Berlin fordert Teilhabe am US-Raketenabwehrprogramm NMD

Scharpings Traum

Angeblich zu wenig Geld für die Bundeswehr in der Tasche, aber letzte Woche in Washington vom großen Weltraumkrieg träumen - das ist Rudolf Scharping, wie er leibt und lebt. Bis Anfang dieses Jahres hatte der Bundesverteidigungsminister das Nationale Raketenabwehrprogramm (NMD) der USA noch als gefährlichen Spleen abgetan, mit dem der unerfahrene George W. Bush in kurzer Zeit den Weltfrieden gefährden könnte. Und jetzt soll allein der Auftritt des aus dem politischen Kälteschlaf erwachten greisen Verteidigungsministers Donald Rumsfeld auf der Konferenz für Sicherheitspolitik in München jede Vernunft über den Haufen geworfen haben? Schwer zu glauben.

Noch in München hatten Scharping, Bundeskanzler Gerhard Schröder und Außenminister Joseph Fischer die USA davor gewarnt, Atommächte wie Russland, China oder Indien vorsätzlich in eine neue Rüstungsspirale zu treiben. Schließlich werden Abwehrsysteme durch den ABM-Vertrag begrenzt, um so das Gleichgewicht des atomaren Schreckens aufrecht zu erhalten. Das mag ein archaisches System der Friedensbewahrung sein, aber es hat funktioniert. Bis jetzt. Doch die USA spekulieren nun darauf, ihr Projekt zur Not auch im Alleingang zu realisieren.

Vielleicht führte gerade diese Drohung zu der Kehrtwende, die Scharping und deutsche Militärs und Rüstungsindustrielle nach Rumsfelds Besuch vollzogen. Die Angst, auch hier von den Global Players in Washington abgehängt zu werden, machte aus vermeintlich kritischen Warnern in kürzester Zeit artige Musterschüler. Scharping und Fischer sondierten das Terrain bei den ärgsten Kritikern und Atomwaffenbesitzern in Neu Delhi, Peking und Moskau, vielleicht sogar im Auftrag der Amerikaner. Einfach war es nicht, hier für einen Konsens zu werben, schließlich hatten 250 US-Militärs erst vor wenigen Wochen einen Weltraumkrieg mit Strahlenwaffen und Raketen ausgerechnet gegen China am Computer simuliert.

Den Deutschen ging es bei den Verhandlungen wohl vor allem darum zu klären, wie groß das Risiko wäre, das Angebot der neuen Administration in Washington anzunehmen und sich am Raketenabwehrprogramm zu beteiligen. Jenseits aller Sicherheitsfragen, denn an die Bedrohung aus Nordkorea und dem Irak glaubt man in Berlin nicht. Der alte Industriemann Schröder forderte deshalb um so energischer eine wirkliche »Teilhabe« deutscher Forscher und Rüstungskonzerne an der Technologie. Denn zu verdienen ist da eine ganze Menge. Außer zwei Stellungen in den USA mit 250 Abfangwaffen sind auch Abfangstationen in Europa und Asien geplant, die 60 Milliarden Dollar kosten sollen. Raumfahrtunternehmen wie Astrium in Friedrichshafen verweisen vorsorglich auf ihre Fähigkeiten zur Identifizierung von Objekten im Weltraum, zur Entwicklung von Bodenüberwachungssystemen und Radarsatelliten. Hier sei man stellenweise sogar weiter als die US-Militärs.

Doch der Kriegsalltag sieht anders aus. Während der Nato-Angriffe auf Jugoslawien war die Bundeswehr völlig von Aufklärungsergebnissen abhängig, die US-Satelliten zur Erde funkten. Diesen Techologievorsprung - auch auf anderen Gebieten - will die Bundeswehr beseitigt wissen. Schon 2004 sollen deshalb deutsche Aufklärungssatelliten in die Umlaufbahn geschossen werden. Wenn er dem Raketenabwehrprogramm zustimmt, so hofft Scharping, wird er den US-Militärs in die Karten schauen dürfen und den Umbau der Bundeswehr in eine hochmobile Interventionsarmee in den nächsten fünf bis zehn Jahren schaffen.