»Cool« von Ulf Porschardt

Kalt. Noch kälter!

Kulturhistorisches Topfschlagen mit Ulf Poschardt. Von Diogenes bis zu Joy Division: Die Welt friert ein.

Am Anfang steht Marcus Garvey. 1927 schrieb er ein Gedicht mit den Zeilen: »Let no trouble worry you; keep cool, keep cool! / Don't get hot like some folks do; keep cool, keep cool! / What's the use of prancing high / While the world goes smiling by / You can win if you would try; keep cool, keep cool!« Ulf Poschardt erinnert zu Beginn seines Buches daran, dass Garvey mit dem Begriff »cool« so etwas wie eine politische Gefühlslehre begründete. »Keep cool« war eine Aufforderung, sich angesichts der rassistischen Übermacht durch eine zur Schau gestellte Emotionslosigkeit so lange zu immunisieren, bis sich das Gefühl für einen Aufstand eingestellt habe.

Diese Haltung fand Eingang in den Lifestyle afro-amerikanischer und später auch weißer Subkulturen. Poschardt wendet die Begrifflichkeit sowie das damit verbundene Konzept nun auf den Kapitalismus an - in der Hoffnung, Coolness gegen den mittlerweile weitgehend sinnentleerten Gebrauch als szenesprachliches Adelsprädikat für eine affirmativ-subversive Poptheorie nutzbar zu machen. »Das Überwinden einer kalten Gesellschaftsordnung kann nur von denjenigen betrieben werden, die Kälte aushalten und die kalte Welt als notwendige Passage auf dem Weg in eine bessere Welt verstehen«, heißt es in der Einleitung. Diesem Anforderungsprofil, so meint Poschardt, entsprechen die coolen Helden der Pop- und Hochkultur am besten.

Zum Protagonisten des Cool erklärt er Andy Warhol. Seine Kunst, die kapitalistische Konsumgüter museumstauglich machte, sein Traum, zu einer Maschine zu werden, sein Kokettieren mit der eigenen Käuflichkeit und seine warenfetischistische Heilsvorstellung, als Ring am Finger von Liz Taylor wiedergeboren zu werden - darin sieht Poschardt einen Affront gegen den Verblendungszusammenhang der bürgerlichen Gesellschaft, die auf Subjekt-Philosophie, abendländischer Metaphysik und Kunstreligion errichtet wurde.

Als frühen Ahnherrn der Coolness-Strategien macht er den Stoiker Diogenes aus. Auch die Figuren aus Choderlos de Laclos' »Gefährliche Liebschaften« sind für Poschardt wegen ihres anti-idyllischen Liebeskalküls Adepten des »Cool«. Selbst die Ikonisierung des Reichtums, die im HipHop betrieben wird, halte den Musikern die Möglichkeit offen, sich vom System »zu distanzieren«. Wenn der Künstler Matthew Barney im kühlen Laboratorium seines Videos das Zusammenwirken von künstlichen Kniegelenken und natürlichem Bewegungsapparat bei einem Football-Star untersucht, so erkundet er für Poschardt die Freiheiten neuer Human-Technologien jenseits anachronistischer Identitätskonzepte und hypermoderner Androiden-Hypes.

Die Sterilität der Popkultur interpretiert Poschardt als Reflex der Seelentrümmerlandschaft, die allerdings einen Vorschein wärmerer Zeiten bereithalte. Im »rhizomatischen Wuchern« der Kabel, an denen die beiden Menschmaschinen in dem Björk-Video »All is Full of Love« hängen, entdeckt Poschardt ein utopisches Moment. Das Kabelgestrüpp versinnbildliche »das Vordringen des Digitalen, an dessen Ende die technischen Doubles unseres Selbst zu Lehrmeistern der (Nächsten-) Liebe werden können«.

Poschardt betreibt aber keine naive Apologie des »Cool«. Seine Liste der gescheiterten Kältetechniker ist lang. James Deans Flucht vor der Nestwärme ins Nirvana der Geschwindigkeit endete tödlich. F. Scott Fitzgerald verlor irgendwann die Kraft, die Kälte-Experimente der Zweierbeziehung fiktional und real weiter durchzuspielen. Der Joy Division-Sänger Ian Curtis, der eine Art von coolem Leiden kultivierte, brachte sich schließlich um.

Den systemstabilisierenden Charakter des Wechselspiels von Subversion und Integration beobachtet der Autor schon zu Diogenes' Zeiten. Heute räume die Gesellschaft der dissidenten Popkultur eine Nische ein, um sich darin regenerieren zu können. Zwar lastet Poschardt den Ahnen des »Cool« eine Mitverantwortung für die Entfremdung an, geht dabei aber nicht besonders systematisch vor. Er ignoriert nicht nur die »eher uncoole«, politisch heiße Zeit der Sechziger, er interessiert sich auch nicht für den nachfolgenden Abkühlungsprozess. Gegen die warme, weiche Hippiekultur mit ihrem Love & Peace, ihren Marihuana-umwölkten Lagerfeueridyllen und ihrer aus psychedelischen Endlosrillen bestehenden Musik setzte die coole Strategie des Punk die scharfen Konturen der Kurzhaarfrisuren, aggressiv-primitive Songs und eine »Zurück zum Beton«-Ästhetik. Mit seinem unversöhnlichen, jeder Romantik abholden Realismus konnte Punk nur im Hier und Jetzt des Kapitalismus landen und nahm so den kulturellen Überbau der Yuppie-Ära vorweg.

Diese Dynamik entgeht Poschardt, da er aus allen Ecken der Kulturgeschichte Beispiele hervorklaubt, aber keine Periode genauer untersucht. Die wechselvollen Karrieren von »warmen« oder »kalten« Frauentypen im frühen Hollywood, jeweils eng verwoben mit der Vorkriegszeit, dem Ersten Weltkrieg, dem Jazz-Age, der Depressionszeit und dem New Deal, hätten sich dafür angeboten. So beeindruckt das Buch zwar durch seine Materialfülle, die dichten Werkanalysen und die ideologiekritischen Untersuchungen von Alltagsphänomenen, es kann aber mit seinen Thesen den zur Zeit in Agonie liegenden poplinken Diskurs nicht wiederbeleben.

Denn vor lauter Coolness-Phänomen erkennt Poschardt das Systemganze nicht mehr. Zwar kündet keine kapitalistische Idyllik von einer herzerwärmenden falschen Aufhebung der gesellschaftlichen Widersprüche, doch die gegenwärtige Kultur macht keinen allzu kühlen Eindruck. Aus den Städten ist der unwirtliche graue Beton fast verschwunden. Frank Gehry baut Bürokomplexe mit Event-Charakter, die in ihrer neo-expressionistischen Krumpeligkeit die Anmutung von Märchenhäusern haben. In die Literatur kann man wieder einfach so eintreten und sich wohlfühlen, weil die AutorInnen freundlicherweise auf Formexperimente verzichten, und das Fernsehen zeigt Leute wie dich und mich. Mittlerweile beschwört die globale Erwärmung sogar schon eine Klima-Katastrophe herauf.

In Zeiten, in denen sich die Kontrollgesellschaft dieser Wärmestrategien bedient, sich mit »Big Brother« selbst feiert und Blair sein Sozialabbau-Unternehmen »Cool Britannia« tauft, stellt sich die Frage, ob die von Poschardt betriebene Affirmation des Cool überhaupt noch das geeignete Mittel zu einer politischen Intervention darstellen könnte.

Ulf Poschardt: »Cool«. Rogner & Bernhard bei Zweitausendeins, Hamburg 2000, 438 S., DM 55