»Wer verändern will, muss die Regierung verändern«

Ein Gespräch mit bärbel höhn, der Umwelt- und Agrarministerin von Nordrhein-Westfalen

AKW-Gegner und -Gegnerinnen forderten Einlass zum grünen Parteitag. Weil alle in den Saal wollten, hat man ihnen den Eintritt verweigert. Hätte man sie reinlassen sollen?

Der Weg, der gewählt wurde, war richtig. Auch diejenigen, die draußen demonstriert haben, müssen sich auf eine Lösung einlassen. Wir haben ihnen angeboten, zu Wort zu kommen. Als sie das nicht wollten, sind eben Beteiligte des Parteitages zu ihnen hinausgegangen. Im Übrigen stelle ich fest: Die Demonstranten draußen sind nicht nur AKW-Gegner, sondern auch Mitglieder einer sozialistischen Gruppe. Sie haben also auch noch andere politische Interessen.

Sie haben in Stuttgart die Debatte über ein neues Grundwerteprogramm begonnen. War die Konfrontation vor der Halle nicht beispielhaft für den Widerspruch, in dem sich die Grünen befinden? Drinnen sitzen die Mitglieder einer Partei, die im Namen der deutschen Regierung einen Konsens mit der Atomindustrie vereinbart hat, über den Grüne selbst vor ein paar Jahren nur gelacht hätten, und draußen agiert eine Bewegung, die an ihren Zielen festhält. Sind das grüne Werte?

Nicht nur Demonstranten vertreten Werte, sondern auch die grüne Partei - und zwar auch in der Regierung. Früher haben wir demonstriert und dadurch viel erreicht. Den Atomkonsens aber haben wir nur hinbekommen, weil wir in der Regierung sind, allein mit Demonstrationen hätten wir das nicht geschafft. Nun kann man darüber streiten, ob er gut genug war oder nicht, aber im europäischen Vergleich ist er exzellent.

Auf der Suche nach einem neuen grünen Selbstverständnis kommen Sie um ein grundsätzliches Problem nicht herum: Einerseits wollen Sie soziale Bewegungen einbeziehen, auf der anderen Seite regieren Sie in Berlin. Wie lange wollen Sie dieses Doppelspiel noch betreiben?

Wenn man etwas verändern will, muss man in die Regierung rein. Man muss auch Kompromisse machen. Wenn man das nicht will, bleibt man in der Opposition und erreicht über einen bestimmten Grad hinaus überhaupt nichts Weiteres.

Macht es Ihnen keine Sorgen, dass einer der wichtigen Akteure in Ihrer Debatte - die sozialen Bewegungen - längst nichts mehr von den Grünen wissen will? Zumal Ihre Partei immer noch von den Stimmen stärker abhängt, die sich der Protestkultur verbunden fühlen, als etwa vom ökoliberalen Mittelstand.

Entscheidend ist doch, dass wir viel erreicht haben. Betrachten wir zum Beispiel die Bewegungen im Abfallbereich. Die waren in den achtziger Jahren sehr stark, weil die Regierungen eine Müllverbrennungsanlage nach der anderen bauen wollten. Wir haben dagegen erfolgreich auf Vermeidung gesetzt. Damit haben wir auch der Bewegung gegen diese Anlagen die Zugkraft genommen, weil das Problem gelöst wird. Das gilt noch nicht in allen Bereichen, aber ein Stück weit auch in der Anti-AKW-Bewegung. Durch den Atomkonsens - auch wenn ich mir ein besseres Ergebnis gewünscht hätte - sind wir dem Ende der Atompolitik sehr nahe gerückt.

Was, wie man sieht, viele bezweifeln. Tatsache ist doch, dass Umweltminister Jürgen Trittin für viele Anti-AKW-Gruppen zum politischen Feind geworden ist.

In den Bewegungen wird es immer eine beachtliche Zahl von Leuten geben, denen die Kompromisse nicht reichen und die deshalb den Protest gegen die Regierung wenden. Will man das vermeiden, darf man nicht in die Regierung gehen.

Sind grüne Grundwerte also dasselbe wie Regierungspolitik, oder was meinen Sie mit »grünem Selbstverständnis«?

Gerade mit dem Verbraucherschutz haben wir jetzt ein urgrünes Thema im Zentrum der Debatte, durch das wir die Defensive überwunden haben, in die wir durch die Regierungsbeteiligung gekommen sind. Wir stehen für ökologische, soziale und demokratische Werte. In einer Zeit, in der viele Menschen vor Globalisierung Angst haben, weil sie sich selbst als ein kleines Rädchen im Getriebe empfinden, ist es wichtig und notwendig, diese Werte sehr deutlich zu vertreten. Sie sind das Rückgrat, die Basis der Grünen.

Soziale Gerechtigkeit wurde bei der Diskussion auf dem Parteitag groß geschrieben. Wie passt es dazu, dass mit Hilfe grüner Politiker der Spitzensteuersatz gesenkt sowie auf eine Wiedereinführung der Vermögenssteuer verzichtet wurde? Und mit der viel gepriesenen Ökosteuer kann man vielleicht die Renten finanzieren, aber keine umweltfreundlichen Projekte.

Die Ökosteuer macht Arbeitsplätze weniger teuer, indem sie den Ressourcenverbrauch verteuert und die Lohnnebenkosten senkt. Sie schafft Anreize, damit Unternehmer nicht in Kapital oder Rationalisierung investieren, sondern in Arbeitsplätze. Insofern ist sie eine klassische Steuer, die die ökologischen, ökonomischen und sozialen Aspekte beinhaltet. Dass die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland seit der rot-grünen Regierungsübernahme erheblich gesunken ist, hat auch mit der Ökosteuer zu tun.

Wenn man mit linken Sozialdemokraten spricht, sorgt der Name Oswald Metzger gemeinhin für eine Gänsehaut. Der grüne Haushaltspolitiker lässt sich mit seinen Forderungen, den Gürtel enger zu schnallen, nicht von einem FDP-Politiker unterscheiden. Die grüne Wirtschaftspolitik orientiert sich vor allem auf den ökoliberalen Mittelstand. Wie wollen Sie wieder weg vom Image einer grünen FDP?

Was ist an einer Förderung des Mittelstandes unsozial? Der Mittelstand ist der Bereich in der Wirtschaft, der die meisten Arbeitsplätze schafft. Wer nur Großkonzerne unterstützt, wie das die Sozialdemokraten in Nordrhein-Westfalen in der Vergangenheit getan haben, verstärkt die Negativwirkung von Wirtschaftskrisen. Die Förderung von kleinen und mittleren Unternehmen ist also originäre grüne Politik. Von einer nachhaltigen Wirtschaft kann schließlich die Umwelt ebenso profitieren wie das betriebswirtschaftliche Potenzial. Ziel muss sein, dass wir nicht mehr so sorglos mit der Umwelt und den Ressourcen umgehen. Und da ist die Ökosteuer momentan das beste Instrument.