Ein Liedermacher und die RAF

Biermanns Welt

Auch die dritte deutsche Vergangenheitsbewältigung hat ihren Schlussstrich längst verdient.

Kaum haben wir zwei Vergangenheitsbewältigungen glücklich hinter uns gebracht, da stecken wir auch schon mitten in der dritten. Was die erste betrifft, so gilt sie inzwischen als vorbildlich, und künftige Historiker werden die Frage beantworten dürfen, ob sie von Anfang an vorbildlich war, wie Angela Merkel meint, oder erst in ihrem späteren Verlauf, nämlich etwa ab 1968, vorbildlich wurde. Zur letzteren Auffassung neigt Cem Özdemir, gibt aber zu bedenken, die »Zwangsarbeitnehmer« müssten noch entschädigt werden.

Die zweite Vergangenheit hat in unser aller Stellvertretung Wolf Biermann bewältigt, indem er die Verdächtigen säuberlich sortierte: »Wer sich wandelt, wer wirklich ein Anderer wird, wer den Mut hat, zu brechen mit verbrecherischen Kumpanen, wer unter dem Eindruck schmerzhafter Erfahrungen und schwer durchlittener Einsichten sich ändert«, kam ins Töpfchen, wer aber »sich nur wendet, ist ein Feigling und Opportunist, der sich dummschlau anpasst, der charakterlos nach der jeweiligen Macht schielt, nach Privilegien oder Geld - also ein Lump und Schweinehund«. Den einen vom andern zu unterscheiden, vermochte niemand so exakt wie eben Biermann, offen blieb allerdings die Frage, zu welcher Sorte er selbst gehört.

Dass er nach Privilegien oder Geld geschielt hätte, kann man ihm nicht vorwerfen, denn sie sind ihm einfach zugefallen, im Osten wie im Westen. Er hat aber, daran ist nicht zu zweifeln, Mut bewiesen, Schmerz erfahren und gelitten viel und laut. Zwar war er vor Jahren Kommunist, aber nur »aus Daffke«. Die Herrschenden in der DDR unterdrückten ihn so grausam, dass es auch im Westen kaum jemanden gab, der nicht gern mit ihm getauscht hätte. Sie nannten sich Kommunisten, er jedoch wusste von Oma Meume, dass sie gar keine Kommunisten waren, und stahl ihnen diesen Titel.

Heute will er ein Bürgerrechtler gewesen sein. Ob er sich, nur um Ulbricht zu ärgern, »aus Daffke« zur RAF bekannte, wäre folglich noch zu klären. Als er nämlich 1969 den Fontanepreis bekam, spendete er das Preisgeld einem Anwalt der RAF, dem mit Biermannschen Kraftwörtern gar nicht mehr zu beschreibenden Horst Mahler. Die Möglichkeit, dass dieses Geld in Waffen investiert würde, machte ihm damals keine Sorgen. Denn man dürfe nicht erwarten, »dass ich mich von der ðRoten-Armee-FraktionÐ distanziere. Ich möchte nicht in den Orden linker Oberpriester aufgenommen werden, die der Baader-Meinhof-Gruppe ihren Segen verweigern. Lenin hat gesagt, dass der erste Schuß erst abgefeuert werden darf, wenn die Revolution losgeht. Die Kommunisten in der Baader-Meinhof-Gruppe setzen ihr Leben für die Gegenthese ein, nämlich, sie wollen beweisen, wenn nicht endlich der erste Schuss losgeht, die Revolution verschlafen und verfressen wird. Dass nun Leute ihr Leben für eine These aufs Spiel setzten, mag für das gebildete Publikum seine typisch deutsche Komik haben, aber immerhin hat die Raf wichtige Antworten auf die Frage geliefert, ob und in welchem Maß die Methoden der südamerikanischen Tupamaros in Westeuropa anwendbar sind. Und solche Erfahrungen werden nicht in Wortgefechten gemacht, sondern in praktischen Kämpfen. Billiger sind neue politische Erkenntnisse nicht zu haben.«

Als nun die dritte Vergangenheitsbewältigung anhob und einige Minister sich wegen jugendlicher Umtriebe zu rechtfertigen hatten, bat der Deutschlandfunk auch Biermann um einen Kommentar. Glücklicherweise habe sich ihm die Frage nach der politischen Gewalt seinerzeit gar nicht gestellt, gab er zu Protokoll, insbesondere mit der »Verbrecherbande« RAF habe er nichts zu schaffen gehabt: »Ich hatte ja mit denen nie wirklich etwas zu tun, schon weil ich in Ost-Berlin lebte. Davor schützte mich schon die DDR.« Aber seine Gesprächspartnerin war gut vorbereitet: Er habe doch damals dem Mahler den Fontanepreis ... ? »Ja. Insofern habe ich mindestens viel mehr Schuld als der ganze Fischer an der ganzen RAF, freilich unfreiwillig. (...) Weil ich natürlich ein tapferes Schneiderlein war, habe ich erklärt, ja, den Preis, die Ehre nehme ich, aber die 10 000 Mark, die die Steuerzahler von West-Berlin aufgebracht haben, die soll mal der Rechtsanwalt Mahler kriegen, damit er die Terroristen der RAF verteidigen kann. Dass dieser Mahler dann mit diesen 10 000 Mark nicht die RAF verteidigt hat, sondern sich dafür - nehme ich mal an, ich weiß es nicht - Maschinenpistolen gekauft hat und in den Untergrund gegangen ist und selbst Terrorist wurde, das ist meine schuldlose Schuld an dieser Geschichte, ja.« Das war nun zwar nicht direkt gelogen, aber die Wahrheit war es auch nicht. Biermann selbst würde vermutlich sagen, er habe die Wahrheit gelogen.

Neuerdings arbeitet er als Chefkulturkorrespondent der Welt. Für einen »mittleren sechsstelligen Betrag«, wie der Spiegel verriet, der aber offen ließ, ob die halbe Million wöchentlich oder jährlich gezahlt wird. In dieser Funktion sang er seinem Arbeitgeber neulich einen alten Schlager vor: »Drei Kugeln auf Rudi Dutschke«. Der Springer-Verlag, namentlich Bild, sei doch auch nicht unschuldig gewesen, damals, 1968ff. Biermann sollte das lassen. Denn am Ende müsste man ihn womöglich jaulen hören, das Gnadenbrot, das er bei Springer frisst, sei ihm im Mund zu Stein geworden.

Für eine Sekunde sah es danach aus, als habe nun schon die vierte Vergangenheitsbewältigung begonnen und auch der Springer-Verlag wolle sich schämen. Doch da war zum Glück Herbert Kremp vor, der auf dem historischen Faktum beharrte, hinter der Kampagne gegen Springer habe Ulbricht gesteckt. Ernst Cramer sprang ihm und dem ganzen Hause bei: »Die Zeitungen des Axel Springer Verlages fochten für die Werte, die dieser Staat verkörpert, hauptsächlich Freiheit und Liberalität.«

Recht so. Denn würde selbst die Welt noch liberal, so verstünde man, um ein beliebtes Wortspiel zu wiederholen, die Welt nicht mehr. Und auch Herbert Kremp braucht sein Requiem für Franco nicht zu bereuen: »Den kraftvollen Geist friert nicht im Angesicht des Todes. Aber er denkt an die Armen, die er im ungeordneten Leben zurücklassen muß. Sie dauern ihn. Um die Ordnung fürchtet er. Immer ist es bei diesem Sterben so, als verschwände eine Säule.« Ähnliches müsste man, gäbe auch sie den kämpferischen Geist auf, der Welt nachrufen.

Was aber den Außenminister Fischer betrifft und seine kompromittierenden Fotos, um die es während der letzten Wochen eigentlich ging, so wird man getrost Frank Schirrmacher zustimmen dürfen: »Man kann den Handelnden zwar erkennen, aber das undurchsichtige und sich unendlich verdoppelnde Geflecht seiner Beweg- und Handlungsgründe vermummt ihn zur Unkenntlichkeit.« Den Rabauken Fischer zu entmummen und ihn aus dem unendlichen Doppelgeflecht hervorzupellen, lohne sich schon deshalb nicht, weil der Minister Fischer, als es gegen Jugoslawien ging, einen »bürgerkriegsähnlichen Notstand im Innern« verhindert habe, der unvermeidlich eingetreten wäre, hätte nicht er, sondern Kinkel die Verhandlungen von Rambouillet in den Sand setzen und sodann die Bombardements der Nato rechtfertigen müssen.

Wer trotzdem noch wissen will, was der amtierende Außenminister in seiner Jugend getrieben hat, lasse sich von Daniel Cohn-Bendit belehren. Fischer war kein Straßenkämpfer, sondern ein Intellektueller, und die Putzgruppe war ein Lesezirkel: »Heute sieht es ja so aus, als hätte er sein Leben nur auf der Straße verbracht. Was mich jedoch an dem Mann fasziniert hat: Der hat stundenlang gelesen.«

Nein, es ist genug. Es muss endlich ein Schlussstrich gezogen werden!