Norman Finkelsteins »The Holocaust Industry«

Zweierlei Holocaust

Zur Kritik an der Instrumentalisierung der Judenvernichtung: Während Moshe Zuckermann Ideologiekritik betreibt, stoppelt Norman G. Finkelstein eine Verschwörungstheorie zusammen.

Spricht man mit israelischen Linken über den Holocaust, kann es schnell vorkommen, dass man sich in der absurden Situation wiederfindet, mit dem Gegenüber die Konsequenzen aus der Vernichtung der europäischen Judenheit diskutieren zu müssen. Man ist sich einig, dass der Holocaust ein singuläres Ereignis darstellt, und unterscheidet sich, wenn es um die israelische Politik gegen die Palästinenser geht. Denn es gibt den befremdlichen Vorwurf von Teilen der israelischen Linken an die israelische Regierung, die Verfolgungsgeschichte zu wiederholen, und zwar diesmal als Täter. Und er hat seinen Grund nicht allen in der Wut darüber, dass es in Israel, wie es ein ehemaliger Funktionär der kommunistischen Partei ausdrückte, schon genügt, nicht allen Arabern den Tod zu wünschen, um als links zu gelten, sondern ist Ausdruck einer tiefen moralischen Verbitterung. Zum einen über die kaltschnäuzige Haltung gegenüber den Palästinensern, zum anderen über den Umgang mit der Erinnerung an die Shoah in Israel.

Moshe Zuckermann, Leiter des Instituts für deutsche Geschichte in Tel Aviv, benutzt dafür den Begriff der heteronomen Instrumentalisierung des Holocaust, d.h. seiner Inanspruchnahme für politische Zwecke, die mit seiner Geschichte nichts zu tun haben. Oder wie es Hanno Loewy einmal in Bezug auf Deutschland formulierte: »Immer wieder wird versucht, dem Leiden einen identifikatorischen Gehalt abzugewinnen.«

Zuckermann, der durch seine Nähe zum arabisch-jüdischen Bündnis für Frieden und Gleichberechtigung Hadash in Israel politisch ein Außenseiter ist, kritisierte 1994 in »Shoah ba Cheder ha-Atum« (»Die Shoah im gasdichten Raum«) die israelische Tendenz, die Bedeutung des historischen Geschehens von Auschwitz partikular zu verstehen - »Es soll nie wieder uns passieren« -, anstatt ihm gesamtzivilisatorische Bedeutung beizumessen und daraus die Konsequenz zu ziehen: »Es soll nie wieder passieren«.

Norman G. Finkelsteins Kritik in »The Holocaust Industry«, das hierzulande schon vor der Übersetzung ins Deutsche so viel Aufsehen erregt hat, besitzt dieselbe Stoßrichtung - allerdings mit einem wesentlichen Unterschied. Zuckermann, den die Funktion des Gedenkdiskurses für staatliche Selbstvergewisserung interessiert, schreibt diesem eine von den Intentionen des Sprechenden unabhängige Eigendynamik zu. »Kollektive«, so Zuckermann, vereinnahmen notwendig »die Vergangenheit für kontemporäre heteronome Zwecke«, und somit besteht »immer eine notwendige Diskrepanz zwischen der eigentlichen Vergangenheit des Kollektivs und deren bestimmten Gestaltungen im Kollektivgedächtnis«.

Finkelstein dagegen polemisiert und personalisiert. Überall wittert er böse Absichten, Bereicherungsgelüste und Ruhmsucht. Wo Zuckermann Ideologiekritik betreibt, führt Finkelstein eine wütende Attacke gegen sämtliche jüdischen Institutionen, die mit der Erinnerung zu tun haben und braut eine Verschwörungstheorie zusammen, wonach israelische und amerikanische Juden sich zusammengeschlossen hätten, um unter der Führung der Claims Conference Europa finanziell und moralisch auszuplündern.

Man könnte dies als absurd, potenziell antisemitisch, als Munition für Rechtsradikalismus usw. von sich weisen, wenn Finkelstein nicht von einer doppelten Ausplünderung sprechen würde: der Ausbeutung der Opfer des Holocaust durch die »Holocaust Industry«.

Seine Position der Kritik ist die des selbstlosen und authentischen Sprechers der Opfer, die von den Institutionen, die vorgeben, ihre Interessen zu vertreten, verraten worden seien. Er verweist auf seine Eltern, Überlebende des Warschauer Ghettos und der Konzentrationslager, die sich angewidert von dem »öffentlichen Spektakel«, zu dem das Reden über den Holocaust verkommen sei, abgewandt hatten: »Die gegenwärtige Kampagne der Holocaust-Industrie, die im Namen der ðbedürftigen Holocaust-OpferÐ Geld aus Europa herauspresst, hat die moralische Größe ihres Märtyriums auf das Format eines Monte Carlo Casinos herabgewürdigt.«

Von dieser moralischen Position aus bringt Finkelstein zwei Vorwürfe zusammen, die in der Koppelung, wie er sie vornimmt, zu revisionistischen Schlüssen führt. Finkelstein polemisiert auf zwei Ebenen: Auf der theoretischen konstatiert er einen Unterschied zwischen dem Sprechen über den Holocaust und der Vernichtung der europäischen Juden als historischem Ereignis. Die Entkoppelung des Diskurses von historischen Fakten werde bewusst betrieben, und der Diskurs habe die Form eines »intern kohärenten Konstrukts« angenommen. Die Polemik auf der zweiten, der politischen Ebene stützt sich auf diese These und behauptet, dass mit diesem bewusst hergestellten Konstrukt, »Dem Holocaust«, wie er ihn nennt, die Ausplünderung der westlichen Welt gerechtfertigt werde.

Bei Finkelstein stellt sich das so dar, als sei »Der Holocaust« ein beliebiges Argument, mit dem jüdische Organisationen unter Führung der Jewish Claims Conference zu Lasten der Opfer ganz eigennützige Ziele verfolgen: die persönliche Bereicherung ihrer Vertreter und die Durchsetzung politischer Zwecke, die nicht der Kompensation der Opfer dienen, sondern etwa jüdischer Siedlungspolitik in den palästinensischen Gebieten.

Die Tücken dieser Argumentation sind vielfältig. Nur zwei Punkte: Als Beleg für seine These, dass »Der Holocaust« bewusst als »perfekte Waffe (...) in einem Macht-Spiel, in dem es um höchste Interessen geht«, geschaffen worden sei, führt Finkelstein an, dass Israel erst seit dem gewonnenen Krieg im Juni 1967 als Bündnispartner für die USA interessant geworden sei, um amerikanische Interessen in der Region zu verteidigen. Ab diesem Zeitpunkt sei es für amerikanische Juden möglich gewesen, offen zionistische Positionen einzunehmen, ohne einer »doppelten Loyalität« bezichtigt zu werden. Im Gegenteil: Damit habe man demonstrieren können, »an der Frontlinie nicht nur Amerika, sondern die westliche Zivilisation gegenüber den zurückgebliebenen arabischen Horden zu verteidigen«.

Auch für die Vereinigten Staaten habe die Übernahme des Konstrukts »Der Holocaust« Vorteile gebracht. Man habe sich als Fürsprecher der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus aufspielen und sich so gegen Kritik an der eigenen Vergangenheit, etwa der Indianer-Vertreibung, immunisieren können. Hier verbindet sich das Brückenkopf-Theorem, das man in Deutschland unter dem Slogan »Israel raus aus Palästina« kennt, mit der Idee, die man in der Jungen Freiheit nachlesen kann, dass die amerikanische »Indianerpolitik« das Vorbild der deutschen »Judenpolitik« gewesen sei.

Der zweite Punkt indes wiegt schwerer. Finkelstein sträubt sich gegen die Einsicht, dass der Holocaust ein singuläres Ereignis ist. Für ihn ist diese Position nichts anderes als das ultimative Argument, jegliche Kritik an jüdischen Organisationen zu unterbinden, und ein Freibrief für diese, unverhältnismäßige Forderungen zu stellen. Nebenbei werde mit diesem Argument die Lehre negiert, die aus Auschwitz zu ziehen sei (und die seine Mutter formuliert habe): für das Leiden anderer sensibel zu sein. Die Singularitäts-These schreibe fest, dass das jüdisches Leiden größere Bedeutung habe als das Leid anderer Opfergruppen.

Es ist aber nicht allein das Ausmaß an Leid, das die Besonderheit von Auschwitz ausmacht. Es geht auch darum, dass eine Gruppe von Menschen, die durch einen Staat, dessen Bürger sie einst waren, wegen einer ideologischen Wahnvorstellung zunächst aller Rechte beraubt wurde, um dann mit rationalen Mitteln, die von der Aufklärung als Werkzeuge der Befreiung des Menschen gepriesen wurden, systematisch vernichtet zu werden. Aus einem Zitat von Hannah Arendt, auf die Finkelstein gerne verweist, um sich in die Tradition innerjüdischer Dissidenten einzureihen, hätte er das lernen können.

Allerdings interessiert sich seine Polemik nicht für diese Ebene der Reflexion. Finkelstein begnügt sich damit, Einzelfälle für das Eigentliche zu nehmen, und kann so von seiner moralisierenden Position aus nur zu einer Lösung kommen: die Maschinen der »Holocaust-Industrie« zu stoppen und die Toten in Frieden ruhen zu lassen.

Die Rechten, die seit je die verwickelten Zusammenhänge der Realität ignorieren, mögen glauben, in Finkelstein ihren jüdischen Kronzeugen gefunden zu haben, der sagt, was sie schon immer wussten. Wenn das Buch im nächsten Jahr in der deutschen Übersetzung erscheint, wird sich zeigen, ob sich in die bislang größtenteils konsternierten Reaktionen des deutschen Feuilletons hämische Untertöne mischen und man zu dem Schluss kommt: Die Erinnerung ist übertrieben worden, Finkelstein hat Recht, schweigen wir davon.

Norman G. Finkelstein: The Holocaust Industry. Reflections on the Exploitation of Jewish Suffering. Verso. London, New York 2000, 150 S., $ 18.40