Fünfzig Jahre »Bayernkurier«

Redaktion ohne d

50 Jahre lang wurde im Bayernkurier die Freiheit verteidigt und der Kommunismus in die Schranken verwiesen - nun soll das Blatt verkauft werden.

Wenn man in einer linken SPD-Familie aufgewachsen ist, ungetauft in einem 300-Seelen-Bauerndorf mitten im tiefschwarzen Bayern, hat das eine gewisse Außenseiterstellung zur Folge - der Lieblingssatz der Nachbarskinder lautet etwa: »Was? Du bist nicht getauft? Dann hast du ja gar keinen Namen. Du Niemand! Du Niemand!«

Es bleibt einem aber auch viel erspart: Kein Vorplatteln im Trachtenverein, keine Pfarrerhände auf zitternden Ministrantenknien, keine exzessiven Saufgelage bei der Freiwilligen Feuerwehr. Man lebt auf einer kulturellen Insel, abgeschottet von der Außenwelt. Das fängt mit der Zeitungslektüre an: Bei uns lagen immer die Deutsche Volkszeitung und der Vorwärts auf dem Wohnzimmertisch, während um uns herum alle den Münchner Merkur lasen - und natürlich den Bayernkurier. Letzterer war geradezu das Sinnbild für die feindliche Welt da draußen. Auch wenn ich niemals einen Blick hineingeworfen hatte, so wusste ich doch von Kindesbeinen an, dass im Bayernkurier nichts Geringeres als das Böse an sich ein Sprachrohr gefunden hatte. Und das Böse in Bayern hatte für mich damals einen Namen: Franz Josef Strauß.

Er war es, der - damals noch als CSU-Generalsekretär - die CSU-Mitgliederzeitung 1950 ins Leben rief. »Der Bayernkurier wird einer christlichen Kulturpolitik und sozialer Gerechtigkeit das Wort geben und wird seine Arbeit auf Sachlichkeit gründen, sich aber nicht scheuen, mit unseren Gegnern ein offenes und deutliches Wort zu sprechen«, kündigte Strauß schon in der Gründungsnummer an. Und getreu diesem Motto schuf er eine Zeitung mit einer Redaktion, aus der man getrost das d hätte streichen können - beim Bayernkurier schrieb und redigierte die Reaktion in Person. Hier wurden die Freiheit gegen den Sozialismus verteidigt, der Ostblock samt seiner Fünften Kolonne SPD in die Schranken gewiesen und demokratische Staaten wie Chile oder Uganda vor ihren kommunistischen Feinden bewahrt.

Nach drei Jahrzehnten anstrengender Propagandaarbeit an der Medienfront zog sich Strauß schließlich vom Chefsessel zurück und setzte 1977 einen Strauß-Klon als Chefredakteur ein: Wilfried Scharnagel - mit ein paar Haaren weniger als sein Vorgänger, dafür genauso erzreaktionär. »Scharnagel schreibt, was ich denke, und ich denke, was Scharnagel schreibt«, soll FJS einst gesagt haben. Auch nach Strauß' standesgemäßem Dahinscheiden im fürstlichen Wald derer von Thurn und Taxis im Jahre 1988 verstand es Scharnagel, das Erbe von Strauß in Ehren zu halten. Der Bayernkurier schaffte es nicht nur, »sich nicht dem Zeitgeist zu beugen«, wie es Edmund Stoiber ausdrückte. Er widerstand dem Geist überhaupt.

Wo einst chilenische Regimegegner, die in Deutschland Schutz vor den Schergen Pinochets suchten, als »Gewalttäter und Mörder« beschimpft wurden, durfte nun ein Peter Gauweiler die deutsche Wehrmacht reinwaschen. Der CSU-Rechtsaußen empfahl im Bayernkurier Jan Philipp Reemtsma, er solle doch lieber eine Ausstellung »über die Toten und Verletzten, die der Tabak angerichtet hat, den er verkauft hat«, organisieren, statt über die Verbrechen deutscher Soldaten im Zweiten Weltkrieg.

Das war aber eigentlich auch das einzige Mal in den vergangenen Jahrzehnten, dass ein Artikel des Bayernkuriers für Aufregung sorgte. Ansonsten herrschte auf den Seiten jene einschläfernde Langweile, die man von allen Parteizeitungen kennt. Selbst der Großteil der 150 000 Pflichtabonnenten des Bayernkurier - eben alle CSU-Mitglieder - würde inzwischen gerne auf das wöchentliche Altpapier im Briefkasten verzichten. Eine Leserumfrage ergab, dass gerade einmal 37 Prozent das Blatt tatsächlich vermissen würden.

Doch der Bayernkurier ist nicht nur reaktionär und langweilig - er ist außerdem auch noch ein Riesenverlustgeschäft für eine Partei, die ohnehin schon mit rund 30 Millionen Mark in der Kreide steht. Auch mit den Anzeigenkunden schaut es schlecht aus - die Redaktion muss die Seiten Woche für Woche praktisch ausschließlich mit Text auffüllen.

Da musste dann schon mal die Politik nachhelfen, um dem Blatt das Geld der Werbekunden zuzuschustern: Als es noch ein Postministerium gab und das fest in der Hand der CSU-Spezl war, schaltete die Post regelmäßig großformatige Anzeigen. Und auch die Bayernwerke sponserten so den Bayernkurier, als sie noch dem Freistaat gehörten. Doch das half alles nichts. Es blieb ein jährliches Finanzierungsloch von vier Millionen Mark. Das kann und will sich die CSU nun nicht mehr länger leisten. Und nachdem ein verzweifelter Hilferuf an die Parteimitglieder, das Blatt doch mit einem Soli-Abo zu unterstützen, jämmerlich in die Binsen ging - statt der erhofften 30 000 fanden sich gerade mal 2 000 CSU-Mitglieder, die für den Bayernkurier etwas zahlen wollen -, will die Partei nun die Notbremse ziehen. Eigentlich sollte schon in der vergangenen Woche die endgültige Entscheidung über die Zukunft der Zeitung fallen, doch vermutlich aus Angst vor dem immer noch mächtigen Scharnagel wurde das Ganze noch einmal verschoben.

Zur Auswahl stehen zwei Alternativen: Entweder wird der Bayernkurier in eine normale Mitgliederzeitung umgewandelt, die dann aber höchstens einmal pro Monat verschickt werden soll. Oder er wird verkauft. Zwei Verlage sind im Gespräch: Springer und der Verlag der Augsburger Allgemeinen. Die Zeitung einfach einzustellen kommt jedenfalls nicht in Frage - erstens wegen Scharnagel und zweitens wegen der vielen anderen Angestellten, denn einen teuren Sozialplan für die Entlassenen kann sich die CSU ebenfalls nicht leisten.

Schade, wird sich da der eine oder die andere denken. Doch das ist falsch, denn der Bayernkurier ist wichtig. Eines Tages fuhr ich zum Politischen Aschermittwoch der CSU nach Passau. Und als ich mich da so durch die von Bier und Stoiber benebelten Volksmassen drängte, blieb ich an einem der zahllosen Stände hängen, an denen allerhand Strauß-Devotionalien feilgeboten wurden: Strauß-Anstecker, Strauß-Regenschirme, Strauß-Aufkleber, Strauß-Baseballmützen, Strauß-Krawatten - und die Sonderausgabe des Bayernkurier zum Tode von FJS. Ich konnte nicht anders, als sie zu kaufen, um darin Sätze zu lesen wie diese: »Er ist gestorben aus der Kraft und der Fülle des Lebens heraus, dessen Inhalt der Dienst für andere war.« Oder: »Niemand, mit Ausnahme einiger schäbiger und unbedeutender Randelemente des politischen und publizistischen Lebens, kann sich dem dramatischen Ernst der Stunde und dem Respekt vor einem Staatsmann entziehen, dessen politische Lebensleistung in weiten Teilen schon Geschichte geworden ist.« Und auch: »Franz Josef Strauß ist tot, die Eiche ist gestürzt - und Bayern ist verwaist.«

Und da erkannte ich: Was das CSU-Volk da allwöchentlich zu lesen bekommt, ist Poesie und Fiktion in höchster Vollendung. Es ist so: Bayern wäre ohne den Bayernkurier wirklich verwaist. Bayern ohne Bayernkurier, das wäre - um ein wahres Wort der Mittelbayerischen Zeitung zu zitieren - wie Kirche ohne Weihrauch: noch schwerer auszuhalten.