Naomi Klein, Autorin von »No Logo«

»Hipness heißt Angst haben«

Selbsthilfegruppe für Fashionvictims oder politische Bewegung? Seit dem Erscheinen ihres Buchs »No Logo« (Jungle World, 4/01) ist die kanadische Aktivistin Naomi Klein, Tochter einer feministischen Filmemacherin und eines linken Arztes, auf dem besten Weg, zur Ikone der Anti-Sweatshop-Bewegung zu werden. Die britische Times kürte Klein zur »wohl einflussreichsten Person der Welt unter 35«. Und der Londoner Observer nannte das Buch »the Capital of the growing anticorporate movement«. von »No Logo«

Was war Ihr Beweggrund, »No Logo« zu schreiben?

Wie viele andere, die auf dem Feld linker Politik arbeiteten, fühlte ich mich Mitte der Neunziger sehr deprimiert. Es schien einfach unmöglich, politisch noch etwas zu bewegen. Unternehmen nahmen der Politik immer mehr Macht ab. Der Markt diktierte alles, und wir waren in der Defensive. Viele hatten das Gefühl, sie kämpften einfach, um die letzten Reste des öffentlichen Sektors zu verteidigen. Ich schrieb »No Logo«, weil ich einer neuen Generation von Aktivisten begegnete, die jünger waren als ich und viel optimistischer und die es direkt auf Unternehmen abgesehen hatten.

In Europa spricht man von »Globalisierungsgegnern«. Sie vertreten die Auffassung, dass es sich dabei um »Unternehmensgegner« handelt.

Die meisten Menschen aus dieser Bewegung sind sehr internationalistisch eingestellt und begrüßen eine stärkere Vernetzung der Nationalstaaten. Globalisierung ist ein buzzword und meint nicht eigentlich Globalisierung, sondern globalen industriellen Kapitalismus. Es geht darum, dass jedes einzelne Land sich anpassen und beugen muss, um international wettbewerbsfähig zu sein. Das heißt: deregulieren, privatisieren und darauf hoffen, dass das Wirtschaftswachstum alle ökonomischen Probleme lösen wird.

Sie propagieren den Angriff auf Images, Marken und Branding. Für viele Menschen stiften Marken Sinn, bieten Orientierung und ein Gefühl von Identität.

Es ist einfach nicht besonders befriedigend, an Marken zu glauben. Die Lifestyle Brands füllen definitiv eine Leerstelle aus, die wir früher mit Religion oder der Identifikation mit Nationalstaaten gestopft haben. Diese Institutionen brechen weg, aber wir sind immer noch da und suchen etwas, das größer ist als wir selbst. Wir wollen Teil einer Gemeinschaft von Gleichgesinnten sein. Wir schmücken uns immer noch gern mit Symbolen, um eine Zugehörigkeit zu signalisieren.

Was ist daran verkehrt?

Die Ideen, die diese Marken adaptiert haben, sind immer noch machtvoll: Gemeinschaft, Stärkung des Einzelnen, Demokratie etc. Natürlich sind die Marken auf den Plan getreten, uns diese machtvollen Ideen zurückzuverkaufen. Aber es handelt sich um eine Mogelpackung, deshalb bleibt die Sehnsucht, und wir müssen immer weiter shoppen. Ich bin zuversichtlich, dass wir irgendwann den Weg zum Echten - the real thing - finden werden. Damit meine ich nicht die Hinwendung zur Religion oder zum Patriotismus. Dennoch brauchen wir echte Gemeinschaften, echte Demokratie, echte Macht des Einzelnen im globalen Zeitalter. Wir werden herausbekommen, wo wir das hernehmen, jedenfalls nicht aus unseren Turnschuhen.

Sie sprechen von einer weltweiten Gegenbewegung. Ist De-branding nicht eher eine neue Volte des Fashionzirkus?

Wenn das alles nur auf dem Universitätscampus in den USA stattfinden würde, hätten Sie recht. Was die Bewegung interessant macht, sind die Links zwischen der so genannten Dritten und der Ersten Welt. Es ist eine extrem heterogene Bewegung von Leuten, die sich mit strukturellen Fragen des Marktes beschäftigen. Es ist nicht besonders sexy, an einem Sonntagnachmittag herumzusitzen und über IWF und Weltbank zu diskutieren. Wenn man nur mitmacht, weil es gerade modern ist, wird einem sehr schnell langweilig.

In Deutschland gab es einmal den Slogan: »Es muss wieder hip sein, links zu sein!« Worin besteht der Paradigmenwechsel im Vergleich zu traditionellen Formen linken Engagements? Geht es mehr um Ästhetik als um Politik?

Im Kern geht es um eine Ablehnung von Lifestyle-Politik und zugleich um neue Formen von Kreativität und Spaß, das ist der hedonistische Aspekt dieser Bewegung. Die Botschaft lautet: »Do it yourself!« Deshalb entsteht viel mehr Unerwartetes. Hipsein heißt Angst zu haben. Es ist ein Abklatsch von Coolness. Du hast dich abgekoppelt und bist unberührbar. Was wir ablehnen, ist die coole, ironische, entrückte Pose. Dagegen setzten wir auf eine neue Reflektiertheit und - warum nicht? - auf Aufrichtigkeit. Im ironischen Zeitalter ist das durchaus radikal.

Viele der Manifeste dieser Bewegung zeugen von Graswurzelromantik und Kulturpessimismus. Ist diese neue Bewegung konservativ?

Ich sehe einen überwältigenden Optimismus, der enorm vorwärts gerichtet ist. Gleichzeitig gibt es eine große Angst davor, was der Markt mit unseren Gemeinschaften anstellt. Obwohl niemand in Pessimismus und Alarmismus verfällt, gibt es bei einigen schon noch diesen Zurück-aufs-Land-Gedanken.

Sie schildern ihre Haltung zum Lifestyle als Vertreterin der so genannten Generation X. Welche Rolle spielen die kollektiven Erfahrungen dieser Generation im Kontext der Bewegung?

Ich beschreibe das als ein Gefühl von Nostalgie, das nicht zu unterschätzen ist. Jede deiner Erfahrung wurde dir industriell verpackt noch einmal verkauft. Diese ganz persönliche Erfahrung von allgegenwärtigem Branding und Ausverkauf unterscheidet die heutigen Aktivisten von ihren Vorgängern. Die Frauenbewegung der Siebziger konzentrierte sich zum Beispiel auf die Forderung nach Repräsentation in den Medien und verlangte, dass Frauen in der Werbung weniger stereotyp dargestellt werden. Wenn man jedoch mit allgegenwärtiger Werbung aufgewachsen ist und einem jedes Erlebnis, jede mächtige Idee als Bestandteil einer Marke verkauft wurde, sehnt man sich nach offenen Räumen, nach Ausbruch und Fluchtwegen. Man hört auf, die Bilder verändern zu wollen, und fängt an, die Realität zu verändern.

Gibt es einen Unterschied zwischen Europa und Amerika, wo Gewerkschaften traditionell eine geringere Rolle spielen?

Ich denke, nein. Auch in Amerika sind die Gewerkschaften in die Proteste involviert. In Seattle sind 30 000 Menschen auf die Straße gegangen. Der Slogan der Seattle-Proteste gegen die WTO war: »Teamsters and turtles together at last.« Teamsters ist eine der größten Gewerkschaften in den USA. Sie marschierte zusammen mit jungen Umweltschützern, die als Schildkröten verkleidet waren, um gegen die Schleppnetzfischerei zu protestieren. Traditionell sind die Arbeiterbewegung und die Umweltbewegung in den USA getrennt und verfeindet. Also war das fast ein historisches Ereignis. Durch die Sweatshop-Diskussion entstanden eine Menge interessanter Verbindungen. Deshalb kommt derzeit an den Universitäten die gewerkschaftliche Organisation drastisch voran.

Welche Rolle spielt das Internet?

Es ist eine große Hilfe bei der Organisation. Das Besondere ist die dezentrale Struktur, die sich im Wesen der Bewegung wiederfindet. Es gibt keine Anführer, kein zentrales Manifest, keine Hierarchien. Das Internet ist ein Spiegel der Bewegung und umgekehrt.

»No Logo« gilt als eine Art Manifest. Das Buch ist auf dem besten Weg, ein Superbrand zu werden.

Es ist nur eine Bestandsaufnahme. Aber die Medien wollen ein Manifest daraus machen. Sie wollen, dass die Bewegung aussieht, wie Bewegungen seit den Sechzigern auszusehen haben.

Was würden Sie einem Manager raten, der den baldigen Tod seiner Marke fürchten muss?

Nichts. Ich erteile Managern keine Ratschläge.

Am 3. März, 19 Uhr, findet im Berliner Mehringhof eine Veranstaltung mit Naomi Klein statt.