Klaus Bednarz, Journalist

»Die Katholische Kirche will sich entziehen«

Das Gesetz über die Entschädigung von NS-Zwangsarbeitern ist beschlossen, der Schlussstrich ist gezogen - allein, es fehlt das Geld. Obwohl ohnehin nur ein Bruchteil des Entschädigungsfonds der deutschen Wirtschaft von Unternehmen aufgebracht werden muss, sind bislang von den versprochenen fünf Milliarden Mark gerade mal drei Milliarden eingezahlt. Freilich gäbe es da noch eine Finanzquelle, die bislang unerschlossen geblieben ist: die Katholische Kirche. Das WDR-Magazin »Monitor« hat in der vergangenen Woche erstmals Beweise für Zwangsarbeit in Klöstern und anderen klerikalen Einrichtungen vorgelegt. Die Katholische Kirche reagierte, wie zu erwarten war: »So was gab's bei uns nicht»; »wir werden das prüfen»; »wir werden uns natürlich der Verantwortung stellen»; »wir werden nicht zahlen.« Klaus Bednarz, ist Leiter der »Monitor»-Redaktion

In welchem Umfang hat die Katholische Kirche während der NS-Zeit Zwangsarbeiter beschäftigt?

Die Katholische Kirche hat 55 Jahre lang geleugnet, dass sie Zwangsarbeiter eingesetzt hat, oder sie hat es gewusst und wollte es nicht wahrhaben. Deshalb hat man auch noch keinen Überblick, wie groß die Zahl insgesamt gewesen ist. Sie dürfte aber nicht unerheblich gewesen sein, wenn man sich vor Augen hält, welche riesigen Besitztümer die Katholische Kirche auch während des Dritten Reiches hatte, die bearbeitet werden mussten. Und nachdem die zivilen Angestellten und auch die Mönche oftmals zum Wehrdienst eingezogen wurden, wurden dafür natürlich Zwangsarbeiter aus dem Osten, aber auch aus Holland, Frankreich und Italien eingesetzt.

Darüber hinaus gab es auch in anderen wirtschaftlichen Betrieben der katholischen Kirche Zwangsarbeiter: In der Hauswirtschaft, in Klöstern, in Kliniken. Überall wurde Personal eingesetzt, das aus Zwangsarbeitern rekrutiert wurde - das ist völlig unbestritten. Wie groß die Zahl insgesamt ist, das kann man im Moment noch nicht absehen. Eines der Probleme ist, dass der Großteil der Menschen, die damals zur Zwangsarbeit hier waren, heute nicht mehr lebt.

Wie ist »Monitor« auf die Spuren der kirchlichen Zwangsarbeit gestoßen?

Der gesunde Menschenverstand hat uns einfach gesagt, dass es nicht sein kann, dass fast die gesamte deutsche Wirtschaft Zwangsarbeiter beschäftigt hat und ausgerechnet ein Wirtschaftsunternehmen, wie es auch die Katholische Kirche ist, nicht. Das konnte nicht sein und dann haben wir mal angefangen, bei einzelnen Klöstern und kirchlichen Einrichtungen, von denen wir Hinweise hatten, näher nachzuschauen und da hat sich nun gezeigt, dass man in einigen Diözesen durchaus zur Kooperation bereit war - oder besser gesagt in einzelnen Klöstern.

Wir hatten zuvor in Polen Menschen gefunden, die als Zwangsarbeiter in deutschen Klöstern gearbeitet hatten. Von einem dieser Zwangsarbeiter hatten wir nicht nur seine Aussage, sondern auch eine schriftliche Bestätigung, dass er von 1940 bis 1945 in einem deutschen Kloster Zwangsarbeit leisten musste. Das haben ihm die Nonnen nachträglich schriftlich bestätigt. Dabei handelt es sich um einen Mann, der heute 78 Jahre alt ist. Er musste während des Krieges im Dominikanerinnenkloster St. Joseph im oberbayerischen Dießen am Ammersee Zwangsarbeit leisten. Er hat dann lange nach dem Krieg sich an die Nonnen gewandt und die haben ihm im Jahre 1983 einen Brief zurückgeschrieben. In dem steht: »Wir erinnern uns noch sehr gut an Sie. Sie waren damals ein junger Mensch. Wie geht es Ihnen?«

Gab es weitere Zwangsarbeiter, mit denen Sie gesprochen haben?

Wir haben bei unseren Recherchen in Polen außerdem eine Frau gefunden, die heute in Breslau lebt. Sie ist als neunjähriges Mädchen mit ihren Eltern als Zwangsarbeiterin nach Deutschland gekommen - in die Benediktinerabtei Ettal. Daraufhin sind wir nach Ettal gefahren, haben dort in der Gemeindekartei nachgeforscht und haben dort tatsächlich den Namen der Familie gefunden. Wir sind anschließend auch ins Kloster gegangen, wo uns der Klosterarchivar sehr bereitwillig seine Bücher geöffnet hat. Und in den Büchern des Klosters haben wir dann auch den Namen der Zwangsarbeiterfamilie gefunden.

Wie hat die Katholische Kirche auf die »Monitor»-Recherchen reagiert?

Das Benediktinerkloster in Ettal hat es ja in der vergangenen Woche schon zugegeben. Sie haben offiziell erklärt, sie hätten Zwangsarbeiter beschäftigt - Polen, Ukrainer, Russen, aber auch Franzosen. Andere Diözesen, z.B. in Paderborn, versuchen noch zu mauern. Auch das Erzbistum in Köln, wo Zwangsarbeiter nach einem Bombenangriff den Kölner Dom reparieren mussten, ist alles andere als kooperativ. Aber wir haben auch festgestellt, dass der Druck von der kirchlichen Basis größer wird. Uns hat eine ganze Reihe von Mönchen immer wieder gesagt, sie könnten auch nicht verstehen, warum sich die Katholische Kirche in dieser Frage so hartherzig anstellt.

Und nachdem inzwischen auch der Sprecher der Deutschen Bischofskonferenz zugegeben hat, dass man erstens Zwangsarbeiter beschäftigt hat und dass es zweitens weitere kirchliche Einrichtungen gegeben hat, wo Zwangsarbeiter eingesetzt gewesen sind, wird die Katholische Kirche nicht umhin können, bald generell zu diesem Thema Stellung zu nehmen. Und sie muss dann auch erklären, wie sie sich in Zukunft verhalten wird.

Der Sprecher der Bischofskonferenz, Rudolf Hammerschmidt, hat erklärt: Eigentlich sei es für ihn nicht überraschend, dass NS-Zwangarbeiter bei der Kirche beschäftigt waren. Bei der weitverzweigten Struktur der Katholischen Kirche seien Fälle von Zwangsarbeit zu erwarten gewesen. Er hätte niemals gewagt zu sagen, es sei nichts gewesen.

Diese Aussage wundert mich schon sehr, denn ich habe noch Hammerschmidts Erklärung von Anfang letzter Woche vor Augen. Da hat er in den »Tagesthemen« gesagt: Man wisse nichts Genaues, man müsse erstmal prüfen und im Übrigen sollten zunächst die in den Entschädigungsfonds für NS-Zwangsarbeiter zahlen, bei denen mit Sicherheit Zwangsarbeiter gewesen sind. Also das sind nun alles Rückzugsgefechte. Aber es ist ganz klar, dass die Haltung der Katholischen Kirche bis Anfang letzter Woche war: Nein, wir wissen von nichts, aber wir werden mal prüfen.

Soll sich die Katholische Kirche also am Entschädigungsfonds der deutschen Wirtschaft für NS-Zwangsarbeiter beteiligen?

Natürlich. Alle Parteien des Bundestages haben ohne Gegenstimme beschlossen, dass das eine moralische Verpflichtung sei - und ausgerechnet die Katholische Kirche, die sich seit 2 000 Jahren die Moral in ganz besonderer Weise auf die Fahnen geschrieben hat, will sich dem entziehen. Das ist nicht nachvollziehbar. Auch nicht vor dem Hintergrund, dass es ja eine ganze Reihe von jungen deutschen Unternehmen gibt, die zum Teil erst vor wenigen Jahren gegründet worden sind, die nichts mit der Nazi-Zeit zu tun haben, die aber sagen, wir treten dem Fonds bei. Und die katholische Kirche, die nachweisbar Zwangsarbeiter beschäftigt hat, sagt Nein.

Hat sich die Evangelische Kirche anders verhalten als die Katholische?

Die Evangelische Kirche hat bereits erklärt, sie werde dem Entschädigungsfonds beitreten und zehn Millionen Mark zahlen. Sie hat auch zugegeben, dass bei ihr Zwangsarbeiter beschäftigt gewesen seien - in der Diakonie, in ihren landwirtschaftlichen Betrieben und auch in den Krankenhäusern. Man muss allerdings schon sagen: Die Evangelische Kirche hat auch nicht viel mehr zur Aufklärung beigetragen als die Katholische. Da waren die keinen Deut besser. Aber sie hat, als die ersten Dinge bekannt wurden, sofort reagiert und hat gesagt: Wir stellen uns dem und wir treten dem Fonds bei.