Warum der Bundeskanzler zu everybody's darling geworden ist

Wie im Ortsverein

Es gibt ja immer irgendwelche jungen Leute, die unbedingt Schülersprecher werden wollen. Und das, obwohl man als Chef der »Schülermitverantwortung« rein gar nichts zu sagen hat, weil die Entscheidungen eine Etage höher im Direktorium gefällt werden. Trotzdem bedarf es einer abgefeimten Strategie, um Schülersprecher zu werden oder zu bleiben: Damit man auf der Klassensprechervollversammlung in der Aula am Ende die meisten Stimmen auf sich vereinigen kann, muss man schon das eine oder andere Wahlversprechen machen und die unterschiedlichen Interessengruppen entsprechend ködern. Die Älteren mobilisiert man mit einem neuen Kaffeeautomaten und einem großen Sommerfest (ganz wichtig: mit Bierausschank). Den Kleinen verspricht man, dass mehr Spielflächen auf dem Pausenhof eingerichtet werden.

Keine Ahnung, ob Gerhard Schröder als Schülersprecher angefangen hat. Aber er war Chef der Jusos, was das Gleiche ist. Heute ist Schröder Kanzler, darf die Deutschland AG verwalten und er beherrscht das in jungen Jahren gelernte Machtspiel immer noch meisterhaft. Wie er da bei der Steuerreform die Front der widerständigen Bundesländer aufgeknackt hat - Hut ab.

Der Kanzler ist jedem ein bisschen entgegengekommen und zum Schluss hat er die fehlenden Stimmen einfach gekauft. Die Union und die FDP mit Geld und die Schmuddelkinder von der PDS mit dem Versprechen, dass sie bald auch mit den Großen spielen dürfen: Die demokratischen Sozialisten werden, der Kanzler hat's versprochen, bei der Rentenreform mit am Tisch sitzen. Damit sie dort ihre sozialistischen Grundsätze einbringen dürfen, haben sie mal eben die Senkung des Spitzensteuersatzes auf 42 Prozent abgesegnet.

Die Union steckt jetzt freilich ordentlich im Schlamassel. Gegen das, was Schröder da macht, kann sie ja eigentlich gar nichts haben, schließlich hat sie 16 Jahre lang die gleiche Politik verantwortet. Deshalb wollten Merz und Merkel Schröders Steuerreform im Bundesrat eigentlich nur ein bisschen und nur vorübergehend blockieren, im Herbst aber dann zustimmen und als ihren eigenen Erfolg verkaufen. Das ist voll in die Hose gegangen, weil den CDU-Landespolitikern ihr Job als Ministerpräsident, Innenminister oder Kultursenator dann doch wichtiger war als die Parteidisziplin.

Die Schwesterpartei CSU ist über diese Haltung schwer verärgert. Schließlich hat man sich an der Isar noch vor kurzem ernsthafte Hoffnungen auf einen Kanzler Stoiber gemacht. Das aber kann man sich beim derzeitigen Zustand der CDU getrost abschminken. Angesichts der Disziplinlosigkeit der Christdemokraten fordern die Bayern personelle Konsequenzen, etwa die Ablösung des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Eberhard Diepgen. So manch einer der CDU-Abweichler habe ja ohnehin »seinen politischen Zenit schon überschritten«, findet auch der CSU-Landesgruppenchef im Bundestag, Michael Glos.

Nicht das einzige wahre Wort aus dem Freistaat: Ausgerechnet Stoibers Wadenbeißer Erwin Huber, dem Chef der Münchner Staatskanzlei, bleibt es vorbehalten, zu sagen, was von Schröders Politik tatsächlich zu halten ist: Sie sei schlicht unsozial - von der 630-Mark-Regelung über die Ökosteuer bis zum Inflationsausgleich bei der Rente. Während Angela Merkel irgendwas von »kontrollierter Offensive« faselt, um zu retten, was zu retten ist, redet Huber Tacheles: »Wir müssen die Regierung stellen und nicht streicheln.«

So was würde man doch gerne mal wieder von den Gewerkschaften hören. Doch auch die hat Schröder längst im Sack. »Die Verabschiedung der Steuerreform wurde einhellig von Arbeitgebern und Gewerkschaften begrüßt«, meldet die Süddeutsche Zeitung. Und: »Auch die Börse reagierte positiv.« Im Direktorium ist man mit Gerhard Schröder offenbar zufrieden.