Israelisch-palästinensischer Konflikt

Tausche Steine gegen Helme

Yassir Arafat fordert eine UN-Blauhelmtruppe zum Schutz der Palästinenser. Israel setzt weiter auf eine bilaterale Lösung.

Blauhelme nach Nahost? Angesichts von über 200 Toten und 8 000 Verletzen, die die bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen zwischen israelischen Sicherheitskräften und palästinensischen Demonstranten und Milizen gefordert haben, ohne dass eine Beilegung des Konflikts in Aussicht steht, wird neuerdings der Ruf nach einem Eingreifen der UN lauter.

Letzte Woche verlangte Jassir Arafat die Aufstellung einer bewaffneten, 2 000 Mann starken Blauhelmtruppe »zum Schutz der Palästinenser« vor der israelischen Aggression. Zudem erklärte der palästinensische Unterhändler Ahmed Kureia die Stationierung von Blauhelmen zu einer zentralen Voraussetzung weiterer Friedensverhandlungen mit Israel. Damit verfolgen die Palästinenser eine bekannte Doppelstrategie: Der seit nunmehr sechs Wochen andauernde blutige Konflikt soll weitgehend »entgrenzt«, die amerikanische Vermittlerrolle geschwächt werden.

Seit Mitte der siebziger Jahre ist es der PLO ebenso wie verschiedenen arabischen und islamischen Staaten gelungen, UN-Vollversammlungen zu Tribünen antizionistischer Propaganda zu machen und entsprechende israelfeindliche Beschlüsse durchzusetzen. Den Höhepunkt dieser Vorstöße stellte 1975 eine Resolution dar, die den Zionismus als Rassismus verurteilte und die bis heute das Verhältnis vieler Israelis zu der Weltorganisation trübt. Die Mehrheit aus Ländern der Dritten Welt und des damaligen Ostblocks in der UN-Vollversammlung, die gegen die USA eine israelfeindliche Haltung durchsetzte, drängte diese in der UN dazu, eine Verweigerungs- und Vetohaltung einzunehmen.

In der Folge verband sich die Forderung nach der Befolgung von UN-Resolutionen fast automatisch mit heftiger Kritik am US-Imperialismus im Nahen Osten. Selbst radikale palästinensische Organisationen konnten sich so positiv auf die Weltorganisation berufen, die bei anderen Gelegenheiten, etwa im Golfkrieg, als willfähriger Büttel der USA denunziert wurde. Entsprechend taktisch reagierten die USA und Israel, indem sie ihrerseits jeden als »Helfershelfer palästinensischer Terroristen« verdächtigten, der sich auf eine der UN-Resolutionen bezog, die den Rückzug Israels aus den besetzten Gebieten forderten.

In diese Tradition reiht sich nun auch der Vorstoß Arafats ein, der darauf abzielt, den Einfluss Russlands und der EU im Nahen Osten zu stärken und den Konflikt zugleich zu internationalisieren. Obwohl der UN-Sicherheitsrat, vor allem auf Drängen Richard Holbrooks, den palästinensischen Vorstoß erst einmal ablehnte, scheint Arafat seinem Ziel doch näher gekommen zu sein. Dem niederländischen UN-Botschafter Peter van Wilsum zufolge wurde der Antrag bei einigen Staaten mit Sympathie aufgenommen. Frankreich griff die Idee auf, indem es vorschlug, eine unbewaffnete UN-Beobachtergruppe in die Palästinensergebiete zu entsenden, und neben Großbritannien signalisierte Argentinien seine Bereitschaft, diesen Vorschlag unterstützen zu wollen.

Gleichzeitig taucht in der internationalen und vor allem arabischen Presse vermehrt die Frage auf, warum die »Weltgemeinschaft« Kosovo und Palästina mit zweierlei Maß messe; schließlich handele es sich in beiden Fällen um die brutale Unterdrückung einer kolonisierten Minderheit. Sollte diese Ansicht sich verbreiten, hätte die palästinensische Diplomatie einen wichtigen Sieg errungen. Mit Verweis auf die »humanitären Interventionen« der vergangenen Jahre könnte mit breiter Unterstützung ein Engagement der »internationalen Gemeinschaft zur Rettung des palästinensischen Volkes« eingefordert werden, das, wie es im Entwurfstext einer kürzlich in den Autonomiegebieten kursierenden Resolution hieß, »von Völkermord bedroht« sei.

In Israel wird seit Jahren vor den Gefahren einer Entwicklung gewarnt, die am Ende zu einer Intervention des Auslandes führen könnte. Aber nicht nur deshalb stößt auch der französische Vorschlag auf heftige Ablehnung. Mit Verweis auf die israelfeindliche Haltung der UN in der Vergangenheit wehrt sich die israelische Regierung gegen die - von den Palästinensern angestrebte - Internationalisierung des Konfliktes, wissend, dass bei seiner augenblicklich katastrophalen Reputation im Ausland eine offizielle Einmischung fatale Folgen hätte. In Ostjerusalem patrouillierende Blauhelme bedeuteten für die israelische Regierung nicht weniger als die faktische Aufgabe der Souveränität über den Ostteil der Stadt.

So setzt Israel weiter auf eine bilaterale, von den USA vermittelte Lösung. Entsprechend betonte Außenminister Shlomo Ben Ami, dass Israelis und Palästinenser selbst eine Lösung finden müssten: »Das einzige, was wir augenblicklich brauchen, ist die Beendigung der Gewalt auf beiden Seiten, die Einhaltung des Sharm al-Sheikh-Memorandums und die Rückkehr zum Friedensprozess.«

Seine Ablehnung von UN-Missionen kann Israel zudem mit seiner Akzeptanz anderer internationaler Beobachtergruppen begründen. Nach dem Massaker des fanatischen Siedlers Baruch Goldstein gab der damalige Premier Yitzak Rabin grünes Licht für die Präsenz von 150 Beobachtern in Hebron. Diese versuchen seitdem, durch ihre Anwesenheit in den Konfliktgebieten der Stadt, Zusammenstöße zu verhindern oder zwischen den Kontrahenten zu vermitteln. Dies habe auch in den letzten Wochen positive Auswirkungen gehabt, stellt der Kolumnist Daoud Kuttab in der Jerusalem Post fest: Die Stadt weise die geringste Rate von toten und verletzten Palästinensern auf, und die israelischen Soldaten hielten sich augenscheinlich zurück, aus der Nähe mit Gummimantel-Geschossen auf Demonstranten zu schießen. Selbst der Erziehungsminister Yossi Sarid fand lobende Worte für die Gruppe, deren Anwesenheit »die israelische Souveränität in keiner Weise in Frage stellt«.

Auch wenn Israel nicht gerade begeistert internationale Untersuchungskommissionen begrüßt, so legt es ihnen doch keine Steine in den Weg. Zwei Fact-Finding-Missionen von amnesty international konnten kürzlich relativ ungehindert im Land recherchieren. Sie kamen unter anderem zu dem Ergebnis, dass die israelische Armee exzessive Gewalt gegen Zivilisten anwendet, entgegen der eigenen Vorschriften aus extremer Nähe auf Köpfe schieße und Palästinenser aus Westbank und Gazastreifen, aber auch aus Israel willkürlich verhafte, misshandele und ihnen häufig ein faires Gerichtsverfahren vorenthalte.

Zudem gab letzte Woche die Clinton-Administration bekannt, die israelische Regierung habe der Einsetzung einer Untersuchungskommission unter Leitung des Ex-US-Senators und Nordirland-Vermittlers George Mitchell zugestimmt. Diese Kommission soll Ursachen und Verlaufsform des Konfliktes vor Ort recherchieren.

Die palästinensische Seite begrüßte dies zwar, u.a. weil Javier Solana, der außenpolitische Koordinator der EU, an der ansonsten US-dominierten Kommission teilnehmen soll. Zugleich kritisierte sie heftig, dass weder Russland noch die arabischen Staaten an ihr partizipieren, Länder, von denen sie eine schärfere Verurteilungen Israels hätte erhoffen können. Auch so aber dürfte Israel wenig Schmeichelhaftes über seine militärischen Aktionen zu hören bekommen. Allerdings könnte die Kommission, ähnlich wie zuvor amnesty international, auch das Vorgehen palästinensischer Milizverbände ebenso wie die Menschenrechtslage in den Autonomiegebieten kritisieren, was keinesfalls den Wünschen Arafats entspräche.

Die von Frankreich vorgetragene Forderung nach unbewaffneten UN-Truppen dagegen dürfte die Haltung Israels eher verhärten und die Abwehr jeder äußeren Einmischung weiter stärken. Eine andere Form von internationaler Präsenz aber, wie das Beispiel Hebron und die Besuche israelischer und amerikanischer Friedensaktivisten in palästinensischen Städten während des Höhepunkts der Auseinandersetzung zeigen, können durchaus zur Deeskalation des Konfliktes beitragen.