»Zutt's Patrioten Treff« in Waren

Alles, was rechts ist

Im mecklenburgischen Waren deckt sich die rechte Szene mit Literatur, Musik und Mode ein. »Zutt's Patrioten Treff« erfüllt seinen Zweck: Der von zwei NPD-Mitgliedern betriebene Laden festigt den Einfluss der Rechten in der Region.

Vor der ehemaligen Fleischerei an der viel befahrenen Ausfallstraße, die vom mecklenburgischen Waren (Müritz) zur Autobahn nach Berlin und Rostock führt, hängt eine vergilbte Fahne in den mecklenburgischen Landesfarben. Darunter in altdeutscher, schwarz-roter Schrift auf weißem Untergrund das Ladenschild: »Zutt's Patrioten Treff«. Die Eingangstür trägt den handschriftlichen Hinweis: »Wir leisten uns den Luxus einer eigenen Meinung.« In diesem braunen Gemischtwarenladen findet sich auf knapp vierzig Quadratmetern alles, was zum rechten Lifestyle gehört: schwarze Kapuzenpullover mit der Aufschrift »Ku-Klux-Klan«, »White Power«-Aufkleber, Bücher über sudetendeutsches Brauchtum und billige Porzellanteller mit mecklenburgischen Seenlandschaften. An Kleiderstangen hängen Bomberjacken, dazu gibt es Springerstiefel, direkt aus England importiert. Auf einem Drehregal liegen ein paar Hasskappen, Hosenträger in Schwarz-Weiß-Rot und ein Parfumflakon mit Reichsadler: »Nationalist - der besondere Duft vom großen Reich«. Und neben der Ladentheke aus deutscher Kiefer mitsamt verstaubten Plastikveilchen wird die einschlägige Literatur ausgestellt: zum Beispiel »Werwolf Winke für Jagdeinheiten«. Auf dem Titelblatt zielt ein Soldat mit seinem Gewehr direkt auf den Betrachter. Autor dieser im Januar 1945 geschriebenen »grundlegenden Regeln des Partisanenkriegs«: Artur Erhardt, SS-Hauptsturmführer und im Führerhauptquartier zuständig für »Bandenbekämpfung«.

Verboten ist das nicht, genauso wenig wie die Rechtsrock-CDs, die im Schaufenster und im Hinterzimmer ausliegen: »Oithanasie«, »Faustrecht«, »Freikorps«, »Sturmwehr« und »Triebtäter« - die Namen der rechtsextremen Skinheadbands sind eindeutig; ihre Botschaft ist es auch. »Zerschlagt den Terror«, heißt es da auf einem Cover. Oder: »Du bist Deutscher«. Wer es eher historisch mag, der findet hier Marschmusik des Reichsarbeitsdienstes oder Soldatenlieder. Der Wandschmuck: ein NPD-Kalender mit wehenden Fahnen und Bandposter von »Skrewdriver«, den Gründungsvätern des Mitte September in Deutschland verbotenen Neonazi-Netzwerks Blood & Honour. Die seit Wochen andauernde Debatte um ein Verbot der NPD wird hier allenfalls in den NPD-Propagandablättchen auf dem Ladentisch wahrgenommen.

Statt »Sieg Heil« sagt der Mann in dem schwarzen Strickpullover hinter der Theke freundlich »Guten Tag« und: »Schauen Sie sich doch ruhig um.« Doch mit Journalisten darf er nicht reden. Ein hektischer Griff zum Telefon, und am anderen Ende der Leitung gibt die Chefin Doris Zutt aus Ehringshausen Anweisungen: »Mein Angesteller ist nicht befugt, mit Ihnen zu reden.« Weitere Nachfragen würden nur persönlich beantwortet, in der hessischen Gemeinde Ehringshausen.

Dort hat das Ehepaar Doris und Alfred Zutt schon vor zwei Jahren einen »Patrioten Treff« eröffnet. Die 45jährige Doris Zutt, Mitglied des NPD-Bundesvorstands, ist auch NPD-Fraktionsvorsitzende im Gemeinderat.

Auch wenn sie nach Waren nur »in den Ferien« und »zu besonderen Anlässen« kommt, präsent ist Doris Zutt in der 600 Kilometer entfernten Stadt, die sich »Perle an der Müritz« nennt, trotzdem. Zum Beispiel mit einem »Offenen Brief« an Warens SPD-Bürgermeister Günter Rhein, den ihre Anhänger in tausendfacher Auflage vor einigen Wochen in die Briefkästen im Plattenbauviertel am Stadtrand steckten. Selbstherrlich empfiehlt sie da dem Bürgermeister die Lektüre revisionistischer Literatur zum besseren Verständnis neuerer Geschichte, zitiert Rosa Luxemburgs »Freiheit des Andersdenkenden« und wirft dem Bürgermeister Zensur vor, weil er sich beschwert hatte, dass ein lokales Anzeigenblatt Anfang August eine großformatige Anzeige vom »Patrioten Treff« abgedruckt hatte.

Doch Doris Zutt belässt es nicht beim Lamentieren. Als Unbekannte Mitte September die Schaufensterscheiben mit Pflastersteinen einwarfen - angeblich zum fünften Mal innerhalb eines halben Jahres -, drohte sie in einem Telefonat mit der lokalen Müritz Zeitung: »Bisher waren unsere Jugendlichen brav und anständig. Aber jetzt reicht es. Ich garantiere für gar nichts mehr. Ich werde hier Aufmärsche organisieren. Dann ist Waren nicht mehr nur als schöne Stadt am Wasser bekannt.« Seitdem sind die zerborstenen Schaufensterscheiben am Patriotentreff mit braunen Pappkartons verklebt. Und Lokalpolitiker sowie Teile der Bevölkerung in Waren, die den Laden seit seiner Eröffnung im November vergangenen Jahres kaum beachtet hatten, sind aufgeschreckt.

Jedenfalls ein bisschen. So wie die örtliche PDS. Immerhin sitzt Helmut Holter, stellvertretender Ministerpräsident des Landes, für den Landkreis Müritz im Schweriner Landesparlament. Zwei Briefe an den SPD-Innenministerkollegen hat Holter wegen des Patriotentreffs verfasst. Zu mehr Aktivitäten hat sich der PDS-Ortsverband, dessen Altersdurchschnitt bei über 50 liegt, nicht hinreißen lassen. Das Konzept, mit dem Rechtsextremisten wie Doris Zutt versuchen, sich in der Gesellschaft zu etablieren und Anhänger zu gewinnen, ist nicht neu. »Schafft befreite Zonen«, lautete schon 1992 in Kreisen der NPD-Hochschulorganisation die Parole. Teil des Konzepts sind »unabhängige« Buchläden, »wo man auch Bücher und Schriften, Aufkleber und Flugblätter kaufen kann, die man sonst nirgends bekommt«, sowie eigene Druckereien, Werbeagenturen und Reiseunternehmen.

Mindestens vier polizeibekannte Läden von Rechtsextremisten gibt es in Mecklenburg-Vorpommern; bundesweit sind es zwischen 50 und 70. Nicht immer sind sie erfolgreich. In Ludwigshafen beispielsweise musste »Hehls World«, das Ladengeschäft des bundesweit bekannten Neonazis Christian Hehl nach einer lang anhaltenden Kampagne von AntifaschistInnen schließen. Doch Neugründungen derartiger Läden sind an der Tagesordnung, einige werben explizit auf den Internetseiten von Blood & Honour, andere bevorzugen ein »low profile« und beschränken ihren Kundenkreis auf die Skinheadszene vor Ort.

Das 1992 von den Kadern der Hochschulgruppe der NPD formulierte Ziel - »Freiräume schaffen, in denen WIR faktisch die Macht ausüben, in denen WIR sanktionsfähig sind« - wird mit Hilfe der entsprechenden Musik transportiert und vom jugendlichen Fußvolk umgesetzt. Und solange die Skinheads, die im Patrioten-Treff ein und aus gehen, »uns in Ruhe lassen«, haben die Verkäuferin und ihre beiden Kundinnen in der Bäckerei nichts gegen die »netten Leute« aus dem Laden schräg gegenüber. Das scheint man beim örtlichen Webanbieter Mediatel, der im Internet die Warener Geschäftswelt präsentiert, ähnlich zu sehen. Hier hat auch der Patriotentreff eine eigene Seite.

Ob Diskotheken, Bahnhofsvorplätze oder Ladengeschäfte: No-Go-Areas für alle, die nicht ins rechte Weltbild passen, seien oftmals nicht das Ergebnis strategischer Meisterleistungen rechter Vordenker und ihrer Basis, sagt Christian Utpatel von der Regionalen Arbeitsstelle für Jugendhilfe, Schule und interkulturelle Arbeit (RAA), die ihren Hauptsitz in Waren hat. Sie seien vielmehr das Produkt gesellschaftlicher Indifferenz und Tolerierung durch Anwohner, Kommunalpolitiker und Behörden. So wie im hessischen Ehringshausen, wo die NPD bei den Kommunalwahlen 1997 über 20 Prozent der Wählerstimmen erhielt.

So weit soll es in Waren nicht kommen, beschwört SPD-Bürgermeister Günter Rhein die 25 000 Einwohner der Stadt, deren wirtschaftlicher Aufschwung vom Tourismus abhängt. Mehr als 300 000 Übernachtungen wurden im vergangenen Jahr am Rande des Müritz-Nationalparks gezählt. Einige Besucher hätten sich bei ihm über den Patriotentreff beschwert, berichtet der 52jährige Bürgermeister. Untätigkeit kann man weder ihm noch der Polizei vorwerfen. Mehrfach sind Beamte des Staatsschutzes und Mitarbeiter des Ordnungsamtes im Patriotentreff vorstellig geworden. Strafrechtlich relevantes Material fanden sie nicht. Auch mit dem Gewerbeamt oder der Bauordnung war den Zutts bisher nicht beizukommen. Bürgermeister Rhein versucht sich daher an unterschiedlichen Strategien. Einerseits mahnt er zu »Wachsamkeit«. Andererseits appelliert er in der Lokalzeitung und im Amtsblatt an die Bevölkerung, den Laden zu ignorieren. Denn, so Rhein, »mit Aktionen wie Steinwürfen oder Mahnwachen verschafft man den Rechten nur noch eine zusätzliche Plattform«.

Derweil rätseln Politiker und Stadtjugendpfleger, wer von den rechten Jugendlichen, die man fast alle persönlich kenne (»Die sind harmlos, und schlagen höchstens zu, wenn sie Alkohol getrunken haben«), den Laden besuche. Drei städtische Jugendclubs, mehrere Schülercafés, zwei Streetworker - die Stadt leiste einiges an Präventionsarbeit, sagt Rhein stolz. Fragt man die Jugendlichen im städtischen Club »Kieck in«, ob sie rechts seien, verneinen alle vehement. Keiner hat hier kurze Haare, einige berichten von »Stress mit den Glatzen«. Aber »Ausländer, die uns die Arbeitsplätze wegnehmen, sollen nach Hause gehen«, sagt ein 17jähriger und alle im Raum nicken. »Tausende Ausländer« würden im Landkreis leben, vermuten sie. Wer ihnen sagt, dass es gerade einmal 400 sind, erntet ungläubigen Protest. Die Sozialarbeiterin, eine 21jährige Verkäuferin mit einjähriger Zusatzausbildung, konzentriert sich auf »die Drogenproblematik«. Ihr Freund sei bei den Rechten, erzählt sie. »Bei dem Thema haben wir kein Problem.«

Wer in Waren Glatzen treffen will, der läuft entweder am hellichten Tag über die Hauptstraße, geht abends in die »Copa Cabana«-Bar, die mit brasilianischem Ambiente wirbt, oder besucht tagsüber das Überbetriebliche Ausbildungszentrum (ÜAZ), das auf mehrere Gebäude in der Stadt verteilt ist. Jugendliche aus ganz Mecklenburg-Vorpommern kommen während ihrer Ausbildung hierher. Angesichts von Statistiken, die bei rund 30 Prozent der mecklenburgischen Jugendlichen rechte bis rechtsextreme Haltungen festgestellt haben, sei es auch nicht verwunderlich, dass ganze Baulehrlingstrupps im ÜAZ aus rechten Skinheads bestünden, resümiert die Minderheit der nicht-rechten Jugendlichen.

Den zunehmenden Einfluss der Rechten bekommen zuerst die Flüchtlinge zu spüren, abseits der malerischen Altstadt am Ortsausgang untergebracht, da, wo einige Baracken aus DDR-Zeiten von einem hohen Zaun umgeben sind. Der Pförtner des Flüchtlingsheims hat von seinem Chef in Rostock genaue Anweisungen bekommen: Nur mit Genehmigung des Landratsamtes dürfen JournalistInnen das Heim betreten. »Wir haben schlechte Erfahrungen gemacht, wenn die Schreiber ohne Begleitung mit den Heimbewohnern sprechen«, lautet die Begründung. Pressefreiheit? »Die ist in Asylantenheimen eben eingeschränkt«, sagt der Chef aus Rostock am Telefon. Das hindert die hier lebenden Flüchtlinge allerdings nicht daran, von ihrem Alltag zu erzählen. Von den Schikanen der Residenzpflicht und dem erzwungenen Nichtstun. Von den rassistischen Sprüchen auf der Straße, davon, dass sie sich nur noch in Gruppen und an bestimmten Tagen in die wenigen Diskotheken trauen.

»In den letzten Monaten sind mehr Skinheads in Waren zu sehen«, sagen sie. Bisher sei es noch nicht zu körperlichen Auseinandersetzungen gekommen, doch beim Anblick größerer Skingruppen wechsele man besser die Straßenseite. Allerdings, schränkt ein Flüchtling ein, sei die Situation auf den Straßen Warens im Vergleich zu anderen Kleinstädten noch erträglich. Nicht zuletzt deshalb, weil sich eine Reihe von Organisationen, Wohlfahrtsverbänden und auch der Bürgermeister um Kontakt und Unterstützung für die HeimbewohnerInnen bemühten.

Es gibt viele Alltagswidersprüche: Auf dem Weg zur örtlichen Pizzeria starren drei kahl geschorene Jugendliche einen Afrikaner in Begleitung zweier Deutscher drohend an; es fallen die üblichen Sprüche. In der Pizzeria dann eine freundliche Begrüßung für das Trio. Und auf dem Nachhauseweg fragt ein Jugendlicher, wann der Asylbewerber mal wieder zum Fußball komme.

Eine rechte Hochburg sei Waren keineswegs, meinen Bürgermeister, Polizei und Verfassungsschutz übereinstimmend. Zwar sei die Zahl rechter Propagandadelikte und Sachbeschädigungen in den letzten Monaten leicht angestiegen. Erst am 13. Oktober wurden wieder zwei Jugendliche beim Kleben von NPD-Plakaten erwischt. Doch im Vergleich zu anderen Gegenden wie beispielsweise der 50 Kilometer entfernten Kleinstadt Neustrelitz, wo die NPD im vergangenen Jahr mehrfach aufmarschierte, sei Waren »kein Sorgenkind«, sagt Siegfried Stein vom zuständigen Staatsschutz-Kommissariat. Christian Utpatel von der RAA sieht in Waren eher ein ruhiges Hinterland.

Ende August schmierten unbekannte Rechte in Waren Hakenkreuze an das historische Alte Rathaus, das Redaktionsgebäude der Lokalzeitung und den Dienstwagen der RAA. »Eine gezielte Aktion«, sagt Siegfried Stein. Ob sie im Zusammenhang mit der Heß-Aktionswoche oder dem Patriotentreff stand, darüber könne man nur spekulieren. Als gesichert gilt hingegen, dass sich in der »Schutzzone für Deutsche«, wie ein Aufkleber im Patriotentreff verkündet, alles tummelt, was rechts ist: unorganisierte Skinheads, Mitglieder des NPD-Kreisverbandes und Neonazis. Der Laden habe eine Anziehungskraft über die Szene in Waren hinaus, erklärt der mecklenburgische Verfassungsschutz. Die Inhaber wollten ungestört Geld verdienen und Parteipropaganda verbreiten. Auf die Frage, ob es im Land »national befreite Zonen gibt«, hört man vom Verfassungsschutz ein vehementes »Nein«. Schließlich seien die Sicherheitsbehörden überall in der Lage einzugreifen.

Nur manchmal eben nicht. Zum Beispiel im Juni, als sich im 30 Kilometer von Waren entfernten Dorf Priborn über 300 rechtsextreme Skinheads aus der gesamten Republik, aus Österreich und Italien zu einem Nazirockkonzert einfanden. Da die Veranstaltung in geschlossenen Räumen stattfand, habe man trotz des »Konzerterlasses« aus dem Innenministerium keine Handhabe gehabt, heißt es bei der Polizei.

Er sei »traurig, dass der Patriotentreff nicht schon zu ist«, sagt Bürgermeister Rhein. Er ist »nicht optimistisch, dass wir ihn wegkriegen«. Aufgeben im Kampf gegen Rechts will er nicht. Doch manchmal fühlt sich der Kommunalpolitiker von den Landesbehörden im Stich gelassen. Und dann fragt er sich: »Warum ist die NPD ausgerechnet ins schöne Waren gekommen?«