Plattencover von Pedro Bell

Cruise Missile sucht Landeplatz

Über Pedro Bell, der die Musik von Funkadelic gezeichnet hat

Pedro ist einmalig. Er war wie einer
von Funkadelic, und was er gemacht
hat, war wie die Musik von Funkadelic,
nur dass er gezeichnet hat - es war
so seltsam, so ungewöhnlich, so einzigartig.
Wir fanden es alle toll. Und
das hat sich bis heute nicht geändert.
Bootsy Collins

Funkadelic zweidimensional, es geht um Chaos! Aufruhr! Es ist entweder alles Yin oder alles Yang, und es gibt keinen Gleichklang zwischen beiden. Pedro Bell

Bereits zwei Jahrzehnte bevor Anti-Gangster-Rapper und »Nobody Beats The Wiz Bürgerschreck« Dr. C. Delores Tucker die lustigen Tier-Comics auf Snoop Doggs Album »Doggy Style« entdeckte und ihr vor Schreck die Unterhose in der Po-Ritze steckenblieb, quoll die Cartoon-Paste aus den Filzstiften von Pedro Bell, dem Grafik-Guerillakämpfer des P-Funk-Empire.

Pedro Bells (alias Captain Draw alias Sir lleb - bell rückwärts geschrieben - alias Reverend Mayhem von der Church of SubGenius) Linernote-Scartoons sind skatologische Meisterwerke der Straßeneckenkultur, die in ein gespenstisches Science-Fiction-Universum rekonfiguriert wurden (in dem Iceberg Slim in einen Spiegel mit Lysergsäure-Traumlandschaften blickt und Rudy Ray Moore zurückstarrt). Als Schlüssel zum P-Funk Mythos - Clinton und die Musik - lieferte Pedros außergewöhnliches Coverdesign nicht nur die Diktion für den Funkadelia Spirit, sondern förderte innerhalb der traditionellen schwarzen Communities der USA auch eine wachsende »Gegenkultur« zu Tage. Diese wiederum sah Pedros Arbeit als exemplarisch für eine bestimmte Sorte kulturell Geächteter und erkor sie zum Talisman, zum Erkennungszeichen ihrer eigenen rebellischen Kreativität.

Mit ihrer unverhohlenen Verachtung gegenüber der Bourgeoisie und ihrer »Ästhetik« waren die dynamischen, halluzinierenden Zeichnungen von Pedro bewusst anti-klassisch (im europäischen Sinne), eine Explosion, die zu einer Juxtaposition von Popkultur, Politik, Wortspielen und vor allem Philosophie führte. Das Ergebnis war ein mythologisches, ghettozentrisches Universum, inhaltlich ebenso durchorganisiert, subversiv und philosophisch komplex wie die Arbeiten der Neo-Expressionisten Jean-Michel Basquiat, Keith Haring und Kenny Scharf in den achtziger Jahren - ein Aspekt, der den Franzosen und Japanern nicht entgangen war, wie Pedros Ausstellungen in Tokio und Paris gezeigt haben, und der noch durch die Tatsache betont wird, dass Pedros Arbeit aus der Schule der »Ghettokunst« stammt, die Einfluss auf den Stil der Siebziger-Jahre-Graffiti hatte, wo auch die Wurzeln von Basquiat, Haring und Scharf liegen.

Freekz in da Hood

Wahrlich, diese soulfulifically verlebten

verwegenen Kerle des

agitpropschen Burnbabytums: Funkadelic

kamen aus dem Original Galaxy Getto,

um mit der Musik, die der Unsterblichen

selbst würdig wäre, eure

starrköpfigen Seelen zu retten.

Linernotes »Cosmic Slop«

Damals, noch bevor die Spermafluten des Plateausohlen-Funk das Ovum der Acid-Head Psychodelia befruchteten und der huckabuckin' James Brown immer wieder dieselben blöden Beats xerokopierte, Single für Single, saßen meine extrem verlockten Kumpel und ich auf Treppenstufen, die dem Gesundheitsamt Alpträume bereitet hätten. Wir tranken Boone's Farm Apple Wine und verschlangen Salmonellen-Sandwiches, die sich zwischen zwei fettigen, in Tabasco Sauce eingeweichten Scheiben Wonder Bread als gebratene Hühnchenstücke getarnt hatten, und warteten auf das Genie, das eines Tages diesen irren Hendrix-Dreh über den Funk von James Brown legen würde.

»If you suck my soul, I will lick your funky emotion« von Funkadelic schlug ein wie eine Bombe und markierte den Beginn der Black-Freakdom-Kultur. Und meine Plateausohlen-Clique verlor keine Zeit, sich mit dem neuen Kurs anzufreunden.

In von Schwarzlicht bestrahlten Kellern mit Postern von Onkel Ho Chi Minh, Angela Davis und Kama Sutra-Tierkreiszeichen rekelten wir uns auf schmuddelig-schimmeligen Matratzen. Weiße Flusen flimmerten in unseren phosphoreszierenden Afros. Und während Eddie Hazels Gitarrengekreische aus den an die Wand getackerten Schrottplatzboxen plärrte, feuerten wir Salven von Hasch-Qualm in unsere ausgetrockneten Rotznasen. Zufrieden, mit blutunterlaufenen Augen und deutlich vergrößerten Pupillen lehnten wir uns zurück und betrachteten die Plattencover auf unserem Schoß. Dabei diskutierten wir über den geheimen Symbolismus und den Hintersinn der bedeutungsschwangeren Linernotes von Cap'n Draw.

Hippie Whyteboys wurden von Clay Wilsons nekrophilen spermasaugenden Cockney-Vampiren und Robert Crumbs dickbusigen Nymphen in einer Flut von Ejakulat durch die Seiten von »Zap Comics« gelutscht. Aber in unserem afrodisierten Freaktum war uns bewusst, dass wir den Whyteboys etwas voraus hatten.

Und was? Unsere Comics konnten den Bump tanzen! Wie der Cartoonist Tim »Rahsaan« Feilder richtig beobachtet hatte: »Bei denen bekommt man die Schallplatte gleich mitgeliefert!«

Das muss man sich mal vor Augen halten! Durch seine »konzeptionelle Verpackung« gab Pedro Bell dem psychedelisierten Funk von George Clintons Noise-Clan eine visuelle Ebene. Er erdachte eine Welt, die ihre ureigenen Gesetze, ihre Logik und Sprache besaß - eine hyperbolische Posse findiger Linernotes verbunden mit einem Cartoon-Stil von bösartiger Dreistigkeit.

Der Straßen-Slang erhielt ein neues Vokabular. Aber durch die Aneignung des Pulp-Science-Fiktion-Duktus (der Einfluss von Sun Ra und seiner Kosmologie auf das Themenpark-Gehirn eines Pedro Bell ist hier unverkennbar) wurden die traditionellen Erzählmuster der Hustler-Reime in eine völlig neue Sphäre der satirischen Darstellung katapultiert. Die Cartoons von Pedro Bell sind, genauso wie die Musik des P-Funk, Produkte einer oralen, schwarzen Straßenkultur.

Seine »Scartoons« (von Narben, scars) sind nicht nur in ihrer Bedeutung als »bildhafte Erzählungen« von Wichtigkeit, sondern weil sie den zornigen, rebellischen und zynisch verspielten Ansichten einer Generation von schwarzen Jugendlichen der siebziger Jahre eine Stimme, eine Vision und eine Phantasiewelt bescherten. Anders gesagt, die Halluzinationen und die Narben, die seine Filzstifte hinterließen, glichen unseren eigenen.

Die Vereinigten Mutationen von Amerika - »Aus der Perspektive des Schwarzen«

Pedro selbst betrachtet sich als »Haide aus der Hochhaussiedlung«. Er wurde in der Westside von Chicago geboren, wo er auch die ersten Lebensjahre verbrachte. Bevor Funkadelic überhaupt existierte, fühlte er sich bereits metaphysisch mit der Band verbunden. »Von Anfang an hatte ich ein Diplom in Funkologie. Ich war nur eine Cruise Missile auf der Suche nach einem Landeplatz.«

Seine Eltern unterstützten seine Begabung. »Mein Alter hat mich und meine beiden jüngeren Brüder zum Cartoonzeichnen gebracht, da waren wir noch so klein wie Mikroben. Aber meine Mutter hatte die beste Handschrift in der Familie, und so kam es, dass wir bald unsere eigenen kleinen Schreibkünste entwickelten.«

Als Kind war Pedro klein und kränklich. Um das zu kompensieren, trieb er seinen Spott mit den anderen, verarschte sie und machte sich auch sonst über alle lustig. »Ich war so eine Art Runt-A-Tollah. Wenn du zu klein bist, musst du vor allem drei Dinge lernen: Wie man sich prügelt, wie man wegrennt und wie man die anderen austrickst. Ich hab' mit dem Tricksen und Wegrennen angefangen.«

Seine spezielle Art des Spotts führt er auf seine Zeit in St. Petersburg, Florida, zurück. Dort begann er, die langatmigen Tricksterreime der Südstaaten mit dem knappen Stil Chicagos, dem witzelnden Rhythmus von Radio DJs und der Sprache in den Medizinbüchern seiner Mutter zu vermischen. »Als schließlich Funcadelic auftauchten, hatte mein Raumflieger schon angekoppelt und Street Speak wurde zu Zeep Speek.«

Zeep Speek?

»Ja, die Slanguage war zuerst da. Der Name dafür kam später. Technologie führt immer dazu, dass sich die Sprache entwickelt. Auch was auf der Straße passiert, bereichert den Wortschatz. Ich habe nur beides miteinander vermischt.« In der High School verbrachte er Stunden damit, seine eigenen Straßenkreuzer zu entwerfen, nach dem Vorbild von Ed »Big Daddy« Roth' »Krazy Kars« und den glotzäugigen Dämonen in ihren hochfrisierten Autos.

Während Pedro die Rockefeller Universität besuchte, fand er Anerkennung »als Schreiber von Reportagen für revolutionäre schwarze Zeitschriften und Tageszeitungen. Mein Stil ist sowohl konventionell als auch - wie ich es nenne - textografisch. Das heißt, wenn ich etwas Ernstes schreibe, versuche ich es mit Illustrationen aufzulockern. Ende der Sechziger machte ich die Black-Power-Phase durch - also Black Panthers, Drogen und Weibergeschichten. Ich war großer Fan von Jimi Hendrix und Sun Ra , die übrigens beide damals bei Schwarzen nicht besonders populär waren. Blue Cheer war auch noch eine Band, die ich gut fand. Ich hatte meine Antennen nach allen Seiten ausgerichtet.«

Beeinflusst haben ihn Harlan Ellison, die Arbeiten des Malers und Underground-Cartoonisten Robert Williams und der späte Frank Zappa. »Zappas Musik war so heiß, dass sie dampfte, aber besonders mochte ich das ganze Drumherum. Es gab keine Schwarzen, die solche Sachen machten. Er hatte extra jemanden, der die Cover gestaltete, und er schrieb die meisten Linernotes selbst, die superironisch waren.«

Pedro traf Zappa nach einem Mothers-Konzert und fragte ihn, was seiner Meinung nach ein »vernünftiges Auto« wäre und Zappa antwortete: »ein 29iger Ford Woodie«, genannt »Miss Carriage«.

Pedro: »Ich erklärte Zappa, dass mir der Name von seinem Fan Club United Mutations of America gefiele und dass ich es gut fand, wie er sein Produkt präsentierte. Ich erzählte ihm, dass ich zu einer Gruppe gehörte und dass ich die Sache genauso angehen wollte, nur eben aus einer schwarzen Perspektive. Alles kam zusammen, auf der musikalischen Seite - Sun Ra, Hendrix - und dann noch der Style von Zappa - das ganze Funkadelic-Evolutionsding musste einfach passieren.«

Pedro fing an, in einer »Garage Band herumzuklimpern« und spielte die Top 40 rauf und runter. »Ich war der Einzige in meiner Straße, der einen echten Synthesizer besaß!« kichert er. Damals hörte er auch zum ersten Mal Funkadelic. Sie wurden im Radio gespielt.

»Die Moderatorin sagte: ðDas hier ist gerade mit der Post gekommenÐ, und dann spielte Sie ðIf you suck my soulÐ, und mittendrin unterbrach sie das Stück, weil es Zeit für die Werbung war. Danach erst erklärte sie: ðAlso, das waren FunkadelicÐ.

ðMann! Genau das ist es! Funkadelic! Wo ist mein Stift! Diese Jungs muss ich unbedingt kennenlernen! Wozu soll ich noch meine Zeit vergeuden, um die richtigen Leute zusammenzukriegen, wenn es jemanden gibt, der so klingtÐ.«

Pedro fand die Platte in einem Mom-n-Pop-Plattenladen und nahm über die Adresse, die er auf dem Cover fand, mit dem Management Kontakt auf. Er brachte schnell eine text-o-grafische Postkarte auf den Weg, und kurz darauf mischte er schon bei den ersten beiden Alben mit und machte die Promotion und die Flyer für ein paar Auftritte. »In der Zeit von Chittlin Circuit habe ich sogar das Make-up von Clinton kreiert. Ich war so eine Art Mädchen für alles.«

Auf ihren ersten Innen-Covern hatten Funkadelic Pamphlete von The Process Church of Final Judgement benutzt. Um keinen Ärger wegen der Kirche zu bekommen, die man damals mit Charles Manson in Zusammenhang brachte, wurde nun eine Zusammenarbeit mit Pedro Bell vereinbart, und so entstand das Cover des fünften Albums »Cosmic Slop«.

Trip Illin

Pedro spielte eine große Rolle im ganzen
Funkadelic-Ethos. Wenn man sagt, dass
die visuelle Seite genauso wichtig war wie
die Musik, dann bedeutet das sehr viel.
Und es ist stimmt, dass beim P-Funk die
visuelle Seite genauso wichtig war wie die
Musik. Und Pedros Einfluss war auf diesem
Gebiet sehr erheblich.
Reggie Hudlin, Filmemacher

Das Cover von »Cosmic Slop« scheint von Insekten befallen zu sein, mit einem Sprühregen aus Raketen, Planetoiden und Space-Schutt, davor eine Riesin mit einem Afro aus Maden, schiefen rasiermesserscharfen Zähnen und Radioknöpfen anstelle der Brustwarzen. Auf der Rückseite, bespritzt mit spermazoidem kosmischem Schaum, drängt sich auf dem von Cadillacs zugestellten Parkplatz eines Drive-in-Barbecue eine Ansammlung von grotesken fliegenköpfigen Zuhältern mit ihren Tussen. Manchmal schien es, als wenn die Maden auf dem Cover tatsächlich lebten und sich widerlich schillernd wanden, so als ob man auf die wurmige Fäulnis in einer Mülltonne starrt. Man muss sich doch wundern, was für Insekten in Pedros Kopf herumschwirren.

»Ich dachte mir, wenn die Leute anfangen, über diese Comics nachzudenken, dann werden einige dieser Sachen auch für sie einen Sinn ergeben, oder auch nicht. Wenigstens wird es dadurch interessant. Vielleicht kommt noch mal jemand darauf zurück, weil er Informationen erhält, die man auf traditionellem Wege nicht bekommt.«

Pedro entwarf noch über zwanzig weitere Verpackungen für das P-Funk Imperium, jede noch seltsamer, dichter und intensiver. Oder zumindest schien es so, je nachdem wie viele Drogen wir genommen hatten.

Die Funketeers erwarteten die Cartoons und Linernotes mit ebenso großer Spannung wie die Veröffentlichung einer neuen Platte, denn sie waren der Schlüssel zu dem Ganzen. Der Kult-Kritiker Michael Gonzales meint dazu: »Weißt du noch, wie wir als Kinder diese Märchenplatten mit den kleinen Bilderbüchern gehört haben? Das war ungefähr so wie bei Clintons Musik und Pedros Cartoons.«

Doch Pedro erklärt: »Die Leute dachten immer, dass Clinton und ich eng zusammenarbeiten würden. Aber das war überhaupt nicht der Fall. Er sah kaum etwas von den Sachen, mit denen ich beschäftigt war, und es kam nur selten vor, dass ich mit meinen Arbeiten schon vor der Veröffentlichung fertig wurde. Genauso verhielt es sich mit den Linernotes, weil ich die immer zum Schluss schrieb. Ich arbeitete unter den besten Voraussetzungen. Ich war Künstler und Artdirector für eine Organisation, die sich immerhin gegenüber einer Plattenfirma verantworten musste. Und trotzdem brauchte ich mir von niemandem etwas sagen zu lassen, musste keine Entwürfe abliefern und konnte soviel Blödsinn reden, wie ich wollte.«

Als Reggie Hudlin er und sein Bruder eine Anthologie für den Sender HBO produzierten, die sie ausgerechnet »Cosmic Slop« nannten, erklärte er: »Funkadelic hat mich auf kreativer Ebene am meisten beeinflusst - Pedro ist so brillant, weil das, was er macht, so einfach erscheint. Im ersten Moment denkt man, jemanden vor sich zu haben, der in der Schule richtig gut zeichnen konnte. Aber in Wirklichkeit steckt noch viel mehr dahinter - der Humor, die Vorstellungskraft und die Liebe zum Detail. Was P-Funk propagierte und wofür Pedro stand, war: Nichts ist wirklich gut, solange du nicht damit spielst. Pedro hatte einen Zugang zu der intellektuellen, der nationalistischen und der großstädtischen Seite der schwarzen Kultur. Sodass man alle drei Welten gleichzeitig vorgesetzt bekam - vorausgesetzt, man ist mit diesen Welten vertraut. Und Pedro hatte keine Probleme damit, sie zu vermischen.«