte Spiegel-Verlagshaus mit Pop-Art-Dekors in ein Ensemble aus Tunnelgängen und kugelförmigen Decken- und Wandverschalungen in allen Knallfarben verwandelte - im Museum of Modern Art in New York.

Wir waren überzeugt, bald würden alle so wohnen, dachte Panton während der gesellschaftlichen Umwälzungen der Sechziger und Siebziger. Heute ist er noch im gestalterischen Bewusstsein, aber nicht mehr in den Wohnzimmern. Was ist passiert? Die Omnipräsenz der Kunststoffe im alltäglichen Leben ließ sie inflationär werden. Und nach dem Ölpreisschock wurden »natürliche« und ökologisch verträgliche Stoffe die neuen verheißungsvollen Zukunftsträger. Panton reagierte ironisch: 1978 stellte er »Hay Stack« aus, eine Landschaft, ganz aus Heuballen, dekoriert mit Yucca-Palmen.

Retrospektive Verner Panton. Vitra Design Museum Berlin. Kopenhagener Straße 58. Bis 15. Oktober