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Was denkt man sich, wenn man in der U-Bahn jemanden vor sich sitzen hat, der intensiv eine Zeitung studiert, die man nicht kennt und die Bilder von Reichsadlern vorzeigt, düstere Aufnahmen der Olympiaglocke von 1936 und die Überschrift: »Erlösung der Nation II«? Was denkt man sich als Jungle-World-Autor und Individuum mit Außenwahrnehmung, wenn man in der U-Bahn sitzt und eben jene Seiten denjenigen zuwendet, die einem gegenübersitzen?

Man fängt an, über Codes nachzudenken. Man fängt an, darüber zu sinnieren, ob das Gegenüber wohl darüber nachdenkt, ob man manchmal auch weiße Schnürsenkel trägt, wie sich wohl die Frisur mit der Zeitung verträgt, ob wohl der eigene Gesichtsausdruck eine politische Bedeutung tragen kann. Man nimmt sich und seine Zeitung auf einmal als Konglomerat von Zeichen wahr. Sind sie eindeutig oder mehrdeutig? Was sollen sie denn überhaupt sein? Möchte man erkannt werden oder nicht? Und wovon hängt das ab? Hängt es vielleicht am Namen, der ja gegenüber anderen linken Zeitungen immerhin den Vorteil hat, dass man nicht die Junge Freiheit herübergereicht bekommt, wenn man am Kiosk nuschelt?

Das Logo reißt es raus, denkt man sich, und blättert weiter. Um über einen Satz zu stolpern wie: »Es ist einfach nicht besonders befriedigend, an Marken zu glauben.« Oje. Ist das jetzt schon Eigenbranding? Identifiziere ich mich jetzt schon mit einer Marke, nur weil ich mir vorstellen könnte, mein Gegenüber könnte sich vorstellen, ich könnte mir vorstellen, mich mit der Olympiaglocke von 1936 zu identifizieren? Oder geht es bei »No Logo« um etwas ganz anderes? Am 3. März kann man sich um 19 Uhr im Berliner Mehringhof schlau machen, wenn Naomi Klein erläutern wird, worum es der Anti-Sweatshop-Bewegung geht. Worum es bei der Selbstausbeutung geht, bleibt weiter ungeklärt.