Gentechnologie in Deutschland

Das Gen ist die Botschaft

Mit der Veröffentlichung der menschlichen Genomstrukturen erhält die Gentechnologie in Deutschland einen neuen Schub. Und die gesellschaftliche Akzeptanz wächst.

Nun sind sie im Tritt. Jetzt erst, auf der zweiten Etappe der Veröffentlichung der genetischen Daten des Menschen funktioniert das Zusammenspiel von Forschung, Politik und Medien auch auf nationaler Ebene. War im Sommer letzten Jahres zunächst nur die weitgehende Entzifferung des menschlichen Genoms bekannt gegeben worden, druckten die Fachzeitschriften Nature und Science letzte Woche die genauen Ergebnisse des US-amerikanischen Forschers und Unternehmers Craig Venter und des internationalen Human Genome Projects (Hugo) ab.

Doch während der öffentliche Diskurs im vorigen Jahr noch vom Antagonismus zwischen dem erfolgreichen Unternehmer Venter und der britischen sowie der US-Regierung geprägt war, profilierten sich diesmal gleich mehrere nationale Akteure. So warfen Sprecher der nationalen Abteilungen des Human Genome Projects Venter medienwirksam vor, er habe sich ihrer öffentlich zugänglichen Daten bedient ohne die er die staatlich finanzierten Forscher niemals hätte überholen können. Die Bundesregierung verband den PR-Coup mit der Aussicht auf weitgreifende ökonomische und technologische Perspektiven für die deutsche Genomforschung: Die in Aussicht gestellten 350 Millionen Mark werden das deutsche Human Genome Project auf diesem Sektor ganz nach vorne bringen.

Sonderausgaben, seitenlange journalistische Abhandlungen, Interviews und Spekulationen begleiteten letzte Woche die Meldung, dass die menschliche Spezies lediglich aus 30 000 Genen bestehe - einer erheblich geringeren Anzahl als bislang angenommen.Anders als noch vor einem Jahr erschien das Genom vielen plötzlich weniger abstrakt, die Nachricht dass es nicht größer als das von manchen Pflanzen sein solle, gab der Öffentlichkeit zudem eine diskursive Figur vor, mit der sich nun fast jeder an der Diskussion um die Bedeutung des Genoms beteiligen kann.

Die öffentlichen Attacken auf Craig Venter waren ein weiteres Mittel, effektiv Public Relations zu betreiben. Die erst durch die öffentliche Auseinandersetzungen geschaffenen Akteure waren diesmal deutsche Forscher, Helden im Kampf gegen die vermeintlich schlechte Kommerzialität Craig Venters.

Und tatsächlich werfen die neuen Forschungsergebnisse interessante Fragen auf; neben prophetischen Voraussagen über die Wirksamkeit der Gendaten in der Krebsforschung fanden sich in vielen Tageszeitungen auch skeptische Einschätzungen. So machte die Süddeutsche Zeitung scheinbar wissenschaftskritisch mit dem Titel »Größtenteils Wüste« auf, während in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung in wissenschaftlich differenzierten Exkursen die Komplexität aufgezeigt wurde, mit der aus Genen Proteine entstehen.

Aus der Beschreibung der Introns, jener Merkmale also, an denen sich der Beginn eines Gens erkennen lässt, wurde nicht nur der Schluss gezogen, dass zwischen Geno- und Phänotyp zu unterscheiden sei, sondern auch, dass sich von den Proteinen bis zum ausgewachsenen Körper eine quasi unendliche Differenzierung und Kasuistik entfaltet. Die geringe Zahl der Gene hatte selbst Venter auf den Gedanken gebracht, dass das Genom vielleicht gar nicht so ausschlaggebend sei, wenn dessen geringer Umfang dem hohen Differenzierungsgrad der menschlichen Art so gar nicht entspreche.

Allerdings schien nicht das genaue Forschungsinteresse zu zählen, sondern die öffentliche Platzierung der Gentechnologie als politisches Thema. Denn so unterschiedlich die publizierten wissenschaftlichen Positionen auch waren - sie übersetzten sich doch alle in das identische Signal: energische Förderung gentechnologischer Forschung sowie nationale Entschlossenheit zu Investitionen.

Das Missverhältnis zwischen der Darstellung der wissenschaftlichen Verfahren und Ergebnisse und der Zurückhaltung mit der anschließend über die Sicherheit und Effizienz der Gentechnologie diskutiert wurde, ist schwer verständlich. So wurde zwar gezeigt, dass sich einzelne Gene in bis zu 38 000 verschiedene Proteine übersetzen lassen, aber die Frage, was das für Gentests bedeutet, wie etwa in dem neben der Klonierung gesundheitspolitisch umstrittenen Bereich der Präimplantationsdiagnostik (PID), blieb ungestellt. Obwohl man daraus doch eigentlich schließen müsste, dass der prognostische Wert eines Genchecks hochgradig unsicher ist.

Die rot-grüne Regierung hält sich hier genau an die Regel, technische Daten in jedem Falle mit neoliberaler Effizienz gleichzusetzen sind. Die sei zwar nicht immer hundertprozentig zu rechtfertigen, aber am Ende doch das Beste für alle. So nutzt Rot-Grün auch die neuesten Veröffentlichungen, um die Akzeptanz der PID langsam zu steigern.

Liest man etwa die Erklärung von Hans Lehrach, dem Leiter des Max-Planck-Instituts für Molekulare Genetik und Sprecher des deutschen Genom-Projekts, zeigt sich, wie die offene Diskussion der letzten Wochen der Logik repressiver Toleranz gehorcht. Alle durften etwas Kritisches und Relativierendes anmerken, aber zum Schluss fasste der Grundlagenforscher Lehrach die Ergebnisse so zusammen, als hätte Gott ein Programm geschrieben und seinen Programmierer auf die Erde geschickt: »Es ist eine Revolution unserer Möglichkeiten, Leid und Tod bekämpfen zu können und langfristig zur Sicherheit der Wirtschaftskraft beizutragen.« Das »Programm« sei »entziffert, das allen Lebensvorgängen zugrunde liegt«. Und bald sei »das Netzwerk aus Genen und Genprodukten im Computer zu simulieren«. Am Ende warnte er noch vor einer »politisch korrekten Verteilung des Bärenfells«, bevor der Bär erlegt sei. Dass es um eine Jagd geht, das ahnte man schon, aber wer ist hier der Bär?

Forschungsministerin Edelgard Bulmahn und Bundeskanzler Gerhard Schröder schlossen Biologie und Wirtschaftskraft auf ähnliche Weise kurz. Um an der Zukunftsaktie Genom partizipieren zu können, machten sie Mittel aus der Versteigerung der UMTS-Lizenzen locker - was die Logik der geldheckenden Virtualität des Neuen Marktes nun auch auf die biologischen Möglichkeiten der neuen Sprache DNA ausdehnt. Während sich aber die IT-Branche gerade in einer Ernüchterungsphase befindet - unter anderem wegen der hohen unternehmerischen Investitionen für UMTS - speist sich das Biologisch-Spekulative nun auch aus diesem Geld.

Aber das erklärt nicht viel. Denn wie spekulativ die gentechnologischen Modelle auch sein mögen, handgreiflich sind sie allemal. Sie können falsch sein, fiktiv sind sie nicht. Dass sie sich verändern, lässt sich gerade wieder beobachten. Denn mit den neuen Veröffentlichungen von Venter und Hugo wurde der frühere wissenschaftsorthodoxe Glaube - die Ein-Gen-ein-Protein-These - aufgegeben.

Es ist erst einige Jahre her, dass es wichtig schien, sich darauf verlassen zu können, dass ein Gen genau ein Protein herstellen könne, und insofern auch jedes Protein auf ein Gen zurückzuführen sei. Wie viele andere Prozesse unter kapitalistischen Gesellschaftsverhältnissen relativieren solche Einsichten die Orthodoxie, um sie gleichzeitig gegen Kritik zu immunisieren. Es wird eine neue Unschärfe eingeführt, die in gewisser Weise eine wissenschaftliche Schwäche darstellt. Sie wird aber in Stärke gewendet. Ein neues Forschungsfeld wird etabliert, die Prionomics, die in Anlehnung an die Genomics so genannte Eiweißforschung.

Im einer Sonderausgabe des Berliner Tagesspiegel räumte man folgerichtig den zahlreichen deutschen Forschungszentren umfassenden Platz ein - mit Schwerpunkten auf den Berliner Proteinforschern und der Proteinstrukturfabrik in Berlin-Buch, in der versucht wird, das Proteom zu entziffern. Hier wird schon angekündigt, dass die Entschlüsselung der Proteine wegen ihrer höheren Komplexität schwerer fallen werde als die der Gene.

Termingerecht kündigte Gerhard Schröder letzte Woche ganz pragmatisch an, einen neuen Ethikrat einzuberufen. Das gab den parlamentarischen KritikerInnen die Gelegenheit zu opponieren. Schröder wolle die bereits bestehende Enquete-Kommission mit seinem Plan umgehen, hieß es. Das mag stimmen. Wenn dabei aber die Enquete-Kommission zur kritischen Opposition aufgewertet wird, so nützt diese Fehleinschätzung den Sozialtechnokraten.