Deutschland, einig Antifa

Die Braunzone als Phantasialand

In der Debatte über Rechtsextremismus muss die Gesellschaftstheorie für allerlei Unfug herhalten. Randnotizen

Deutschland in der Mobilmachung gegen Rechts. Nicht als einzige, aber schön übersichtlich listete die Zeit in der vorletzten Woche auf, was wir tun müssen. Viel mehr »Präsenz zeigen« soll die Polizei, »Verbote« aussprechen sollen die Innenminister, »schnell urteilen« und »maßgeschneidert strafen« müssen die Gerichte, »Nazimusik« muss die Polizei abstellen, »Nazikommerz« muss es mit der Steuerfahndung zu tun bekommen, »Einwanderung debattieren« müssen wir alle, »Diskriminierung beseitigen« muss der Staat, »Initiativen unterstützen« die Politik, »Geld geben« die Regierung. Enthalten war in der Liste auch noch »null Toleranz« für Nazi-Symbole, »die Wirtschaft« (muss die Sorge um den Standort ernst nehmen), »die Schule« (ist »der ideale Ort, um über Rechtsextremismus zu reden«) und »Politische Bildung«, vor allem für Ostdeutsche.

Über dem Zeit-Artikel - er erschien auf der Titelseite - stand: »Kampf den Nazis«, und darunter: »Der Kampf gegen die Nazis muss auf allen Ebenen geführt werden ...« Die Verletzung diverser autonomer/antifaschistischer Copyrights ist kein Zufall, sie bekräftigt vielmehr ein Kooperationsangebot des liberalen Bürgertums: Volksfront gegen Nazis zu unseren Bedingungen. »Bei Bündnissen gegen rechts dürfen Antifa-Initiativen, soweit sie gewaltfrei bleiben, und auch die PDS nicht ausgegrenzt werden.«

Während die exklusive Aktionsplattform der Zeit auf »demokratische Repression« setzt und in diesem Sinne als kohärent-staatstreue Rationalisierung gehobener sozialer Interessen geradezu identifiziert werden will, hebt andernorts, und vor allem links, ein ziemlich bewusstloses Raunen über das Verhältnis zwischen Nazis, Staat und den verschiedenen Abteilungen der Gesellschaft an.

Unter der Überschrift »Lasst euch nicht beruhigen durch schöne Worte« war in der DKP-Zeitung Unsere Zeit zu lesen, durch ihre einschlägige Geschichte (Volksgerichtshof, KPD-Verbot) sei die deutsche Justiz sicherlich zu reaktionär, ein NPD-Verbot zu erlassen. Statt Vertrauen auf den Staat sei das »einheitliche Handeln aller Demokraten, das endliche Aktivwerden der Gewerkschaften und anderer demokratischer Kräfte überfällig«. Völlig unbeeindruckt von der Tatsache, dass sich ansehnliche Teile der Gewerkschaften gegen die Greencard und für die deutsche Arbeiterschaft ins Zeug legten, wird unter Berufung auf Schillers »Wilhelm Tell« eine Kampfparole ausgegeben, die in einem bei den Kommunisten üblichen Sinne humanistisch und damit bündnisfähig, ansonsten aber etwas deplatziert wirkt: »Wir wollen trauen auf den höchsten Gott und uns nicht fürchten vor der Macht der Menschen.« Im Kontrast zu dieser esoterischen Leier steht die Zeit-Redaktion als Hort antifaschistischer Militanz da.

Auch die taz-Redaktion wollte etwas tun und hat ein Bündnis ins Leben gerufen. In Kooperation mit kompetenten Designern und ein paar Firmen wurde die Aktion »Z steht für Zivilcourage« ins Leben gerufen. Möglichst viele Menschen sollen das Emblem, ein orangefarbenes »Z« auf schwarzem Hintergrund, demnächst durch die Gegend tragen. Auch die Präsentation dieser Idee ging nicht ohne eine Portion Gesellschaftstheorie über die Bühne. Etwas verhuscht, aber getragen von einem tiefen Ernst schrieb für die Redaktion Barbara Junge: »Statt Sozialdarwinismus und postmodernem Zynismus brauchen wir heute die Wiederbelebung des Gedankens der Zivilgesellschaft« - ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, dass der postmoderne Sozialdarwinismus grün-libertärer Wirtschaftsquerdenker innerhalb der eigenen Redaktion einen festen Wohnsitz hat, und zwar genau im Ressort Zivilgesellschaft. Das ist bei der Zeit nicht anders, aber dort hielt man im Aufruf zur »demokratischen Repression« tunlichst die Klappe zu solch komplizierten Fragen der Sozialkritik.

Wirklich zu ihrem Recht kommt die Gesellschaftstheorie abseits der Debatte um Sofortmaßnahmen. Statt zu untersuchen, weshalb und inwieweit sich die Nazi-Mörder als Vollstrecker eines Volkswillens begreifen (können), geht man hier a priori vom sozialpsychologischen Befund der verletzten Seele aus. Selbst jemand wie Eberhard Seidel, der erkannt hat, dass Rassismus und Antisemitismus in den Zentren der Gesellschaft zu Hause sind, gibt der rotgrünen Bundesregierung und insbesondere Kanzler Gerhard Schröder via taz den Tipp, endlich von der Ästhetik des Aufsteigers zu lassen.

Das ständige Gerede von »Optimismus, Fortschrittsglauben, Modernisierung« komme etwa in den »subproletarischen Vierteln einstiger Hochburgen der Sozialdemokratie« schlecht an und führe zur Abwendung von der SPD. »Viele sympathisieren mit rechts, viele pflegen ihr Ressentiment gegen den Türken von nebenan.« Gefragt seien Integration, Solidarität, Partizipation: »Sollte sich Gerhard Schröder dieser Herausforderung stellen, hat er gute Chancen, zu einem Kanzler zu werden, an den man sich ebenso gern erinnert wie an Willy Brandt.« Abgesehen davon, dass Schröder gerade deshalb so populär ist, weil er auf die kleinen Leute nur portionsweise und kostenlos (Holzmann) Rücksicht nimmt, klingt das verdächtig simpel nach: An der Spitze muss einer stehen, den die Ausgegrenzten und Bedrohten glaubwürdig finden können.

Einer, der die Sozialpsychologie der verletzten Seele nach Mölln, Rostock und Solingen mit eiserner Unnachgiebigkeit vertreten hat, der Bielefelder Sozialforscher Wilhelm Heitmeyer, wird natürlich auch jetzt wieder in den Zeugenstand gerufen. Letzte Woche erzählte er einem Interviewer der Zeit zum x-ten Mal, »wem inmitten der Modernisierungsdynamik die Anerkennung genommen« werde, »wer also zum Verlierer wird oder zu werden droht, wird sich Anerkennung woanders schaffen«, nämlich z.B. in Nazi-Gruppen, in denen die Folterung von Ausländern ein Handwerk von hohem Ansehen ist.

Heitmeyer nennt das »neue, emotionalisierte Integrationsangebote«. Eine wünschenswerte Integration hingegen sieht so aus: »Dass die Menschen zum Beispiel Zugang haben zu Arbeit, dass sie an öffentlichen Debatten teilhaben können, dass sie in sichere soziale Zugehörigkeiten eingebettet sind.« Das innerste Kennzeichen solcher endlos wiederholten kapitalismuskritischen und keynesverliebten Analysen ist die obskure Ansicht, die Marktwirtschaft werde lediglich mit der verkehrten Ideologie betrieben, und die Folge sei der Rassismus der Verlierer.

Zur letzten Zuspitzung der These, das Totschlagen von Ausländern sei lediglich die bewusslose Antwort auf andere Schweinereien, hatte die Redaktion des Freitag vorletzte Woche den Chefarzt einer psychotherapeutischen und psychosomatischen Klinik in Halle eingeladen. Hans Joachim Maaz schrieb, »eine entfesselte Leistungsgesellschaft«, die Kinder »vorwiegend autoritär, lieblos oder beziehungsarm behandelt«, erzeuge »spätere Gewalttäter«. Wenn diese Gewalttäter auf Ausländer losgehen, meinen sie etwas ganz anderes.

»Rechtsextremistische Gewalttäter mit ihrem Hass tragen auf primitive und brutale Weise aus, was in der Gesellschaft längst kultiviert ist: der Konkurrenzdruck, der Konsumzwang, der Terror durch Fülle und Vielfalt, die suggestive Nötigung durch die Werbung, die Überflutung und Verführung durch äußere Reize, die im Straßenverkehr ausagierte Gewalt, der Stärkekult, die Gewaltverherrlichung in Comics, Videospielen und Filmen, die 'Kultur' der Katastrophen-Nachrichten und Negativmeldungen, der gnadenlose Leistungssport, die Idolverherrlichung, aber auch die mit Gift, Stahl und Strahl vor allem symptomatisch behandelnde Medizin, der über alle Maßstäbe hinausdrängende Forscherdrang und die entwürdigende Bürokratisierung der Gesellschaft.«

Moderne Nazis kämpfen also unterbewusst gegen die Werbeindustrie, gegen Konsumzwang und für die sanfte Medizin: Eine solch sensible und vielschichtige Begründung für Mord und Totschlag war selten zu lesen, aber der Psychosomatiker hat noch mehr zu bieten: »Die Nazis brauchten die Juden, die Kommunisten den Klassenfeind, die heutigen Rechtsradikalen die Ausländer, und wir alle brauchen im Moment die Rechtsradikalen, um von der wachsenden Fehlentwicklung der Gesellschaft und dem eigenen Anteil daran abzulenken.« Und die Rechtsradikalen brauchen folglich Psychosomatiker, die ihnen erklären, was sie schon aus grundsätzlichen Erwägungen heraus niemals denken würden: dass sie die Juden von heute sind.

Willkommen im linken Phantasialand. Hier kann man über alles reden.