Der Fußballtrainer Eduard Geyer

So schön war die DDR

Der Cottbusser Trainer Eduard Geyer versucht, den alten Sport-Mief in die Bundesliga zurückzubringen.

Organisiertes Sporttreiben ging früher so: In den Umkleidekabinen stank es nach ungewaschenen Füßen, durchschwitzter Kleidung und vergammelndem Holz, während man in der Halle oder draußen auf dem Platz Übungsleitern ausgeliefert war, die nichts lieber taten als laut Kommandos zu schreien. Und Verbote zu formulieren: einen anderen Turnanzug als die anderen zu tragen, dazwischenzureden, wenn die Autoritätsperson etwas vormacht, lieber am Stufenbarren zu üben als sich auf dem Boden zu verrenken oder vielleicht auch nur, hin und wieder fünf Minuten zu spät zu kommen.

Während es in den Umkleidekabinen auch heute noch stinkt, hat sich bei den Übungsleitern Einiges geändert. Geschrien wird nicht mehr und Verbieten ist verboten, der Umgangston hat nichts mehr mit dem Fünfziger-Jahre-Kasernenhof-Geschnarre zu tun. Sport soll schließlich Spaß machen - in den Vereinen, die sich sehr bemühen, ihr Mief-Image abzulegen.

Selbst bei den Fußball-Profis waren die Trainer jahrelang verpönt, die als »harte Hunde« respektive »Schleifer« ihre Sportler stundenlang durch den Wald hetzten oder Straftraining mit 100 Liegestützen anordneten. Wer als Vereinsverantwortlicher so jemanden verpflichtete, konnte mit Spieler-Aufständen und gehässigen Zeitungskommentaren rechnen und auch damit, dass die meisten Kicker sich nach anderen Arbeitsplätzen umsahen.

Moderne Trainer setzten schließlich eher auf Motivation, Teamwork und Laktatanalysen als darauf, ihre Kicker rundzumachen. Fast überall - nur in der DDR konnte man Anfang der neunziger Jahre noch durchweg Übungsleiter beobachten, die ihre Spieler unverdrossen anschrien, zum Straftraining abkommandierten und um die Bahn hetzten. Nicht mehr lange allerdings, dann mussten auch diese Schleifer beschäftigenden Vereine wegen massiver Spielerabwanderungen einsehen, dass Kasernenhof-Ton und Kicker-Schinden nicht mehr gefragt waren.

Nun ist der alte Sport-Mief jedoch wieder da: »Endlich! Trainer greifen durch!« jubelt die Sport-Bild in ihrer Nummer zum Bundesligastart und fragt auf dem Titel: »Sollen Stars Schuhe selber putzen? Oder grundsätzlich gefragt: Kehrt die Bundesliga zu Anstand und Disziplin zurück?«

Ausgerechnet Eduard Geyer, Trainer des höchst unsympathischen Bundesliga-Aufsteigers Energie Cottbus, wird bejubelt. Ein Mann, der darunter leidet, dass DDR-Trainer - wahrscheinlich wegen ihres altmodischen Führungsstils - nicht besonders begehrt sind und entsprechend Ausländer ihnen die Arbeitsplätze wegnehmen: »Man wollte sich nicht die Konkurrenz ins Land holen, die Bundesliga-Klubs holten viel lieber einen Jugoslawen oder einen Kroaten als einen Ost-Trainer.«

Auch von der Nationalelf hat Geyer klare Vorstellungen: »Es geht nicht um Einzelne, sondern ums Gesamte, um die Nationalelf, um Deutschland« und entsprechend hart müsse jetzt durchgegriffen werden. Hart durchzugreifen mag Geyer sowieso am liebsten, und, so ist zu vermuten, geschrien wird bei ihm auch sehr viel: »Bei Geyer fühlt man sich an die guten alten deutschen Eigenschaften erinnert wie Anstand, Ordnung, Sauberkeit. Aber das muss ja nichts Schlechtes sein«, freut man sich bei der Sport-Bild jedenfalls über den Mann, der einmal Auswahltrainer der DDR war und noch immer seine alten Ansichten hat: »Bei mir sitzt kein Spieler in der Mannschaftssitzung mit der Seltersflasche herum, oder ein anderer hat eine Mütze auf. Er hat ordentlich dazusitzen«, erklärt der Coach stolz. »Genauso erwarte ich von meinen Spielern, dass sie ihren Arsch mal lüften, wenn der Trainer in den Raum hereinkommt. (...) Das gehört doch zum Anstand dazu.«

Und überhaupt war früher alles viel besser, damals, als die Spieler noch ihre Schuhe selber putzten. Heute dagegen muss Eduard Geyer nicht nur gegen faule Spieler, sondern auch gegen die Versuchungen des Kapitalismus kämpfen: »Ich verachte es einfach, wenn Spieler nur an Aktienkurse oder Videos denken. Das ist doch nur Scheiß!« Ebenso wie lange Haare, eigentlich: »Mit Tomislav Piplica habe ich einen Spieler im Kader, der mit seinen langen Haaren wie ein Pirat aussieht. Aber er hat das Herz am richtigen Fleck. Ansonsten kotzen mich Spieler an, wenn sie drei Ohrringe tragen. Oder wenn der Spieler mit einem Pferdeschwanz ankommt und aussieht wie ein« - na, was wohl? Genau: »Mädchen, aber dann keinen Ball trifft.«

So einfach ist er also zu beenden, der »Sittenverfall in der Bundesliga« (Sport-Bild). »Jetzt aber beginnen harte Zeiten für die Herren Millionäre. Denn die Bundesliga-Trainer haben keine Lust mehr darauf, den Kopf hinzuhalten.« Die acht Übungsleiter, die Geyers harten Kurs eigentlich als allgemeingültig bestätigen sollen, scheinen jedoch nicht alle Lust aufs Schleifen zu haben. »Es gibt eine Anweisung, sich über Kollegen, Verein und Trainer nicht negativ zu äußern. Ich greife durch, wenn sich ein Spieler nicht entsprechend verhält, sei es in Gesprächen, notfalls mit Strafen«, erklärt Ottmar Hitzfeld und führt weiter aus, dass Pünktlichkeit wichtig sei, »wenn eine große Gruppe funktionieren soll.« Ein Ohrring-Verbot und Frisurvorschriften sollen jedoch bei Bayern München einstweilen nicht eingeführt werden. Auch Lorenz-Günter Köstner vom Zweitligisten Unterhaching scheint wenig bereit, Geyer Recht zu geben. Als schlimmes Spieler-Vergehen nennt er: »Wenn einer die Fußpflege vernachlässigt, sich nicht massieren lässt. Da erkundige ich mich bei der Physiotherapeutin!«

Nur Frank Pagelsdorf scheint ein ähnlich ekliger Trainer zu sein wie Geyer - aber Pagelsdorf kommt schließlich auch aus dem Osten. Handys sind bei seinem HSV verboten, »wenn ein Spieler seinen Ball nicht vernünftig aufgepumpt hat, zahlt er 20 Mark Geldstrafe. Wenn er verschwunden ist, zahlt er den Ball.« Auch mit verschärftem Straftraining muss man als HSV-Kicker jederzeit rechnen. Nach einem mit 0:5 verlorenen Testmatch gegen den Regionalligisten Darmstadt ließ Pagelsdorf seine Kicker anderthalb Stunden lang Tempoläufe üben: »Was im Spiel versäumt wird, wird im Training nachgeholt.« Nur das Schuheputzen bleibt den HSV-Spielern erspart: »Dafür haben wir einen speziellen Schuhwart.«

Mit der von Sport-Bild propagierten harten Welle gegen »die Millionarios« wird es also in absehbarer Zeit nichts werden. Umso interessanter dürfte es sein, die Spieler des FC Energie Cottbus zu beobachten. Wie lange dauert es bei denen wohl, bis die Aufstiegs-Euphorie vorüber ist und man feststellt, dass andere Vereine trotz des fehlenden DDR-Sport-Miefs erfolgreich sein können? Wann werden die Cottbusser Spieler einfach sitzen bleiben, wenn ihr Trainer die Kabine betritt, und wer wird der erste sein, der mit drei Ohrringen aufläuft?

Olaf Marschall vom 1. FC Kaiserslautern, der in der DDR Auswahlspieler unter Geyer war, erklärte jedenfalls: »Zum Schuheputzen: Das ist, als wenn ich von Herrn Geyer verlange, dass er wieder Trabbi fährt. Man kann die Zeit nicht mehr zurückdrehen. (...) Wenn Eduard Geyer verlangt, dass die Spieler aufstehen, wenn er in die Kabine kommt, dann kann ich nur sagen: Er war zu lange beim Polizeiverein Dynamo Dresden.« Und überhaupt: »Alle fordern doch immer mehr Kreativität von deutschen Fußballern - und mit sowas erzieht man die nicht an. Das sind bei Geyer alles Relikte aus einer alten Zeit.«