Detlef Hensche, Vorsitzender der IG Medien

»Der Protest könnte lauter sein«

Die Parteinahme war eindeutig: In einer kostspieligen Kampagne forderte der DGB 1998 die Wählerinnen und Wähler auf, ihre Stimmen der SPD oder den Grünen zu geben. Mit Erfolg. Doch zwei Jahre später ist die Freude über die rot-grüne Regierung bei den Gewerkschaften längst nicht mehr so einhellig. Detlef Hensche ist Vorsitzender der Industriegewerkschaft Medien.

Zur Zeit gewinnt man den Eindruck, in Deutschland gebe es neben den hohen Benzinpreisen und der Ökosteuer keine Probleme. Verstehen Sie das?

Was wir gegenwärtig erleben, ist die Ausgeburt kollektiver Idiotie. Da lässt ein vollends um den ökonomischen Verstand gebrachter Mittelstand randalieren und fordert von der falschen Adresse die falschen Lösungen. Worüber man diskutieren müsste, wären der Konzentrationsgrad am Ölmarkt und die Euro-Schwäche. Aber ausgerechnet jetzt von den Regierungen in Europa Steuererleichterungen - das heißt staatliche Subventionen - zu verlangen, halte ich für einen Aberwitz.

Wenn die Gewerkschaften mit Streiks drohen, ist der Protest groß. Jetzt drohen konservative Politiker und Verbandsfunktionäre mit dem Ausstand. Sie als Gewerkschafter müssten sich doch eigentlich freuen.

Dass mitunter mit zweierlei Maß gemessen wird, war ja schon vor 20 Jahren so. Damals blockierten Lkw-Fahrer die bayerisch-österreichische Grenze und Franz-Josef Strauß schenkte Kaffee aus.

Auch jetzt versucht die Opposition, sich als Vertreterin des kleinen Mannes zu profilieren. Welches Urteil stellen Sie Rot-Grün nach zwei Jahren an der Macht aus?

Zu den Grünen fällt mir wenig ein. Ich habe selten erlebt, wie eine Partei in derart kurzer Zeit auf fast allen Politikfeldern eine solche Kehrtwendung hingelegt hat: in der Wirtschafts- und Sozialpolitik oder dem so wichtigen Gebiet der nachhaltigen Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft. Was die Grünen mit Eifer betreiben, bestätigt den Eindruck, dass sie das Erbe der FDP antreten wollen. Was für die Grünen gilt, gilt ebenso für die SPD - wenn auch nicht in dieser Schärfe. Dennoch muss man als Gewerkschaft natürlich darauf achten, Ansprechpartner in der Regierung zu haben, die die Interessen der Arbeitnehmer vertreten. Und die gibt es in beiden Partein.

Das klingt nach einem entschiedenen Sowohl-als-auch. Wie fällt Ihre Halbzeitbilanz denn nun aus?

Einige positive Dinge gibt es schon zu vermelden, wie das Programm von Arbeitsminister Riester zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit etwa. Und trotz aller Kritik im Detail wird die Bekämpfung der Scheinselbständigkeit ebenso angegangen wie das Problem der geringfügigen Beschäftigung.

Dem entgegen stehen natürlich das staatliche Konsolidierungsprogramm und das Ausbleiben von Investitionen in die Infrastruktur. All die Bekenntnisse zum schlanken Staat werden ungebrochen fortgeführt, was nicht nur die Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft gefährdet, sondern die sozialen Ungleichheiten weiter verschärft. Selbst wenn es wie etwa beim Kindergeld Erleichterungen für Geringverdiener gibt, fällt die Privilegierung derer, die im Fett schwimmen, wesentlich großzügiger aus.

Bundeskanzler Schröder hat die Reduzierung der Arbeitslosigkeit als wichtigstes Kriterium zur Bewertung seiner Regierung bezeichnet. Von einer Halbierung aber sind wir weit entfernt.

Ich sehe auch nicht, dass die Misere in den nächsten beiden Jahren beseitigt werden wird. Schröder hat unlängst erklärt, die Zahl der Arbeitslosen bis zum Ende der Legislaturperiode auf drei Millionen reduzieren zu wollen - was das Eingeständnis seiner politischen Untätigkeit ist. Salopp gesprochen, fallen der Regierung die neu geschaffenen Arbeitsplätze als Begleitprodukt des gegenwärtigen Aufschwungs ohnehin in den Schoß.

Eigentlich wollten die Gewerkschaften im Bündnis für Arbeit doch Druck auf die Regierung ausüben. Der Gewerkschaftstag der IG Medien aber hat jetzt den Ausstieg aus dem Bündnis beschlossen.

Auch wenn ich die Kritik am Bündnis für Arbeit teile, weil es politisch bislang nur geschadet hat, würde ich doch versuchen, es als Plattform weiter offensiv zu nutzen. Mit mehr Power und mobilisierungsfähigen Themen würde ich das Bündnis gerne zum Prüfstand für arbeitnehmerorientierte Politik machen.

Beim für Arbeitnehmer durchaus bedeutsamen Thema der Renten sind die Gewerkschaften ja durchaus zu Kompromissen mit der Regierung bereit.

Um es kurz zu machen: Ich halte Riesters Weg für verhängnisvoll. Wenn, wie jetzt, die gesetzliche Rente durch Niveauabsenkung ausgezehrt wird und die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer über den Umweg einer privaten Vorsorge vier Prozent Beitragslast zusätzlich zahlen sollen, dann bedeutet das den Abschied von der paritätischen Finanzierung. Das ist ein bemerkenswerter Vorgang für eine sozialdemokratisch geführte Regierung, der deutlich macht, was mit der Politik der Neuen Mitte eigentlich gemeint war: eine Politik für die, die oben stehen.

Warum verhalten die Gewerkschaften sich dann so ruhig?

Einige sind dem Ammenmärchen aufgesessen, die Rente sei nicht mehr bezahlbar. Dabei musste die Generation derer, die arbeiten, die Alten immer bezahlen. Trotzdem hat sich die Meinung durchgesetzt, dass die Rente nicht mehr bezahlbar sei, weil die Menschen älter werden - auch in den Gewerkschaften. Hinzu kommt, dass man sich zweimal überlegt, ob man einem Minister, der aus den Gewerkschaften kommt, auf die Füße tritt. Ich bin der Meinung, es muss sein. Der Protest könnte lauter sein.

Das Top-Thema der Gewerkschaften in den achtziger Jahren - Arbeitszeitverkürzungen - wird gar nicht mehr diskutiert.

Was den politischen Diskurs angeht, ist das richtig, zugleich aber Ausdruck der derzeitigen Machtverhältnisse. Wenn man wollte, könnte man hier etwas tun: zum Beispiel durch eine Änderung des Arbeitszeitgesetzes. Und wenn das Recht auf Teilzeit gesetzlich verankert wird, ist das zwar kein Durchbruch in der Beschäftigungspolitik, aber es bietet die Möglichkeit, Arbeitsplätze für derzeit Arbeitslose zu schaffen.

Bedeutet das Warten auf Gesezte nicht auch, die eigene Kraft zu vernachlässigen?

Das ist richtig. In den vergangenen Jahren gab es dazu nur isolierte Vorstöße von einzelnen Gewerkschaften. Mit einer breit angelegten Aufklärungskampagne ließe sich das Thema Arbeitszeitverkürzung bestimmt zu einem Massenthema machen. Selbstkritisch stelle ich fest, dass sich die Gewerkschaften schwer tun, hier die Meinungsführerschaft zu übernehmen.

Auch in Bezug auf die New Economy treten die Gewerkschaften eher rückwärtsgewandt auf. Wie es scheint, definieren sich immer mehr Menschen über ihre Arbeit.

Das wird es immer geben, dass sich die Arbeitszeit nicht nach Tages- oder Wochenstunden festlegen lässt. Aber wenn die Youngsters in der New Economy den ersten Stress und die ersten Beziehungskrisen hinter sich haben, wenn sie merken, das das Private unter der Arbeit leidet, dann werden sie den Wert der Freizeit noch erkennen. Aus vielen Gesprächen weiß ich, dass für diese Menschen Blockfreizeiten und garantierte Weiterbildungszeiten sehr attraktiv sind. Im Übrigen gilt: Wer meint, sich verkrüppeln lassen zu müssen, dem ist nicht mehr zu helfen.

Passt das Recht auf Müßiggang denn überhaupt zum gegenwärtigen Mainstream?

Ich halte es für notwendig, darüber zu streiten, so wie ich es überhaupt für notwendig halte, über den Wert der Langsamkeit nachzudenken. Gegenwärtig aber erleben wir eine Wettbewerbsgesellschaft, in der Härte, Schnelligkeit, Durchsetzungsfähigkeit und Power angesagt sind.