Neues Betriebsverfassungsgesetz

Die Riester-Rolle

Auch wenn sie streiten, sind sich Arbeits- und Wirtschaftsminister einig: Das neue Betriebsverfassungsgesetz soll vor allem den Standort Deutschland sichern.

Kommt nun der »Krach in den Betrieben«, den der IG Metall-Vorsitzende Klaus Zwickel vergangene Woche angekündigt hat? Werden sich die Unternehmer mit den Änderungen zufrieden geben, mit denen Schröders Kabinett jetzt den Entwurf des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) auf den parlamentarischen Weg schickt?

Eines ist klar: Betriebsräte werden auch nach der Novellierung des BetrVG zur vertrauensvollen Zusammenarbeit und zur Wahrung des Betriebsfriedens gebraucht. Denn ob Kleinunternehmen oder Großkonzern: Umstrukturierungen, Ausgliederungen und Verschlankungen der Produktion stehen auf der Tagesordnung, und in den meisten Fällen können sie ohne die Einbindung von Betriebsräten kaum konfliktfrei und »sozialverträglich« abgewickelt werden. Außerdem sorgen die ständigen Änderungen der Betriebsabläufe bei den Belegschaften für Dauerstress und Ängste, weshalb sich Betriebsräte zunehmend der neuen Funktion eines Sozialarbeiters widmen müssen.

Diese Situation ist Unternehmern und ihren Interessenvertretungen bekannt. Ohne Betriebsräte sind weder tarifliche Öffnungsklauseln praktikabel noch betriebliche »Standortsicherungsverträge« möglich, in denen Belegschaften zur Rettung ihrer Arbeitsplätze allerlei Verzicht erklären. Solche Vorteile werden folglich auch im jetzt zur Diskussion stehenden Referentenentwurf des Bundesarbeitsministeriums (BMA) betont. Dennoch ist der Aufschrei der Unternehmer ungleich lauter als die Kritik des DGB. So monierte der parteilose Wirtschaftsminister Werner Müller, nach Worten der stellvertretenden DGB-Vorsitzenden Ursula Engelen-Kefer ein »Sprachrohr der Arbeitgeber«, gleich 26 Punkte des Entwurfs. Die Aufregung kommt pünktlich; nachdem sich diese Woche das Kabinett mit der Novellierung befasst hat, soll Anfang April der Bundestag darüber beraten.

Die Kritik bezieht sich auf mehrere Bereiche. So passt es den Unternehmern nicht, dass die Gründung von Betriebsräten in heute noch weitgehend betriebsratsfreien Kleinbetrieben erleichtert werden soll. Die hinderliche Zwischeninstanz Betriebsrat verursache »ruinöse« Kosten. Solche Befürchtungen hegt auch der Einzelhandel, der Betriebsräte schon immer durch den Einsatz teilzeitarbeitender Frauen zu verhindern wusste. Doch ebenso wie Leiharbeiter werden diese Frauen auch künftig nicht unter den Arbeitnehmerbegriff des BetrVG fallen.

So lange es geht, will man die Gründung eines Betriebsrats verhindern. Dafür werden auch künftig genug Möglichkeiten bleiben: gewerkschaftsfeindliche Personalauswahl, Schikanen, Erpressungen und Kündigungen. Nützt das alles nicht, gilt es, die Betriebsräte in möglichst vielen Ausschüssen zu beschäftigen und als betrieblichen Friedensfaktor zu nutzen. Der aktuelle Entwurf weitet diesen Aspekt aus: »Im Ergebnis verschiebt sich dabei in Reaktion auf neue wirtschaftliche Notwendigkeiten die Balance zwischen den traditionellen Schutzfunktionen der Mitbestimmung und ihrem Beitrag zu einem reibungslosen Produktionsablauf.«

Große Aufregung verursachte die angebliche Kostensteigerung, weil Betriebsräte künftig bereits in Betrieben mit 200 und nicht mit 300 Beschäftigten freigestellt werden sollen. Selbst in Mittel- und Großbetrieben gibt man sich empört. Insgesamt sollen der deutschen Wirtschaft Mehrkosten in Höhe von 2,7 Milliarden Mark pro Jahr entstehen, eine Zahl, die DGB-Vize Engelin-Kefer als »vorne und hinten falsch« bezeichnet, da gleichzeitige Entlastungen nicht eingerechnet seien. Zu den Kosten werden auch befürchtete Entscheidungsverzögerungen bei Betriebsabläufen, Maschineneinsatz, Gruppenarbeit und Umweltschutz gerechnet, denn vor allem in diesen Bereichen sollen Einspruchs- bzw. Anhörungsrechte der Betriebsräte eingeführt werden. Höhere Unkosten würden zu Wettbewerbsnachteilen der deutschen Unternehmen führen, Investoren abschrecken und damit Arbeitsplätze gefährden, schimpfen die Arbeitgeber.

Da sowohl die Regierung als auch Gewerkschaften und Arbeitgeber im Bündnis für Arbeit der deutschen Konkurrenzfähigkeit verpflichtet sind, soll das neue BetrVG nach dem Willen der Kapitallobby in die nächste Legislaturperiode verschoben werden. Zunächst müsse das Thema im Bündnis behandelt werden. Der Frieden in dem Gremium scheint tatsächlich in Gefahr, wenn selbst CSU-Chef Edmund Stoiber davor warnen muss, in die Zeiten des Interessengegensatzes zurückzufallen, während die moderne Arbeitswelt durch Teamgeist und Corporate Identity gekennzeichnet sei.

Vom Teamgeist ist auch die Gewerkschaftsstrategie geprägt. Schließlich wirft IG Metall-Chef Zwickel den Arbeitgebern eine »Neuauflage des Klassenkampfes« vor und sieht die Harmonie im Bündnis gefährdet, obwohl gerade die Gewerkschaften mit den ökonomischen Vorteilen der Konfliktvermeidung und des sozialen Friedens werben, die das BetrVG biete.

Doch das Geschrei der Arbeitgeber hat seine Funktion längst erfüllt. Zwar wird es zu einigen Änderungen kommen, doch die scheinbare Polarisierung hat dazu geführt, dass die Gewerkschaften fast bedingungslos den Entwurf des BMA verteidigen, obwohl er weit von den eigenen Forderungen entfernt ist. Die nun anstehenden Anpassungen im Sinne des Kapitals dürften kostenrelevante Elemente betreffen, denn in allen übrigen Punkten kann die Arbeitervertretung kaum noch mehr Entgegenkommen zeigen.

Während die meisten DGB-Vorschläge ignoriert wurden, dominiert im Gesetzesentwurf aus dem Hause Riester der Geist der Bertelsmann-Stiftung, des Think-Thanks neoliberalen Geistes, wie er in den gemeinsamen Mitbestimmungsthesen der Bertelsmann- und der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung anzutreffen ist. Einer der wichtigsten Eckpunkte ist die Verlagerung von Kompetenzen des Betriebsrats auf die Ebene von Arbeitsgruppen. Diese sollen noch stärker unter dem Druck des betriebsexternen wie -internen Wettbewerbs stehen.

Die Partnerschaft mit dem Betriebsrat wird auch in der Tarifpolitik großgeschrieben. Interne Vereinbarungen sollen die Konkurrenzfähigkeit verstärken. Klappt dies nicht, sollen künftig die Zwangsmaßnahmen der »aktiven Arbeitsmarktpolitik« in den Sozialplänen berücksichtigt werden. Kurzum: Verlangt werden Betriebsräte als Co-Manager, Moderatoren und Sozialarbeiter, die in Betriebsvereinbarungen Tarifverträge aushebeln oder ersetzen.

Wenn der DGB nun ankündigt, das BetrVG zum Thema des 1. Mai zu machen, hat er sich um ein Jahr verspätet. Das geplante Motto, »Zukunft braucht alle Köpfe. Mitbestimmung gewinnt«, bestätigt zudem den Eindruck, dass es um eine Werbekampagne für eine Mitbestimmung geht, die als Co-Management für nationale Wettbewerbsfähigkeit verstanden wird. Eine solche Kampagne wäre überflüssig. Auch die Arbeitgeber wünschen eine Mitverantwortung des Betriebsrats, die ihre Entscheidungsgewalt nicht beeinträchtigt. Genau dies wurde im Referentenentwurf berücksichtigt durch faktisch wirkungslose Beteiligungs- und Vorschlagsrechte, wie etwa ein »Vorschlagsrecht zur Sicherung und Förderung der Beschäftigung«. Für die Unternehmer gibt es an den Aufgaben der künftigen Betriebsräte nichts zu deuteln: Mitverantwortung, aber keine Kompetenzen.