Underground-Ausstellung in Zagreb

Der Kapitalismus leert die Geschäfte

Mit der Ausstellung »What, how & for whom« öffnet sich Kroatien zum ersten Mal seit dem Zerfall Jugoslawiens dem künstlerischen Underground.

Vor der Kathedrale von Zagreb lassen sich junge australische Diaspora-Kroaten auf Heimatexkursion Arm in Arm mit der Militärpolizei ablichten. Und der Kinderchor bei einem Musikfest in der Innenstadt wirkt wie ein Import aus Nordkorea. Und Bekannte vor Ort wundern sich, wenn junge Männer in Kneipengesprächen mal nicht über Frauen oder die Nation sprechen. Die fast zehnjährige Herrschaft von Franjo Tudjman hat in der kroatischen Hauptstadt eine provinzielle Stimmung hinterlassen.

Für die Ausstellung »What, how & for whom« hat der kroatische Staat jedoch zum ersten Mal sein Misstrauen gegen alles, was im weitesten Sinne fremd ist, abgelegt und ein Projekt der Zagreber Undergroundkultur mit unterstützt. Die Ausstellung findet in der traditionsreichen städtischen Monumentalgalerie Dom Hdlu statt. 47 Künstler sind vertreten, die meisten aus ehemals kommunistischen Ländern, 20 aus Kroatien. Das Bedürfnis nach Kultur jenseits des vom Staat verordneten Traditionalismus ist groß: Bei der Vernissage drängelte sich schon lange vor Einlass eine illustre Mischung von meist jüngeren Leuten vor den Türen.

Die Ausstellung hätte das alte Regime zweifelsohne verärgert. Ist ihr Thema doch ausgerechnet das Kommunistische Manifest. Eigentlich sollte die Schau zum 150. Jubiläum des Erscheinens stattfinden, erklärt Kuratorin Natasa Ilic. Aber auch nach dem Ende des Kommunismus sei man eben immer noch zu spät. »Seit wir den Entschluss gefasst haben, sind eben leider wieder zwei Jahre vergangen und jetzt machen wir es eben anlässlich des 152. Jahrestags. Eigentlich halte ich das für ein nettes Detail. Während des Kommunismus waren wir bekanntlich immer zu spät - besser ist es wohl nicht geworden.«

Die Planungen begannen 1998, als der Verlag der Undergroundzeitschrift arkzin die erste postkommunistische Ausgabe des Manifestes veröffentlichte - mit einem Vorwort des Philosophen Slavoj Zizek, der den Text auf seine Aktualität hin abklopfte. Selbstverständlich freute man sich damals über die Aufregung in der neuen nationalistischen Nomenklatura - die Herausgabe war ein subversiver Spaß. Doch das Manifest war vor allem ein Dokument des völlig verdrängten Kommunismus. Gerade das machte es so attraktiv, meint Ilic: »Das Manifest war faszinierend, man musste sich einfach dafür interessieren. Denn in den letzten zehn Jahren wurde über die kommunistische Vergangenheit in Kroatien konsequent geschwiegen.

Zudem wurde mit dem Ende des Kommunismus ganz zu Unrecht auch gleich die ganze politische Ökonomie vergessen, meint Dejan Krsic - Chefredakteur des derzeit auf Eis liegenden arkzin-Projektes. »In den Gesellschaften, die man gern als 'Übergangsgesellschaften' bezeichnet, orientiert man sich immer an einer Gegenüberstellung von Totalitarismus und Demokratie. Dabei geht der Weg angeblich immer von der totalitären Gesellschaft zum demokratischen Staat. Aber niemand spricht von der Rückkehr vom Sozialismus zum Kapitalismus. Kapitalismus ist eben so eine Art blinder Fleck des Ganzen.«

Zwei Wochen vor der Ausstellungseröffnung wurde dieser blinde Fleck von einer Plakataktion der Künstlerin Andrea Kulincic thematisiert. An Litfasssäulen im Zentrum von Zagreb konnte man überall das wie eine Werbung aufgemachte Foto einer Arbeiterin sehen. Der Text dazu lautete: »Nama, 1908 Angestellte, 15 Filialen.« Nama ist ein Akronym von »Narodni magazin« - »Volksgeschäft« - und bezeichnete im alten Jugoslawien die größte Supermarktkette. In den neunziger Jahren haben sich andere, zumeist ausländische Unternehmen erfolgreich niedergelassen, während Nama unter Beteiligung der Regierung und der Banken systematisch zerstört wurde - vor allem um die großen innenstädtischen Immobilien gewinnbringend zu verkaufen. Die Künstlerin hatte die Plakate in Zusammenarbeit mit der gewerkschaftlichen Selbstorganisation der Angestellten entworfen. Die Ironie dieser Schein-Werbung für Nama ist, dass die Läden durchaus noch geöffnet sind, aber es dort nichts mehr zu kaufen gibt. Vier Stockwerke mit fast leeren Regalen - früher ein im Westen gern gezeigtes Symbol für die Engpässe im Sozialismus. Doch im früheren Jugoslawien hat es solchen Mangel nicht gegeben: Noch eine Ironie, meint Dejan Krscic, ausgerechnet der Kapitalismus bringt Geschäfte, die nichts zu verkaufen haben.

Ein Teil der Werke in der Ausstellung dokumentiert den wirtschaftlichen Übergangsprozess in den ehemals kommunistischen Staaten. Die Fotos von Boris Cvjetanovic etwa zeigen Arbeiter im Kroatien der achtziger Jahre - es sind Bilder, wie man sie in Westeuropa mit den Fünfzigern in Verbindung bringen würde; Bilder von schwerer, schmutziger Fabrikarbeit. Der Makedone Igor Tosevski wiederum inszeniert fotografisch den Schrott, den manche Fabriken in Skopje kurz vor ihrer Privatisierung produzierten. Der aus Bulgarien stammende Krasimir Terziev, der sich den muslimisch klingenden Künsternamen »Rassim« gegeben hat, nimmt sich des neuen wirtschaftlichen Individualismus an. Seine Arbeiten zeigen immer nur ihn selbst - wie er beispielsweise seinen Körper durch Hanteltraining verbessert oder wie er mit seinem Handy telefoniert.

So die Rückkehr der verdrängten Ökonomie zu inszenieren, wäre zu Tudjmans Zeiten vielleicht nicht einmal anstößig gewesen, daran dass die Ausstellung das verdrängte Jugoslawien zurückkehren lässt, wäre aber auf jeden Fall für Anstoß genommen worden. Denn zum ersten Mal seit zwölf Jahren sind wieder serbische Künstler in Zagreb zu sehen - so etwa die auch im Westen bekannte Milica Tomic.

In den Kreisen um arkzin gehören solche Grenzüberschreitungen zum Konzept. Mittlerweile haben sich die Aktivitäten von der Zeitschrift in den vor einem Monat eröffneten Internet-Club »Mama« verlegt. Der Club befindet sich im Zentrum Zagrebs in einem Innenhof. An den Abenden des Wochenendes ertönt aus der oberen Etage lautstark serbischer Turbofolk. Die Räume gehören nämlich der kleinen serbischen Minderheit in der Stadt. Krsic freut sich sichtlich darüber: »In der kroatischen Gesellschaft, die seit zehn Jahren ethnisch geschlossen war und wo eine Ideologie der reinen Nation propagiert wurde, wird so etwas augenblicklich bemerkt. In den Zeitungen standen schon Dinge wie: Das ist wohl ein Club von jungen Serben, die Hand ans Internet legen.« Solche Missverständnisse geben dem Club gewissermaßen einen Vorschuss auf die eigene Radikalität, meint Krsic. Und radikal soll es ja zugehen - radikale neue Technologie, radikale kulturelle Ausdrucksformen, radikales Denken.

Und so trifft man im »Mama« zwar keine kroatischen Serben, aber eine lebendige Szene hipper junger Leute. Der Club soll ein Knotenpunkt sein für die gesamte Szene der unabhängig vom Staat operierenden Gruppen, die unter Tudjman so etwas wie eine Gegengesellschaft gebildet haben, sagt Mitorganisator Petar Milat. Dabei haben arkzins preisgekrönte Gestalter dem Club ein fast schon zu zeitgemäß durchdesigntes Aussehen verpasst. In den ersten Tagen von »what, how and for whom« wurde im »Mama« ein Zusatzprogramm veranstaltet. Während dort etwa der Kurator Edi Muko über Kunst in Albanien referierte, versuchte sich im Hauptraum ein DJ an neuen Mixen. Derweil sind die Computer stets von Netzinteressierten belagert. Krach stört niemanden. Seit der Eröffnung hat es schon zwei Ausstellungen gegeben; Mitglieder des Clubs betreuen eine Beilage in der Wochenzeitung Zarez und bald soll ein Netradio an den Start gehen.

Welche neuen Gefahren diesem rhizomatischen Laboratorium in einem veränderten politischen Kontext drohen - diesmal vielleicht eher von Strategien der Vereinnahmung als solchen der Marginalisierung -, ist noch nicht abzusehen. Zur Zeit jedoch kann es dem Zagreb der Post-Tudjman-Ära sicher nichts schaden, wenn die überbordende Stimmung des »Mama« in der Stadt um sich greift.