»Unterbrochene Karrieren«

Rosebud forever

»Unterbrochene Karrieren« - eine Retrospektive widmet sich den feministischen Arbeiten der 1993 verstorbenen Hannah Wilke.

Uschi Obermeier leistete sich 1970 die Kommune I, um den Spießern in und außerhalb der Studentenbewegung zu zeigen, dass man als Frau, die mit ihrem Körper Geld verdient, nicht notwendig auch auf den Kopf gefallen sein muss. Weil sie allerdings nicht dabei war, als Frauen Tomaten auf die SDS-Häuptlinge warfen, stattdessen Rainer Langhans liebte, gilt sie bis heute als Groupie, nicht als Aktivistin der Apo. Die New Yorker Künstlerin Hannah Wilke focht zur gleichen Zeit einen ähnlichen Kampf.

Zwar ist es nahezu selbstverständlich, dass Models einen wohlgeformten, erotischen Körper haben, kommt aber eine Künstlerin mit attraktivem Aussehen und auch noch nackt daher, so steigt Argwohn auf. Uschi Obermeier und Hannah Wilke waren derselben Aburteilung ausgesetzt, dass Schönheit nicht mit Intelligenz, geschweige denn mit politischem, feministischem Engagement gepaart sein könne. Obermaier wird dies kaum betroffen haben, Wilke dagegen schon; spielte sie doch in ihren Performances, fotografischen Arbeiten und performalistischen Selbstporträts, womit Uschi Obermeier zum gut bezahlten Top-Model wurde: mit Posing. Sei es nun in ihrer Fotoserie »Hannah Wilke Super-T-Art«(1974) oder in »S.O.S. Starification Object Series« (1974) und vor allem in der Performance im Philadelphia Museum of Art »Through the Large Glass« (1976) - ihr körperliches Agieren ahmt die Modefotografie nach. Da die feministische Bewegung in den Siebzigern erst am Beginn ihrer medienkritischen Analysen stand, wurden Wilkes Arbeiten nicht als subversives Spiel mit den Stereotypen der Mode-Industrie (und ihren kunsthistorischen Tradierungen) gelesen.

Mit der Ausstellung »Unterbrochene Karrieren: Hannah Wilke 1940-1993« wird eine Künstlerin gewürdigt, die 1993 an Lymphdrüsenkrebs starb. Damit widmet sich das Projekt »Unterbrochene Karrieren« der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK) zum ersten Mal einer Künstlerin, die nicht an den Folgen von Aids gestorben ist. Das ist - sollte überhaupt jemand so denken - keine Aufweichung des Konzeptes, sondern die notwendige Berücksichtigung einer Krankheit, die immer noch tödlich verlaufen kann.

Die Kooperation zwischen der NGBK und dem Kunstamt Schöneberg macht es möglich, Hannah Wilkes Arbeiten in zwei großzügigen und teilweise großartigen Ausstellungen zu präsentieren. Das Schöneberger Haus am Kleistpark zeigt Skulpturen, frühe Fotoarbeiten und Videos. In der NGBK ist die letzte Arbeit von Hannah Wilke, die Fotoreihe »Intra-Venus-Series« (1991-1992) nahezu vollständig zu sehen, hinzukommen Videointerviews mit ZeitgenossInnen Wilkes. Und dank eines ausgezeichneten Katalogs können entlang der Arbeit der Künstlerin zugleich die letzten 30 Jahre feministischer Kunstproduktion rekapituliert werden.

Auch wenn es zunächst so scheint, als ob Hannah Wilkes Blick auf Bilder des Weiblichen erst über die Modefotografie zu den kunstgeschichtlich tradierten gelangt, sind Anspielungen fast auf die kanonisierte Moderne doch offensichtlich. Gleich am Eingang im Haus am Kleistpark ist als Video zu sehen, was gelegentlich als Striptease hinter Marcel Duchamps so genanntem Großen Glas bezeichnet wird. Aber nur weil sich eine Frau sukzessive auszieht, wird daraus noch lange kein Striptease. So wie Duchamps »La mariée mise à nu par ses célibataires, même« ( »Die Braut, von ihren Junggesellen nackt entblößt, sogar«; 1915-1923) aus diversen disparaten Teilen besteht - Braut, Junggesellen, Schokoladenreibe -, die lose mit einander verbunden sind, so werden in der Performance von Wilke im Akt des Entkleidens immer neue statische Posen lose miteinander verknüpft. So hat das Video eher ein fotografisches denn ein filmisches Setting. Und dann dieser Anzug, dieser Hut, diese Weste. Cremefarben! Diese Kleidungsstücke verweisen nicht nur auf Dada-Dandy Duchamp, sondern auch auf den New Yorker Ober-Dandy Tom Wolfe, der in den Siebzigern als Journalist Karriere machte.

Gegenüber der Videoprojektion hängt im Haus am Kleistpark eine Fotografie aus der Fotoserie »So Help Me Hannah« (1978-1984). Hier steht Hannah Wilke auf einer Maschine und zielt mit einem Revolver auf ein Gegenüber außerhalb des Bildes. Die mechanoiden Körperbilder der New Yorker und Pariser Dadaisten werden hier ebenso zitiert wie die Junggesellenmaschine und die surrealistische Tat, mit dem Revolver auf alles zu schießen, was sich bewegt.

Aber es geht eben auch darum, dass die Maschinen mit Bildern des Weiblichen assoziiert sind. Auch hier gibt es keine Eindeutigkeit; es ist nicht möglich, die Fotoserie mit dem immer wieder ins Bild gesetzten Revolver ausschließlich als eine Abrechnung mit ihrem Liebhaber Claes Oldenburg oder mit den Abstrakten Expressionisten, die die die Kunstszene damals beherrschten, zu interpretieren.

Wilke stellt mit diesen Arbeiten die Söhne wieder in eine Genealogie der Vorväter und verweist darauf, dass ihre Kollegen mit tradierten Bildern von Weiblichkeit durch die Welt laufen. »Rosebud« - so der Titel einer rosafarbenen Latex-Skulptur aus dem Jahre 1976 - könnte zugleich als Motto über diesen mühevollen, redundanten und insistierenden Arbeiten über die verfertigten Bilder des Weiblichen stehen, mit denen sich Hannah Wilke zu dieser Zeit herumplagte. Nicht (nur), weil hier die Universal-Weiblichkeitsmetapher »Rosenknospe« angesprochen ist, sondern auch das gesuchte Wort in »Citizen Kane«, das sich wie ein dauerhaft ungelöstes Rätsel großer Faszination erfreut.

Bleibt das letzte Kapitel der Arbeiten von Hannah Wilke, die Serie »Intra-Venus«, die - begleitet von Zeichnungen ihres Gesichts und ihrer Hände - in der NGBK ausgestellt ist. Das Scharnier zwischen den in den beiden Häusern gezeigten Arbeitskomplexen bilden drei Fotografien dieser Serie, die im Haus am Kleistpark durch »So Help Me Hannah« vertreten ist. In ihrer letzten Arbeit, in der sie ihren nackten, von der Krankheit gezeichnet Körper fotografierte, zitiert Wilke Motive ihrer früheren Arbeiten. »Kahl, nackt, aufgeschwemmt und von Chemotherapie und Knochenmarksbehandlungen entstellt, an intravenösen Schläuchen hängend, legte Wilke noch einmal ihr ganzes Rüstzeug stereotypischer Posen an. Ein aufgemachtes, die alten Posen zitierendes Playmate zeigt uns erneut die Frau, in ihrer ganzen Herrlichkeit, wie sie gegen die Entweihung ihres Körpers durch die Krankheit kämpft, diesen Tod ablehnt und ihren Platz behauptete.«

So sieht Judith Barry diese Arbeit, und ihre Interpretation zeigt beispielhaft die Problematik, den Bildgegenstand - den nackten, kranken Körper einer Frau - von der Inhaberin dieses Körpers, Hannah Wilke, zu trennen. Warum fällt es leichter, angesichts eines gesunden jungen Körpers über die frühen Arbeiten zu schreiben wie Isabelle Graw: »Statt diese Bilder jedoch primär biografisch zu erklären, könnte es aufschlussreicher sein, nach ihrer Einbettung in die damaligen künstlerischen Normen zu fragen. Denn der biografische Ansatz vermag letztlich nicht zu begründen, warum sie so und nicht anders aussehen.« Geht es um den kranken und sterbenden Körper erscheint eine distanzierte Sicht als ein Tabubruch. Dabei gilt für die späteren Arbeiten das Gleiche wie für die der siebziger Jahre. Die Entscheidung, frühere Posen zu zitieren, musste Hannah Wilke treffen, so auch die Entscheidung, sich nackt, mit gespreizten Beinen in einer Badewanne liegend, fotografieren zu lassen. Oder: statt mit weißen Sandaletten nun mit weißen Frottelatschen, statt mit üppiger Mähne nun kahlköpfig zu posieren.

Selbstverständlich ist die Sicht von Barry eine höchst humane und mitfühlende, zugleich aber auch eine, die die vor dem Tod entstandenen Arbeiten aus der Perspektive nach dem Tod interpretiert. Die Interpretin selbst scheint den Schock bannen zu wollen, wenn sie von der »ganzen Herrlichkeit« dieses Körpers schreibt: »Indem sie sich mit dem sterbenden Körper ihrer Mutter auseinandersetzte, traf sie auf den für Frauen furchtbarsten Archetypus, nämlich den der alten Frau - krank, entstellt und häufig geringschätzig behandelt.« Entstellung oder Herrlichkeit ist hier keine Frage von Krankheit, sondern von Alter.

Vielleicht ist es ja möglich, eine Frau zu sehen, die sich in den siebziger Jahren geweigert hat, ihre Achselhaare zu rasieren - in den USA! -, weil diese ebenso zu ihrem Körper gehörten wie die Pflaster und Schläuche in den letzten Jahren. Und vielleicht - Rosebud forever - wollte Hannah Wilke auch zeigen, dass 20 Jahre später die stereotypen Bilder des Weiblichen immer noch wirken, gerade weil sie sich am kranken Körper brechen.

Unterbrochene Karrieren: Hannah Wilke 1940-1993. Berlin, Kunstamt Schöneberg/ Neue Gesellschaft für Bildende Kunst. Bis zum 8. Oktober