Repressionsversuch in Leipzig

Bermuda-Dreieck Ost

Seit den achtziger Jahren verschwinden Subkulturelle und Hausbesetzer in Leipzig-Connewitz. Von einem neuen städtischen Repressionsversuch

Normalerweise lassen sich die VertreterInnen kommunaler Behörden im Süden der Stadt nicht blicken, aber neulich kamen die MitarbeiterInnen des Ordnungs-, des Gewerbeaufsichts- und des Jugendamtes Leipzig nach Connewitz. Denn es ging darum, einem ungeliebten Objekt einen begutachtenden Besuch abzustatten: dem Atelierhaus Zoro. Früher saß in dem Fabrikgebäude das Kombinat Rundfunk und Fernsehtechnik. 1990/91 wurde der Komplex besetzt. Fahrradwerkstätten, Grafik- und Layoutstudios entstanden, das Ganze wurde zu einem Ort für selbstbestimmte Kultur und Handwerkelei. Die Konzerte und Discos sind für viele zu Pflichtterminen geworden. Zu den alljährlichen Zoro-Festivals kommen bis zu 800 Punks aus Europa und Übersee.

Die radikalen kulturellen Praktiken der VeranstalterInnen, die szenige Publikumszusammensetzung und die moralisierenden Unterstellungen des sächsischen Freistaats und der Stadt Leipzig führen seit der Existenz des Projektes zu Konflikten. Von amtlichen Auflagen bis zu martialischen Polizeieinsätzen reicht das Spektrum staatlicher Restriktionen gegen das Zoro, das seit 1993 vom Jugendamt an die BetreiberInnen untervermietet wird.

Von den Stadtoberen wurde Leipzig-Connewitz vor zwanzig Jahren als »innerstädtisches Rekonstruktionsgebiet« zum vollständigen Abriss freigegeben. Da aber in der DDR nichts so schnell ging wie geplant, wurde die marode Bausubstanz allmählich entvölkert und ein Teil der Abrissarbeiten den Jahreszeiten und bedürftigen Schrott- und Antiquitätenhändlern überlassen. Connewitz wurde für unangepasste Subjekte ein ideales Gebiet zum Verschwinden. Deshalb und wegen der Begrenzung durch drei Straßenzüge wurde das Terrain »Bermuda-Dreieck« getauft, es bildete einen städtischen Rückzugsraum für Punks und Leute, die die strengen Wohnungsvergabebedingungen der städtischen Verwaltung nicht erfüllen konnten und wollten. Mit der Zeit eröffnete in der Gegend das eine oder andere Szene-Café, und autonome Projekte wie das Kommunikationszentrum Conne Island entstanden.

Anfangs wurde schwarz gewohnt. Man kam mit ein paar Sachen und blieb. Ab Herbst 1989 wurde still besetzt. Eine ganze Serie temporärer Hausbesetzungen folgte. Noch bis 1991 galten die Bebauungspläne aus DDR-Zeiten. Auf ihrer Grundlage ging die Stadt mit repressiver Toleranz gegen Hausbesetzungen vor. Besetzer erhielten befristete Nutzungsverträge, wurden aber zum Teil verpflichtet, Gewaltverzichtsklauseln zu unterschreiben. Auch heute stehen in Leipzig rund 700 Häuser leer und sollen abgerissen werden. Die massive Bauwelle der Gründerjahre nach dem Anschluss der DDR hat diese Entwicklung von Leerstand und Abriss weiter verschärft.

Seit den Leipziger Demonstrationen vom November 1989 liefert sich die heterogene Connewitzer Szene aus Punks, Autonomen, Crash-Kids und StudentInnen Auseinandersetzungen mit Nazis, die damals begannen, die montäglichen Demonstrationen zu einem nationalistischen Aufmarsch von Deutschen mit DDR-Pass zu stilisieren. Die Connewitzer Szene reagierte auf diesen Willen zur Einheit mit Gegendemonstrationen und wurde zu einem bevorzugten Angriffsziel von Neonazis. Nach Fußballspielen oder am Rande von Antifa-Demos marschierten immer wieder Glatzen oder auch schon mal FAPler durch den Kiez. Mit der Zeit zogen sich auch BesetzerInnen aus anderen Stadtteilen nach Connewitz zurück und bauten dort neben einer alternativen Kulturszene Antifa-Strukturen auf.

Mit einem bundesweiten Kongress 1995 und den »Weltfestspielen der HausbesetzerInnen« 1998 erlebten die Leipziger SquatterInnen die letzten Höhepunkte ihrer Bewegung. Dabei konnte in Leipzig schon 1995 kaum noch von Hausbesetzungen gesprochen werden. Die noch aus DDR-Zeiten stammende städtische Wohnungsverwaltung, die den neuen Formen widerständiger Artikulation zu Anfang hilflos gegenüberstand, hatte die ersten Hausbesetzungen in Connewitz noch mit provisorischen Nutzungsverträgen honoriert.

Darauf folgten Jahre zunehmender Illegalisierung. Die Szene beschäftigte sich mit Strategien der Gegenwehr, der Sicherung und Legalisierung bestehender Projekte. 1995 wurde in Leipzig die Alternative Wohngenossenschaft Connewitz gegründet, um der städtischen Strategie ein Konzept des gemeinsamen Wohnens und selbstbestimmter Bewirtschaftung entgegenzusetzen. Heute verwaltet die Genossenschaft 15 Häuser. Für 1998 war eine neue Offensive geplant. Mit den »Weltfestspielen« reagierten die BesetzerInnen auf den in Folge des Baubooms entstandenen Leerstand. Für 24 Stunden sollten tausend leere Häuser symbolisch besetzt werden. Überall zog Polizei auf. Bei einem der Einsätze stürzte ein Aktivist auf der Flucht vor der Polizei von einem Balkon und starb.

Die Leipziger Szene hat sich mittlerweile vollständig in den Süden der Stadt zurückgezogen und versucht dort, subkulturelle Gegenidentität und alternative Lebensformen zu präsentieren. Die traditionellen jährlichen Razzien im Kiez sind seit 1998 ausgeblieben. Trotzdem hat die Polizei aufgerüstet und ist am Connewitzer Kreuz ständig präsent. 1999 wurde auf dem Platz eine Überwachungskamera installiert. Der ehemalige Beigeordnete für Jugend, Kultur und Sport, Wolfgang Tiefensee (SPD), ist mittlerweile Oberbürgermeister und der Law-and-Order-Politiker Holger Tschense (SPD) Dienstherr des Leipziger Ordnungsamtes. Beide sind Ziehkinder des früheren Oberbürgermeisters Hinrich Lehmann-Grube, der 1990 vom Sessel des Hannoveraner Stadtdirektors in den des Leipziger OB wechselte und die Modernisierung der Stadt organisierte. Hin und wieder schicken Tiefensee und Tschense, die für Antitotalitarismus plattester Art und SPD-Konservatismus stehen, noch die Polizei nach Connewitz oder versuchen, alternative und militante Jugendliche zu dividieren. Und manchmal senden sie auch eine größere Abordnung ins südliche Bermuda-Dreieck wie vor kurzem ins Zoro.

Seither warten die BetreiberInnen auf einen Brief der städtischen Behörden, der ihnen wahrscheinlich eine weitere Verschärfung der Nutzungsauflagen ankündigen wird. Vorsichtshalber haben sie schon einmal die Hofeinfahrt verschlossen.