Antirassistische Strategien

Antifa heißt Zeitgeist

Die Linke muss den Ruck gegen Rechts nutzen, um gesellschaftliches Terrain zurückzugewinnen.

Die Partei, die Partei, die hat immer Recht - und im Zweifelsfall die Szene. Natürlich haben Linke schon Jahre vorm aktuellen Betroffenheitsrausch, der nach der Absage ihrer Demos anscheinend selbst die NPD erfasst hat, vor den Umtrieben neofaschistischer Schläger und ihrer Vordenker gewarnt. Linksradikaler Basis-Arbeit ist es zu verdanken, dass Nazi-Strukturen aufgedeckt, Fascho-Demos verhindert sowie Opfer rechter Gewalt unterstützt wurden - und das ist gut so. Ob es um die kulturelle Hegemonie rechter Jugendlicher in der ostdeutschen Provinz ging oder um die national befreiten Zonen - was für LeserInnen des Antifa-Infoblatts schon Mitte der neunziger Jahre ein stehender Begriff war, wird so mancher westdeutsche Linksliberale dieser Tage zum ersten Mal aus seinem Stammblatt erfahren haben. Das ist gut so.

Denn zu oft schon haben Linke bei ihrer politisch meist frustrierenden Kleinarbeit in Antifa- und Antira-Gruppen die größeren gesellschaftlichen Zusammenhänge aus dem Blick verloren. Das »Wir haben es schon immer gewusst« diente stets der Versicherung der eigenen Bedeutung - und nicht dem Versuch, linkes Denken, linke Praxis in breiteren Kreisen attraktiv zu machen. Antifa heißt halt meistens noch, am eigenen Tellerrand zu stoppen. Und wer meint, die heile kleine Szene-Welt sei angesichts der gerade massenhaft stattfindenden Aneignung antirassistischer Binsenweisheiten irgendwie bedeutsamer geworden, will nur nicht wahrhaben, dass die radikale Linke seit Jahren an gesellschaftlichem Terrain verloren hat und weiter verliert. Nie war es leichter, gegen Rechts zu sein, als in diesem Sommer. Wozu braucht man da noch Linke?

Weshalb nur liest man dieser Tage auf all den antirassistischen Doppelseiten immer noch weniger über die Antifa-Gruppen, die seit Jahren gegen Rechts mobilisieren, als über all die neuen bunten Bürgerbündnisse? Wieso wandert die Staatskohle weiter in die Kassen von SOS Rassismus und anderen Gruppen, die sich im Zweifelsfall an jene halten, die das Geld verteilen? Warum fordern nicht Antifas den Bimbes ein, die Bewilligungsanträge müssten sie sich doch nur abholen? Woher kommt die Scheu, anzuerkennen, dass die Beschränkung politischer Arbeit auf die immergleichen Kreise eben auch nicht der Weisheit letzter Schluss und am Ende immer spießig ist? Taktisch äußerst selten von Bedeutung, strategisch zu verachten, so sieht der Normalzustand der deutschen Linken aus - seit mindestens zehn Jahren. Wen das im Jahr 2000 immer noch nicht stört, der kann natürlich weitermachen wie bisher. So pflegt er zwar die eigene Lebensart, hilft aber niemandem.

Deshalb hat die Linke beim Ruck gegen Rechts auch nichts zu verlieren außer ihrer Selbstbeweihräucherung. Am 8. November 1992, nach den Anschlägen von Rostock, Solingen und Hoyerswerda, demonstrierten in Berlin 300 000 Menschenrechtler für den Artikel 1 des Grundgesetzes, aber nur 300 Autonome für den Artikel 16. Heute wie damals laufen die gesellschaftlichen Veränderungen an der Linken schlicht vorbei.

Statt das Bündnis zu benennen, das in dunkelbraunen ostdeutschen Gemeinden schon von der PDS zur NPD reicht, fangen Linksradikale immer wieder von vorn an - Hauptsache, der Glaube an die eigene Radikalität bleibt gewahrt. Die penetrante Selbstüberschätzung linker Kriegsgegner im vergangenen Jahr hat die deutsche Mobilisierung gegen Jugoslawien ebenso wenig beeinträchtigen können, wie das Beharren auf den alten Szene-Sitten im Kampf gegen Rechts den Einfluss der Zivilgesellschaftler heute mindert. So wie die staatliche Antifa 2000 irgendwann im Herbst still und leise zu Ende gehen wird, so wird sich auch die Linke im Stillen die Augen reiben können und fragen, weshalb das Asylrecht schon wieder eingeschränkt werden soll.

Die Überschätzung der eigenen Relevanz führt immer zu falschen Schlüssen. Die Linke sollte den großen Ruck gegen Rechts deshalb nutzen, sich ihrer Ratlosigkeit bewusst zu werden, statt ein Weiter-So in den alten Nischen zu propagieren. Deshalb müsste endlich Schluss sein mit den Berührungsängsten - ran an die staatlichen Geldtöpfe! Schließlich hört Linkssein nicht beim Lebensstil auf.