Busta Rhymes' »Anarchy«

Fin de siècle am Ende

Busta Rhymes hat das letzte Werk seiner Desaster-Tetralogie veröffentlicht - am Ende sind alle tot oder haben Jobs.

Wenn man sich im vergangenen Jahrhundert Busta-Rhymes-Platten anhörte, ging es einem ähnlich, wie wenn man Reportagen über retirierte Computer-Programmierer las, die sich mit drei Tonnen verstrahlungssicherer Konserven in der Wüste von Nevada eingebuddelt hatten, um den Y2K-Bug zu überleben: Was machen die, wenn die Welt nicht untergeht? Worauf läuft all das eigentlich hinaus, wohin gehen wir, was soll das alles - außer, dass es sich gut anhört, was schon ganz schön viel ist? Haben die alle einen Knall oder versteckt sich da irgendwo ein Konzept, ist in all dem finster dräuenden Unheil vielleicht sogar Kritik am herrschenden System enthalten? Oder war es so reaktionär wie die Philosophien des unmittelbar bevorstehenden Weltuntergangs es schon immer waren? Eine Art Wachturm des HipHop, mit Busta Rhymes in der Rolle des Jehova und seiner Posse Flipmode Squad als seinen Zeugen?

Auf der ersten Platte, »The Coming«, wurde Busta Rhymes geboren und sein Kommen angekündigt; auf der zweiten, »When Disaster Strikes ...«, wurde das große Desaster prophezeit, die Platte war von 1997 - es waren nur noch zweieinhalb Jahre Zeit; auf der dritten, »Extinction Level Event - The Final Front«, ließ Busta Rhymes schließlich die Welt pünktlich zum Millennium untergehen: Seuchen, korrupte Regierungen, Vulkanausbrüche und mies gelaunte Cyborgs, die sich von ihren gewinnorientierten und zynischen Herstellern losgesagt haben und jetzt durch die Gegend streifen, kündigten das Ende des Jahrtausends an.

Was jetzt? Wir leben noch, Busta Rhymes lebt noch - alles geht so weiter wie bisher. Eine Nachrichtensprecherstimme verliest Meldungen. New Yorker Cops haben jemanden erschossen, weil sie glaubten, seine Brieftasche sei eine Waffe; es geht um die Demonstranten, die gegen die Rückkehr Elians nach Kuba demonstrieren; eine Schießerei in einer High School; den Massenmord in Ruanda; Giulianis Rücktritt von seiner Senatoren-Kandidatur; die japanische Sekte, die Giftgasbehälter in die U-Bahn stellt und dreizehn Menschen umbrachte; noch einmal um einen unbewaffneten Schwarzen, der von der Polizei erschossen wird; 34 Millionen Menschen weltweit, die HIV-positiv sind. Dies ist die Welt, in der wir leben. Eine Welt ohne Ordnung, ohne Gesetz, ohne Glaube. Eine Welt, in der sogar der Untergang untergegangen ist. Dies ist »Anarchy«.

Anarchie also, der Zustand, den viele für Unordnung halten, was einige wenige regelmäßig zu Anmerkungen bringt, das sei ja gar nicht so, Anarchie stehe im Gegenteil für die Abwesenheit von Herrschaftsstrukturen und sei deshalb eigentlich ein Zustand, der anzustreben sei. Wie sieht das wohl Busta Rhymes, ist man versucht zu fragen.

Ein großes A ziert das Cover, eine Lexikondefinition von Anarchie ist danebenkopiert. Das Intro zeichnet die Welt in düsteren Farben, das Outro entlässt einen mit dem Selbstmord des Helden, nachdem alle anderen Menschen dahingerafft worden sind. Dazwischen wird man 75 Minuten und 20 Sekunden zugetextet. Ein Wortfluss, den man zusammenfassen könnte mit »I feel so fuckin' good, my people, so powerful!« und »Flipmode is da mothafuckin squad«. Flipmode, das sind Busta Rhymes' Kumpels, die Jungs, mit denen er im Studio abhängt, die auf seiner Platte ab und zu mitrappen dürfen und ansonsten immer »Yo!« rufen müssen oder dass Busta der Größte ist.

Dafür werden sie aber im Fall der Fälle auch verschont, denn der Anarchie, die sich rundum ausbreitet, gedenkt Busta Rhymes durch »Flipmode-World Domination« zu begegnen. Und dabei wird dann wohl der eine oder andere Posten abspringen.

Um all das bezahlen zu können, hat Busta Rhymes ein recht einfaches Prinzip: Das machen, was die anderen machen, bloß ein bisschen mehr übertreiben. Das war schon so, als er noch bei der Gruppe Leaders of the New School war. Durch ihren Namen setzten sich die Leaders einfach an die Spitze jener New School, die sich damals anschickte, den HipHop zu erneuern, und indem sie die Demonstranten auf dem Konvent der Demokratischen Partei von 1968 sampelten - »The whole world is watching!« -, nahmen sie frecherweise an, genauso sei es auch.

Später, als Ol' Dirty Bastard den Irrenrap einführte, ließ sich Busta Rhymes von Hype Williams vor sein Fish-Eye-Objektiv stellen und posierte als der zweite Wahnsinnige vom Dienst, als Puff Daddy sich mit Jimmy Page von Led Zeppelin traf, um ein Stück aufzunehmen, begab sich Busta Rhymes mit Ozzy Osborne ins Studio, und nun, wo die technoiden Sounds der Ruff Ryders und Swizz-Beats-Produzenten en vogue sind, lässt er sich von ihnen ein paar Stücke produzieren. Das ist immer ein halbes Jahr später als die ersten, oft eine halbe Klasse besser, und fast immer eine ganze Klasse erfolgreicher.

Und die Anarchie? Die Politik? Nun ja. Weltuntergang, gottgleiche Größe, schaustellendes Gewerbe. McLuhan, CIA, MTV. Am Ende läuft es doch darauf hinaus, dass Busta Rhymes - einen guten Kopf größer als alle Mitglieder seiner Flipmode Squad - bei der Verleihung der MTV-Awards auf der Bühne steht und in einem luziden, gänzlich unalbernen und trotzdem restlos von sich selbst begeisterten Moment der Welt zuruft: »HipHop is creatin' jobs out there!«

Busta Rhymes: »Anarchy«. EastWest