Deutsches Sprachgesetz

No Anglizismen

Deutsch soll wieder deutscher klingen. Plötzlich entdecken alle die Notwendigkeit eines Sprachgesetzes.

Wenn Deutschland zu Recht von Einwanderern erwartet, die deutsche Sprache zu lernen, tut es gut daran, die eigene Sprache zu pflegen, zu erhalten und aus sich selbst heraus weiterzuentwickeln«, riet der Berliner Innensenator Eckart Werthebach. Es konnte einfach nicht ausbleiben, dass ein Bundespolitiker ein Gesetz zur Reinhaltung der deutschen Sprache vorschlug. Diese Diskussion schwelt schon seit längerem (Jungle World, 21/98) und steht im Kontext mit anderen Debatten, die als Momente im Prozess der erneuten und nachhaltigen Nationalisierung Deutschlands nach der staatlichen Vereinigung zu verstehen sind. Da die Vereinigung nur europäisch zu haben war und weil gleichzeitig der Prozess der Globalisierung rasant voranschritt, scheint der Bedarf an Katalysatoren für kollektive nationale Identifizierung um so größer.

Entsprechend schnell sprangen viele auf einen Zug auf, auf dem Republikaner und andere Nationalisten schon seit langem sitzen. Mit holprig kalauernden Wahlkampfanzeigen - »Vater Talkmaster. Mutter sprachlos. Deutschland spricht deutsch!« warben beispielsweise die Reps in der Jungen Freiheit. Jetzt ruft auch Bundestagspräsident Wolfgang Thierse zum Kampf gegen »Sprachverhunzung« auf und beklagt die »sprachlich-moralische Verluderung« in den Medien, und Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer stellt sich wieder mal in den Dienst des Volkes: »Schrille, modische und expertenlastige Anglizismen schließen ohne Not viele Menschen von der Verständigung aus.«

Das Geschnatter in Feuilletons und Talk-Shows bringt in der jüngsten Diskussion diverse Themen durcheinander. Da geht es mal um die Unverständlichkeit von technischen Gebrauchsanweisungen und um die aufgeblähte Sprache der Werbung. Die Jugendslangs, die zur Abgrenzung von den Alten dienen, spielen ebenso eine Rolle wie die abgeschotteten Expertenkulturen oder die abgedroschene Sprache von Politikern, die Sachfragen verkleistern, an der Bevölkerung vorbei reden und auf Showeffekte setzen. Durchweg zielt diese Diskussion auf die Abwehr von Anglizismen in der deutschen Sprache, als sei die fremde Herkunft gewisser Wörter das gemeinsame Zentrum aller Probleme. Das ist zwar ein ziemlicher Quatsch - ein Event wie der Fallschirmsprung eines Politikers gewinnt nicht an politischer Bedeutung, wenn man ihn »Ereignis« nennt -, hat sich im Polit- und Kulturtalk aber weitgehend durchgesetzt. Das Problem komme von außen, aus der Fremde; die beklagte »Sprachverhunzung« scheint wie die Maul- und Klauenseuche in Deutschland einzudringen.

Entsprechend derb wird das Thema artikuliert. Vorneweg marschiert Walter Krämer, Professor für Mathematik und Wirtschaftswissenschaften in Dortmund, mit seinem 1997 gegründeten Verein deutsche Sprache. Er schimpfte am passenden Ort, nämlich in der Jungen Freiheit, über die »deutsch-englische Schimpansensprache« und das »Schimpansendeutsch der Werbung«. Passend sah eine regionale Tageszeitung Krämer auf dem »Kreuzzug gegen das affige Englischgequatsche«, ohne jedoch zu reflektieren, was die Tiervergleiche des so sensibel um Sprache Bemühten nahe legen: Die Aufnahme sprachlicher Fremdkörper führt in Krämers Logik offenkundig dazu, dass die Sprechenden im Animalischen der anderen Kultur verhaftet bleiben.

Krämer & Co knüpfen mittelbar an die deutsche Ideologie der »Muttersprache« an, die ihrerseits auf das völkisch-nationalistische Erwachen eines Johann Gottlieb Fichte und Ernst Moritz Arndt zurückgeht. Die beiden wüteten schon vor 150 Jahren gegen sprachliche »Ausländerei«. »Kreativ denken können die meisten Menschen nur in ihrer Muttersprache«, meint Krämer und stellt sich damit in die Tradition des in der Germanistik immer noch einflussreichen Leo Weisgerber. Der Sprachwissenschaftler im Dienste des SS-Ahnenerbes hat seit den späten zwanziger Jahren eine auf nationale Selbstbehauptung und Abgrenzung zielende Lehre von der »Muttersprache« vertreten. Mit »Muttersprache« ist mehr gemeint, als im landläufigen Wortgebrauch bedacht wird. Von der Wortbildung her die Sprache der Mutter bezeichnend, meint das Wort die eine Sprache (auch der Umgebung), in der ein Kind aufwächst; Herkunft und Lebenswelt werden hier in eins gesetzt, ungeachtet aller sprachlichen Mischzonen und aller Mobilität, die nicht erst Phänomene unserer Zeit sind.

Entsprechend werden bei Weisgerber Individuum und Volk vereint. In seinem Werk »Die volkhaften Kräfte der Muttersprache« verstand Weisgerber »Muttersprache« so: »Die Muttersprache bahnt den Weg, auf dem ein Volk sich seiner selbst bewußt wird, die in den Bindungen des Blutes und des Lebensbodens angelegte Gemeinsamkeit zur geschichtlich wirksamen Gemeinschaft des Denkens und Handelns ausbaut und durch das Schaffen bleibender, allen lebenden und künftigen Volksgliedern zu gute kommender Werte krönt.« Nach 1945 vertrat Weisgerber - lediglich die Terminologisch wurde leicht entschlackt - diese Auffassung weiter, auch um territoriale Anschlussträume zu legitimieren.

Auf den Gedanken von der »Schädlichkeit« der Mehrsprachigkeit beharrte er ebenfalls. 1949 schrieb er in »Die Sprache unter den Kräften des menschlichen Daseins«: »Kenntnis mehrerer Sprachen gibt es in gewissen Grenzen; gleichwertige Sprachen nebeneinander erscheinen als fragwürdiger Reichtum.« Er bezog sich dabei auf den Luxemburger Zweisprachigkeitskongress von 1928. Unter Berufung auf diese Konferenz hatte 1933 auch Fritz Stroh in seiner Habilitationsschrift »Der volkhafte Sprachbegriff« die »Schädlichkeit« der Mehrsprachigkeit »für die Geistesentwicklung und Persönlichkeitsentfaltung« behauptet, die »außerordentlich bedeutsame volkspolitische Folgerungen« nach sich ziehe. Hans Steinacher, hochrangiger Funktionär des Vereins für das Deutschtum im Ausland, machte 1954 deutlich, gegen wen sich diese Abwehr der Mehrsprachigkeit richtete: »Nur aus gesunden volklichen Bausteinen werden dauerhafte großräumige und übernationale Staatengebilde entstehen, niemals aus Nomadentum und wurzellosen Polyglotten, aus volklichen Zwischenschichten oder aus zerstörten Volkheiten.« (Hrvh. A.S.)

Solche expliziten Feindbestimmungen sind im heutigen Diskurs nicht dominant. Er wendet sich nicht gegen die Mehrsprachigkeit, sondern gegen die Vermischung mehrerer Sprachen und zielt politisch auf »Normalisierung«. Man will nicht mehr unter der niederdrückenden Erinnerung an den Nazismus leiden. Die Erinnerung sei das Motiv für die Offenheit gegenüber fremden Sprachen. »Achtlos gegen die eigene Sprache, unterwürfig gegen andere« seien die heutigen Deutschen, behauptet Krämer und bezeichnet das Übel - weltläufig - mit dem aus einem Aufsatz der Times stammenden Ausdruck »ðlinguistic permissivenessÐ der Deutschen«. Von diesem bundesrepublikanischen Sonderweg müsse man abkommen und tun, was für andere Nationen selbstverständlich sei.

Zur Frankfurter Buchmesse 1999 preschte Volker Hage im Spiegel vor, mit eindeutigem geschichtspolitischem Impetus. Die Verleihung des Nobelpreises für Literatur an Günter Grass nahm er zum Anlass, junge deutsche Literaten mit einer umgehängten Blechtrommel als »Enkel von Grass & Co« auf die Titelseite zu bringen. »Die neuen deutschen Dichter« zeichneten sich durch eine »neue Lust am Erzählen« aus und wirkten »befreit von mancher Beschwernis der vom Zweiten Weltkrieg geprägten Vorgänger-Generation«. »Erstmals seit nahezu einem halben Jahrhundert scheint die Erinnerung an die deutschen Verbrechen nicht mehr die Zungen zu lähmen«, schrieb Hage und rechnete mit denen ab, die in den fünfziger und sechziger Jahre einen »Kampf gegen das Erzählen« geführt hätten. »Im Rückblick erscheint das damalige Literaturklima nahezu suizidär«, meinte Hage und fand als Schuldigen namentlich Theodor W. Adorno.

Auch in der deutschsprachigen Popmusik ist ein neues Selbstwertgefühl eingezogen, das erst in seiner Rezeption durch die extreme Rechte kenntlich wird. Bereits die Forderung einer Quote für deutsche Produktionen brachte Heinz Rudolf Kunze in Nation & Europa den Ehrentitel »Botho Strauß des Rock'n' Roll« ein. Wenn im zweiten Akt deutschsprachige Popmusiker wie Wolf Maahn es als Herausforderung empfinden, ein »Gefühl des Patriotismus« zu entwickeln, oder wie Herbert Grönemeyer auf die Idee kommen, »stolz und deutsch« in einem Satz zusammenzudenken, wird das in Gerhard Freys National-Zeitung nicht ohne Grund unter der Schlagzeile »Nationale Normalisierung bei Grönemeyer & Co« bejubelt.

Sollten nun Maßnahmen getroffen werden, wie sie die Sprachschützer vom Schlage Krämers oder die Befürworter eines Gesetzes zum Schutz der Sprache fordern, bekäme die Nationalisierung der Kultur eine neue Qualität.