»Der Ausstieg ist ein langer Prozess«

Ein Gespräch mit Jonas Gutzeit, einem Mitarbeiter von Exit e.V. Der Verein wurde im Herbst vergangenen Jahres in Berlin gegründet, um reuige Neonazis zu unterstützen

Obwohl Exit die Pläne des Innenministers für ein Aussteigerprogramm als »katastrophal« bezeichnet, hat ihr Verein gegen zusätzliche staatliche Programme nichts einzuwenden. Wie passt das zusammen?

Es ist utopisch zu glauben, dass mit dem geplanten Aussteigerprogramm der große Durchbruch gelingen wird. Man will nur an die Führungskader heran, die in der Regel derart fanatisiert sind, dass sie wohl kaum mit Geld oder einer neuen Wohnung geködert werden können. Das ist konzeptionell falsch. Dennoch ist das staatliche Programm grundsätzlich zu begrüßen. Es muss jedoch von zivilgesellschaftlichen Initiativen auf lokaler Ebene flankiert werden. Denn dort wird die eigentliche Arbeit geleistet.

Was unterscheidet Initiativen wie Exit denn von den staatlichen Programmen?

Das Projekt Exit läuft unter dem Motto: »Hilfe zur Selbsthilfe«. Die aussteigewilllige Person muss den ersten Schritt vollziehen und die Bereitschaft zu einem Ausstieg deutlich erkennen lassen. Wir gehen nicht gezielt auf Neonazis zu, wie es das Bundesinnenministerium und der Verfassungschutz planen, und wir bieten auch keine Rundumversorgung an.

Ein weiterer Unterschied ist, dass Exit Teil eines umfassenderen Konzeptes des Zentrums Demokratische Kultur (ZDK) in Berlin ist. Den Rechtsextremismus betrachten wir als ein primär gesellschaftliches Problem, das - langfristig gesehen - nur durch die Etablierung einer demokratischen Kultur gekontert werden kann. In diesem Sinne sehen wir uns als zivilgesellschaftlicher Akteur.

Ein schwammiger Begriff. Was soll das konkret heißen?

Das Wichtigste ist Vorbeugung, Exit ist ja eigentlich ein Präventivprogramm. Ich will mal ein Beispiel nennen: Wer - aus welchen Motiven auch immer - aussteigen will, ist, solange er in der Szene bleibt, weiterhin ein potenzieller Gewalttäter. Das wollen wir verhindern.

Das heißt, um unter Ihre Fittiche genommen zu werden, reicht es aus, wenn ein strammer Nazi bekundet, der Gewalt abzuschwören?

Der Ausstieg ist natürlich ein langer Prozess und bedeutet gleichzeitig einen Wiedereinstieg, also eine Rückkehr in die demokratische Gesellschaft. Deswegen ist die Betreuungssituation so wichtig. Wenn sich jemand bei uns meldet, hören wir genau zu und lassen uns dessen persönliche Geschichte erzählen. Selbstverständlich überprüfen wir die Angaben so gut es geht, auch die Motivation der Person, die wir aber nicht in Frage stellen.

Ein Nazi kann also mit viel Verständnis rechnen, wenn er nur auf reuig macht.

Das ist zu platt. Mit Verständnis hat unsere Arbeit nichts zu tun. Das Konzept der akzeptierenden Jugendarbeit zum Beispiel würde keiner unserer Mitarbeiter vertreten, weder in der Bildungs-, noch in der Exit-Arbeit. Wir stellen hohe Ansprüche an Aussteigewillige und machen ihnen deutlich, was mit uns läuft und was nicht. In der Regel bedarf es dazu aber keiner Reue, die Leute sind einfach in einer katastrophalen persönlichen Situation.

Sie sagten, es gehe um den Wiedereinstieg in die demokratische Gesellschaft. Rassismus, Antisemitismus und latent völkisches Denken kennzeichnen doch gerade die gesellschaftliche Mitte.

Genau. Und deshalb funktioniert Exit nur im Gesamtpaket. Um Rassismus abzubauen bietet beispielsweise das ZDK Seminare und Fortbildungen an, auch mit Polizisten, Lehrern und Sozialarbeitern, ja selbst mit Staatsanwälten. So versuchen wir jene zivilgesellschaftlichen Strukuren zu stärken, die vor allem in Ostdeutschland nur wenig ausgeprägt sind. Ich betone: Exit ist lediglich ein Teil dieser Gesamtstrategie, wir betreuen die Aussteigewilligen und versuchen sie in neue Strukturen einzugliedern. Wer aus gefestigten Strukturen wie Kameradschaften aussteigt, muss zudem damit rechnen, als Verräter gebrandmarkt zu werden. Aber das ist ja auch eine Chance.

Mit tatsächlichen oder vermeintlichen Verrätern operieren in der Regel die Sicherheitsbehörden. Machen Sie sich nicht zum Gehilfen des Staates, indem Sie polizeiliche Aufgaben übernehmen?

Nein. Das ist weder rechtlich möglich, noch intendiert. Doch es ist die einzige Möglichkeit, an die fest strukturierten Gruppen heranzukommen. Es geht darum, die rechtsextreme Szene weiter zu schwächen.

Das sagt auch Otto Schily.

Aber man entzieht der rechtsextremen Szene ihr wichtigstes Element - die Aktivisten. Es sorgt für erhebliche Unruhe, wenn jeder ein potenzieller Verräter sein kann. Die Reaktionen, die wir zu hören bekommen, bestätigen das. Man kann nicht alles, was auch staatlicherseits organisiert wird, automatisch als fehlerhaft sehen. Ich hätte auch große Probleme damit, wenn alle Aufgaben verstaatlicht und zivilgesellschaftliche Initiativen vereinnahmt würden. Aber wer das Problem Rechtsextremismus in Deutschland ernst nimmt, kann den Staat nicht außen vor lassen.

Viele Antifagruppen sehen das aus guten Gründen anders. Oft werden sie, und nicht die Rechten, von staatlichen Stellen als das eigentliche Problem dargestellt.

Es geht darum, dass jeder auf seiner Ebene das tut, was er kann. Mir wird oft entgegengehalten, dass der Staat ohnehin nicht glaubwürdig gegen Rechts vorgehen könne, etwa wegen der Asylpolitik. Natürlich ist diese Kritik zulässig. Doch statt die Behörden aus ihrer Pflicht zu entlassen, sollte inhaltliche Kritik geübt werden, um deren Positionen zu beeinflussen. Wenn der VS aber heute gemeinsam mit dem Innenministerium ein konzeptionell ausgereiftes Aussteigerprojekt vorlegt, dann ist das zu begrüßen.

Was ist daran denn begrüßenswert? Wäre es nicht sinnvoller, diejenigen zu unterstützen, die sich beispielsweise in national befreiten Zonen gegen Rechts wenden, statt die Täter zu verhätscheln?

Natürlich muss die Zivilgesellschaft an den Brennpunkten des Rechtsextremismus gestärkt werden. Das ist überhaupt keine Frage. Aber das eine schließt das andere doch nicht aus. Sowohl der Präventivansatz, mit dem man Neonazis aus dieser Szene herauslösen kann, als auch die Stärkung von Gegenbewegungen vor Ort. Beides ist sinnvoll.

Die meisten Antifa-Aktivisten würden sich kaum der Zivilgesellschaft zuschlagen lassen.

Natürlich ist auch das Zivilgesellschaft, was sonst?