Nazi-Überfall auf linke WG

Die Axt in Finsterwalde

Nach dem Überfall von Neonazis auf eine linke WG sorgt sich eine Kleinstadt in Brandenburg um ihren Ruf.

Eine »Zeckentown« in Brandenburg soll es geben, man mag es kaum glauben. Oder gegeben haben. Das ist noch nicht entschieden. Bis vor zwei Wochen jedoch war Finsterwalde bei vielen Punks aus der Region beliebt. Dann bescherte ihnen der schmeichelhafte Ruf gewaltigen Ärger. »Die Faschos kotzt es an, dass ringsum alles braun ist und hier nicht«, bringt einer der Punks die aktuelle Situation auf den Punkt.

Zwanzig mit Äxten und Baseballschlägern bewaffnete Rechte rückten nachts an. Sie warfen vor zwei Wochen sämtliche Fenster einer linken WG im Stadtzentrum ein. Anschließend stürmten sie die Wohnung und droschen auf Computer, Fernseher, Regale, Türen und den Sicherungskasten ein. In einem Zimmer verbarrikadiert, hörten Micha, einer der Bewohner, und ein Freund, wie sich die Rechten mit einem »Wir kommen wieder in vier Wochen« verabschiedeten.

Seither bestimmen Spekulationen über weitere Angriffe von Rechts die Gespräche der linken Jugendlichen. Bei jedem Geräusch, das nachts von der Straße in die Wohnung dringt, »kriegst du Paranoia, ob es ein Fascho ist«, beschreibt Julia die letzten Tage. Sie wohnt in der »eigentlichen Punker-WG« direkt gegenüber der demolierten Wohnung. Ein Rechter soll auf dem Bau ausgeplaudert haben, es sei »ja nur das falsche Haus erwischt« worden.

Zunächst eher wortkarg, beginnen die Punks dann doch zu berichten. »Schön ruhig« sei es bisher gewesen, ohne »Faschostress«. So erzählt es Julia, die vorher in Dresden lebte. Auch aus den Kleinstädten in der Gegend seien in den vergangenen Jahren viele Linke hierher gezogen. Tim trauert dem eigenen Konzertraum nach, in dem man »bis morgens feiern und die Kippen auf den Boden schmeißen« konnte: »Viel Punk, Hardcore, die Leute waren begeistert.«

Doch vor einigen Monaten wurde ihnen vom Ordnungsamt verboten, den Raum weiter zu nutzen. Ein wenig hilflos stehen die Punks der neuen Situation gegenüber. »Man sitzt hier rum und wartet, dass sie kommen«, sagt Tanja eher resigniert. Doch nur rumsitzen wollen sie auch nicht. Mit einem überzeugten »Demo, Demo« versucht Julia die Resignation zu durchbrechen - »wenn alle ruhig in ihrem Zimmerchen sitzen, das geht ja auch nicht«. Die anderen stimmen ihr zu.

Einen anderen Treffpunkt als die Juselhalle, ein städtisches Jugendzentrum, haben die nicht-rechten Jugendlichen nicht mehr. Verwaltet wird das Zentrum von einem Verein, wer Konzerte veranstalten will, braucht eine Genehmigung. Und die ist gerade jetzt schwer zu kriegen. Es könnten ja wieder Scheiben zu Bruch gehen.

In der Juselhalle hat sich auch der 17jährige Felix seit dem Überfall fast täglich mit Freunden getroffen. Er erzählt von Reichskriegsflaggen: »Die kann man nachts durch die Fenster sehen. Vierzehn, fünfzehn Jahre sind die alt, die die an der Wand hängen haben.« Auch sonst habe das Kleinstädtchen für Rechte einiges zu bieten. Da gebe es das »Roxy« für Jüngere und das »Ehrentraud« für Ältere. In einem Laden mit dem klangvollen Namen »Magnomania« soll es unter der Ladentheke Lektüre und Musik für den rechten Geschmack geben.

»Wir geben alle Informationen an die Polizei weiter«, sagt Felix und zählt Namen von stadtbekannten Faschos auf: »Tex, Putz, Effenberg«. Manchmal wird er hektisch, wenn ihm neue Details einfallen. Erschüttert erzählt Fritz, ein Bewohner der verwüsteten WG, von einem Mädchen, das von Maskierten verprügelt wurde: »Sie ist von den Faschos auf unserer Spontankundgebung am Sonntag nach dem Angriff gesehen worden.«

Seit dem Überfall ist kein Tag ohne aggressive Auftritte von Neonazis in der Stadt vergangen. Nachts von Autos verfolgt zu werden, gehört ebenso zum Alltag wie »Sieg Heil«-Gegröle von Glatzen. »Es ist nicht mehr auszuhalten«, stellt Fritz fest, nachdem er eine Chronologie der Ereignisse aus der jüngsten Vergangenheit aufgezählt hat. »Jetzt hat man nachts Angst, auf die Straße zu gehen. Und wenn die in die Punker-WG einreiten, dann brennt's«, befürchtet er.

Noch aber halten die Jugendlichen daran fest, die Proteste friedlich zu gestalten. Alles soll »legal und gewaltfrei« sein, fordert selbst eine Punkerin immer wieder. Wehren wollen sie sich aber trotzdem. »Wir wollen, dass die Bevölkerung hinter uns steht«, sagt Felix. »Alleine schaffen wir das nicht.«

Auch deswegen herrscht in der Juselhalle am Tag vor einer geplanten Demonstration rege Betriebsamkeit. Plakate werden auf Pappe geklebt, Felix' Handy klingelt ununterbrochen, jemand sucht neuen Kleister im Gewusel. Gewerkschaften, Parteien und Geschäftsleute unterstützen die Demo. Den Jugendlichen in der Juselhalle gefällt das.

Nur die Punks sind etwas skeptischer: »Eigentlich will die Stadt nur, dass alle sich ruhig verhalten. Die haben Angst, dass Leute losziehen und Faschos jagen«, meint Julia. Jetzt seien »alle superaktiv«, doch sie fürchtet, dass »in ein paar Tagen alles wieder vergessen« sein wird.

Der Pressesprecher der Polizei, Bernd Fleischer, findet es »auf jeden Fall plausibel«, dass Rache das Tatmotiv bei dem Übergriff vor zwei Wochen gewesen sei. Punks hätten in der Woche zuvor einen Rechten zusammengeschlagen. An »Rangeleien zwischen rivalisierenden Jugendgruppen« in der Vergangenheit erinnert sich auch der FDP-Bürgermeister Johannes Wohmann.

Man merkt ihm an, dass er ein Bild von Finsterwalde bewahren will, in dem die jüngsten Ereignisse nichts verloren haben. Finsterwalde ist eine traditionsreiche Sängerstadt. Erst kürzlich haben die Finsterwalder mit Zehntausenden Besuchern in friedlicher Eintracht und voller Stolz ihr Sängerfest gefeiert. Selbst in der Telefonwarteschleife des Rathauses trainiert man für die volksmusikalische Hitparade. Nach den unschönen Schlagzeilen hätten die Finsterwalder das Gefühl, dass der Staat nicht genügend durchgreife, beschreibt eine Redakteurin der Lausitzer Rundschau die Stimmung in der Stadt.

Bürgermeister Wohmann ist fest davon überzeugt, dass sich durch den Nazi-Überfall »alle demokratisch denkenden Bürger in Finsterwalde angegriffen fühlen«. Er empört sich, wie lasch die Justiz mit den Tatverdächtigen umgeht. Unisono mit seinen Bürgern fordert er ein härteres Vorgehen des Staates. Das hätte auch Auswirkungen auf die Frage, ob Finsterwalde noch eine »Zeckentown« ist.