Liebesgrüße aus Moskau

Das Angebot Russlands, in der jugoslawischen Krise zu vermitteln, könnte EU und USA davor bewahren, ihre Rücktrittsforderungen an Milosevic politisch auch durchsetzen zu müssen.

Über eine halbe Stunde dauerte das Gespräch. Doch als Wladimir Putin und William Clinton am Samstag die Hörer wieder auflegten, wollten ihre Sprecher keine Auskünfte darüber erteilen, was die beiden Präsidenten so lange am Telefon zu besprechen hatten. Sicher, um die Lage in Jugoslawien sei es gegangen, hieß es unisono aus Washington und Moskau, alles Weitere aber müsse man der Entwicklung in den nächsten Tagen überlassen.

Die war bis dahin berauschend - zumindest für Putin. Anderthalb Jahre, nachdem der russische Premierminister Jewgeni Primakow seinen Flugkapitän auf dem Weg nach Washington in der Luft umkehren ließ, um gegen die gerade gestartete Nato-Bombardierung Jugoslawiens zu protestieren, wird der russische Präsident derzeit hofiert wie kaum ein anderer Staatschef auf der Welt. Am Montag voriger Woche, einen Tag nach den jugoslawischen Präsidentschaftswahlen, empfing er in Moskau Bundeskanzler Gerhard Schröder, drei Tage später schon saß er in Paris mit seinem franzöischen Kollegen Jacques Chirac zusammen.

Und am Wochenende schließlich gab es auch noch Lob aus Washington: Putins Vorschlag, den russischen Außenminister Igor Iwanow zwischen Vertretern der Demokratischen Opposition Serbiens (DOS) und dem amtierenden Präsidenten, Slobodan Milosevic, vermitteln zu lassen, sei eine »gute Idee«, freute sich US-Außenministerin Madeleine Albright über die konstruktive Rolle, die Russland 15 Monate nach dem Ende des Nato-Krieges gegen Milosevic auf dem Balkan wieder spielen will.

In der Tat erweckt die Rückkehr Putins in die internationale Krisendiplomatie den Eindruck, als seien die Ressentiments Moskaus gegenüber den Nato-Staaten der Einsicht gewichen, eine vermittelnde Position in Südosteuropa könne dem russischen Renommee nur gut tun. Zudem ist im letzten Jahr in Moskau die Bereitschaft spürbar gesunken, Milosevic als einzig denkbaren Garanten für Stabilität in Jugoslawien zu verteidigen. So haben neben dem DOS-Präsidentschaftskandidaten Vojislav Kostunica, der sich weiterhin weigert, in der Stichwahl am kommenden Sonntag ein zweites Mal gegen Milosevic anzutreten, zahlreiche andere Vertreter der serbischen Opposition Moskau in den vergangenen Wochen Besuche abgestattet. Die zunehmende Distanz der russischen Regierung zu Milosevic machte auch Außenminister Iwanow deutlich, der kritisierte, dass weder OSZE- noch EU-Beobachter zur Prüfung der Wahlen zugelassen worden seien.

Vor wenigen Monaten noch undenkbar, kommt der Europäischen Union und den USA die russischen Vermittlungssuche gerade recht. Denn ohne die guten diplomatischen Beziehungen Moskaus wäre ein Ausweg aus der politischen Zwickmühle, in die sich der Westen gebracht hat, seitdem er die Aufhebung der Uno-Sanktionen mit dem Rücktritt Milosevics verknüpfte, kaum denkbar. Selbst Griechenland - das einzige Nato-Land, zu dem Belgrad weiterhin regen Kontakt hielt - scheint vom jugoslawischen Präsidenten nicht mehr wohl gelitten zu sein. Als der griechische Außenminister George Papandreou Anfang September bei einem Besuch in Belgrad auch studentische Vertreter von Otpor, der größten nicht parteilich organisierten serbischen Oppositionsgruppe, sprechen wollte, wurden diese von der Polizei kurzerhand festgenommen.

Insbesondere für die EU-Staaten ist die Vermittlung Russlands deshalb so unentbehrlich, weil hinter dem Verbalradikalismus, mit dem vergangene Woche von London bis Berlin auf Kostunicas Wahlsieg beharrt wurde, real nur wenige politische Handlungsmöglichkeiten stehen. »Ein Sieg für die Demokratie würde zu einer radikalen Umkehr der EU-Politik« gegenüber Jugoslawien führen, verkündete etwa Frankreichs Außenminister Hubert Védrine. Doch was die französische Regierung, die zur Zeit die EU-Ratspräsidentschaft innehat, zu tun gedenkt, wenn Milosevic den demokratischen Sieg am kommenden Sonntag einfach für sich beansprucht, wusste er nicht zu sagen. Und der Appell Griechenlands an die 18 in der DOS zusammengeschlossenen Parteien, ihren angekündigten Boykott der Stichwahl noch einmal zu überdenken, weist ebenfalls darauf hin, dass innerhalb der EU die Unruhe wächst, Milosevic könnte in der Stichwahl ganz ohne Fälschungen den Sieg davon tragen - und legal im Amt bleiben.

Denn schon vor den Wahlen hatte der jugoslawische Premierminister Momir Bulatovic die westlichen Staatschefs darauf hingewiesen, dass die laufende Legislaturperiode erst im Sommer 2001 endet - und Milosevic selbst bei einer Niederlage weiter regieren könnte. Darüber hinaus konnten bei den ebenfalls am vorletzten Sonntag abgehaltenen Parlamentswahlen Milosevics Sozialistische Partei (SPS) und die Jugoslawische Linke (JUL) seiner Frau Mirjana Markovic gemeinsam mit der kleinen Sozialistischen Volkspartei (SNP) die Mehrheit im Bundesparlament verteidigen, sodass auch ein Wechsel Milosevics auf den Posten des jugoslawischen Premiers denkbar wäre. Ohnehin waren es nie die in der Verfassung festgeschriebenen Befugnisse, die Milosevic seit 1997 als jugoslawischem und davor als serbischem Präsidenten die Macht sicherten, sondern Milosevics Methoden selbst erlaubten es ihm, in den letzten 13 Jahren seine Kompetenzen auf alle Bereiche des Staates auszuweiten. Egal, auf welchem Posten.

Ein Refugium für den Belgrader Staatschef irgendwo in Russland oder in China aber, wie der Ex-SPS-Chef Nebojsa Covic vorige Woche im Guardian spekulierte, könnte Brüssel und Washington des Problems entheben, ihren harten Worten auch Taten folgen lassen zu müssen. Denn selbst ein militärisches Eingreifen der Nato wie 1999 würde die Amtseinsetzung Kostunicas nicht automatisch garantieren. Relativ ratlos stehen die westlichen Staatschefs vor einer Situation, in der sie ihren Kandidaten zwar de facto als neuen Präsidenten anerkannt haben, aber nicht sehen, wie Milosevic zum Rückzug bewegt werden sollte.

Ähnlich erfolglos wie im letzten Sommer, als Milosevics Herrschaft durch die fortdauernden Nato-Luftangriffe eher konsolidiert als geschwächt wurde, erscheint das westliche Drohszenario auch jetzt. Insgeheim dürften sich Clinton oder Chirac, die Milosevic nicht nur einmal die Hand gereicht haben, vielleicht sogar darüber ärgern, mit der Anklage vor dem Uno-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag einer geordneten Nachfolgeregelung die meisten Chancen genommen zu haben.

Denn acht Jahre nach Verhängung des Uno-Embargos und gut 18 Monate nach Beginn des Nato-Krieges gegen Jugoslawien steht Milosevic derart isoliert da, dass nur noch sein Exil eine geregelte Übergabe der Amtsgeschäfte an Kostunica ermöglichen kann. Daran ändert auch die Behauptung des Sprechers des US-Außenministeriums, Richard Boucher, vom Ende letzter Woche nichts. »Es gibt keinen Handel«, dementierte er Pläne, darauf zu verzichten, Milosevic in Den Haag den Prozess zu machen, sollte sich ein Staat bereit erklären, ihn aufzunehmen. »Es bleibt bei unserer Position: Heraus aus der Macht, heraus aus Jugoslawien und dann nach Den Haag.«

Ob das die Position ist, auf die sich die Vertreter der Balkan-Kontaktgruppe bei ihrem ersten Treffen seit dem Ende des Kosovo-Krieges in Paris einigen werden, ist jedoch mehr als fraglich. Zwar dürfte Großbritannien, das während des Krieges darauf gedrängt hatte, Bodentruppen einzusetzten, damit aber am Widerstand der Nato-Partner gescheitert war, erneut darauf pochen, Milosevic möglichst hart anzugehen. »Treten Sie ab und entlassen Sie Serbien aus dem Gefängnis, in das Sie es verwandelt haben«, hatte der britische Außenminister Robin Cook schließlich den Reigen der EU-Rücktrittsforderungen an Milosevic eröffnet.

Doch dafür, dass das Gremium, dem außer Großbritannien die USA, Frankreich, Italien, Deutschland und Russland angehören, keine Beschlüsse fasst, die eine militärische Intervention auf die Tagesordnung setzten, dürfte am Ende wohl doch wieder Moskau sorgen. Denn bei aller Bereitschaft, für seine Beratungsdienste Pluspunkte im Westen zu sammeln, stellte Putin am Wochenende klar: »Nur das jugoslawische Volk allein kann - ohne Einmischung von außen - über sein Schicksal entscheiden.« Jeder andere Weg, so der russische Präsident, würde die Legitimität des künftigen Staatschefs in Frage stellen. Jeder andere Weg? Wer weiß, welche Route für Milosevic zwischen Putin und Clinton am Telefon besprochen wurde