Gegengift im Regenwald

Militäreinsätze gegen Koka-Bauern: Mit dem Plan Colombia mobilisiert Kolumbiens Präsident Pastrana internationale Hilfe gegen die Guerilla.

Korruption, Gewalt, Drogen - wenn US-Präsident William Clinton am 31. August seinem kolumbianischen Amtskollegen Andrés Pastrana eine Visite abstattet, ist er mit allem konfrontiert, was dem Klischee lateinamerikanischer Staaten entspricht. Noch immer sind die Friedensverhandlungen mit der Farc und dem ELN, den beiden Guerilla-Organisationen im Lande, nicht zum Abschluss gekommen, noch immer dominiert der Handel mit Kokain und Heroin, ganz zu schweigen von den Morden der Paramilitärs und der wirtschaftlich prekären Lage des Landes.

Das weiß man in den USA zu nutzen: 1,3 Milliarden Dollar Militär- und Finanzhilfe hat der Kongress Ende Juni genehmigt, um Pastranas Plan Colombia zu unterstützen. Im Mittelpunkt dieses 7,5-Milliarden-Projektes, das Pastrana selbst ins Leben gerufen hat, steht die Bekämpfung von ELN und Farc, die beide größere Landstriche kontrollieren. So zumindest ordnen die linken Guerilleros das Vorhaben ein.

Nicht zu Unrecht. Rund 930 Millionen Dollar und damit 70 Prozent der US-amerikanischen Gelder werden nur für die Aufrüstung der kolumbianischen Streitkräfte mit modernen Hubschraubern und neuen militärischen Einheiten ausgegeben. Der Kampf gegen Drogenhändler wurde von US-amerikanischen Spezialisten inspiriert. Den EU-Staaten bleibt es überlassen, institutionelle und politische Reformen zu unterstützen und so genannte humanitäre Hilfe zu leisten.

Dabei sind die Zeiten schlecht für große Pläne. Pastrana steht in der Mitte seiner vierjährigen Mandatszeit vor einer Reihe von Schwierigkeiten. Seine Popularität ist deutlich gesunken, die regierungstreue Allianz im Kongress ist zusammengebrochen und das Kabinett muss reorganisiert werden. Die Zeitschrift La Semana spricht folglich von einer »beispiellosen Regierungskrise«.

Sichtbare Änderungen begannen am 7. Juli, als der Finanzminister Juan Camilo Restrepo abgesetzt und durch den ehemaligen Außenhandelsminister Juan Manual Santos Calder-n ersetzt wurde. Die Ernennung von Santos, einem Mitglied der Liberalen Partei, sollte offenbar helfen, die Verantwortung für die derzeitige schlechte Wirtschaftslage zu verlagern. Wenige Tage später reichten die verbliebenen 15 Minister ihre Rücktrittserklärungen ein und erlaubten es Pastrana, das Kabinett neu zu strukturieren. Der Präsident nutzte die Gelegenheit, um eine Regierung der nationalen Einheit zu entwerfen. Er ließ einige Ministerposten neu besetzen. Im Kabinett amtieren nun neun Konservative, vier Liberale sowie drei Unabhängige. Faktisch aber änderte sich das Kräfteverhältnis nicht.

Und auch nicht Pastranas Ansehen. Eine kürzlich vom Meinungsforschungsinstitut Gallup durchgeführte Umfrage zeigt, dass 64 Prozent der Kolumbianer Pastranas Arbeit missbilligen. 77 Prozent sind unzufrieden mit seinem wirtschaftspolitischen Vorgehen. Auffällig ist, dass nach dieser Analyse 78 Prozent gegen die Friedensbemühungen mit der Guerilla votieren und 77 Prozent dem Versuch widersprechen, Abkommen mit den Paramilitärs zu schließen.

Seinen Plan Colombia stellt der Präsident gern als eine umfassende Anstrengung dar, die den Kampf gegen Drogenhandel und unerlaubten Koka-Anbau sowie die Förderung neuer Kulturen ebenso einbezieht wie soziale Programme und Friedensverhandlungen. Und er signalisierte, dass Kolumbien selbst vier der notwendigen 7,5 Milliarden Dollar aufbringen werde.

Pastrana rechnet mit weiteren zwei Milliarden Dollar, die vor allem aus Europa kommen sollen. Doch bislang misstraut man hier sowohl seiner wechselnden Politik von Repression gegen und Verhandlungen mit der Guerilla wie auch der US-amerikanischen Militärhilfe. »Es existiert das Gefühl, dass der Plan ein grundlegend militärischer ist und man uns bitten wird, das Desaster zu bereinigen, das die US-Amerikaner hinterlassen werden«, sagte ein europäischer Diplomat.

Dennoch erhielt Pastrana bei einem Treffen der potenziellen Spender am 7. Juli in Madrid von einigen europäischen Ländern sowie Japan Zusagen über insgesamt 871 Millionen Dollar. Die Europäische Union verschob allerdings die Entscheidung über ihren Beitrag zum Plan Colombia. Ohnehin kommen nur zwölf Prozent des versprochenen Geldes aus den EU-Staaten.

Man setzt hier eher auf soziale Programme und Alternativen zum Koka-Anbau. Gegenüber der Militarisierung der Drogenbekämpfung sind viele EU-Staaten skeptisch, weil sich damit der Bürgerkrieg verschärfen wird. Und man baut auch auf die Guerilla. So konnten Vertreter der Farc im Februar durch europäische Staaten reisen, um sich über demokratische Regierungsmodelle zu informieren. Für die ELN machte sich regelmäßig der ehemalige deutsche Geheimdienstkoordinator Bernd Schmidbauer stark.

Einwände gegen den Plan Colombia kommen auch von mehr als 50 kolumbianischen sowie internationalen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und Gewerkschaften, die sich gleichzeitig mit den Geberländern im Juli in Madrid getroffen hatten. Sie forderten, den Plan zu revidieren.

Die NGOs protestierten zudem gegen die chemischen Angriffe der Koka-Felder aus der Luft, die Nutzung von Pilzen sowie anderer Methoden, um den illegalen Anbau zu beenden. Schließlich pflanzten die Bauern Kokain lediglich an, um zu überleben. Selbst der ehemalige Außenminister Augusto Ramirez Ocampo musste einräumen, dass weder der Ersatzanbau noch die chemische Zerstörung bisher erfolgreich gewesen seien, weil keine andere landwirtschaftliche Nutzung in dieser Zone mit dem Kokain konkurrieren könne. »Es muss darum gehen, den Bauern neuen Boden zu besorgen, auf dem sie Produkte kultivieren können, die für sie genauso lukrativ sind«, erklärt Ocampo.

Auch der ecuadorianische Staat, der sich 600 Kilometer Grenze mit Kolumbien teilt, ist ein harter Kritiker des Plan Colombia. Wenn die militärischen Operationen verstärkt werden, so befürchtet man, könnten sie zu einem internationalen Konflikt ausarten. Solche Befürchtungen sind nicht unbegründet, zumal die USA ihre Anti-Drogen-Operationen aus einer Militärbasis im ecuadorianischen Manga leiten.

Der Außenminister von Ecuador, Heinz Moeller, kündigte denn auch jüngst an, sein Land werde die Grenze zu Kolumbien verteidigen, sowohl durch eine verstärkte ökonomische Entwicklung in der Region als auch mit einer militärischen Spezialeinheit. Moeller rechnet mit Tausenden von Flüchtlingen, die nach Ecuador einreisen werden.

Seit zwei Monaten warnt das Hohe Flüchtlings-Kommissariat der Vereinten Nationen davor, dass die Zerstörung der Koka-Kulturen im Süden Kolumbiens zur Vertreibung von 20 000 bis 30 000 Personen führen wird. Die meisten von ihnen würden wahrscheinlich nach Ecuador ziehen.

Selbst die Befürworter der Anti-Drogen-Aktionen können nicht ernstlich behaupten, sie seien erfolgreich gewesen. Die Nationale Rauschgift-Behörde Kolumbiens etwa schätzt, dass der illegale Koka- und Mohnanbau trotz der bisherigen Einsätze um 33 Prozent gestiegen ist. Die chemischen Angriffe schaden auch dem angeschlagenen ökologischen System. Das aber sei »das ökologische Verbrechen der Drogenhändler«, erklärte Carlos Perdomo, der Sprecher der Nationalpolizei, gegenüber Journalisten, während er aus einem Hubschrauber auf die entwaldeten Hügel und Täler zeigte.

Dabei verschlimmern die Einsätze den Umweltschaden nur noch. Koka- und Mohnbauern ziehen sich nicht etwa zurück, wenn ihre Kulturen zerstört werden. Im Gegenteil: Sie fällen mehr Bäume und pflanzen neue Parzellen, oder sie warten ein Jahr lang und bebauen dann denselben Boden.

Seit Mitte der neunziger Jahre sind die Koka-Produzenten in den amazonischen Urwald eingedrungen, um den chemischen Maßnahmen zu entgehen. Und jeder neue bepflanzte Hektar erfordert, dass drei entwaldet werden. »Beim Mohnanbau haben wir eine Wiederbepflanzungsrate von ungefähr 40 bis 50 Prozent«, bestätigt Oberst ƒdgar Orlando Barrero, der Leiter des polizeilichen Programms zur Bekämpfung des unerlaubten Anbaus.

Kolumbiens neue Wege in der Drogenpolitik ließen zunächst allerdings noch Schlechteres befürchten. Die Regierung hatte im Rahmen des Plan Colombia versuchsweise den Gebrauch des Pilzes Fusarium oxysporum erlaubt, um den Koka-Anbau in den Griff zu bekommen. Nach entsprechenden Forderungen der US-amerikanischen Regierung hatte das Uno-Drogenkontrollprogramm vorgeschlagen, mit dem im Gen-Labor entwickelten Pilz zu experimentieren. Gemeinsam mit den USA und der Uno-Behörde sollte in Kolumbien ein Feldversuch gestartet werden.

Doch daraus wird zunächst nichts. Weil auch das Uno-Kontrollprogramm keine Sicherheitsgarantien geben konnte, hat die kolumbianische Regierung ihm jetzt eine Absage erteilt. Nun werde man, so ließ Umweltminister Juan Mayr am vergangenen Wochenende wissen, selber nach heimischen Arten suchen, die Kokapflanzen befallen und vernichten. Die fast 120 000 Hektar Koka-Anbau sollen zerstört werden, ohne andere Bereiche der Flora oder auch Menschen anzugreifen. Ein auskömmliches Leben ist den Bauern deshalb noch lange nicht garantiert.