Neue Biografie über Veit Harlan

Zweiter Freispruch

Eine Biografie des Regisseurs Veit Harlan wirbt für seine Rehabilitation.

Die Frage, wessen Pech es letztlich gewesen ist, dass es bisher noch niemand gewagt hat, sich intensiver mit den Filmen Veit Harlans zu beschäftigen, ist auch heute - mit über 40 Jahren Distanz - nicht mit endgültiger Sicherheit zu klären. Zumindest für den deutschen Filmhistoriker Frank Noack besteht jedoch kein Zweifel. Der Argumentationslinie seiner gerade erschienenen Biografie »Veit Harlan - Des Teufels Regisseur« zufolge hat sich die deutsche Kulturindustrie mit der Eliminierung der Person Harlans aus dem kollektiven Gedächtnis selbst den größten Schaden zugefügt. Möglich wäre allerdings auch, dass es vor allem Harlans Pech gewesen ist, sich mit zwei Filmen eine hoffnungsvolle Karriere zerstört und damit auf ewig aus der Riege der seriösen deutschen Filmemacher katapultiert zu haben. Dieses Schicksal teilt Harlan bekanntermaßen mit Kollegin Riefenstahl; obgleich Harlan der einzige Regisseur blieb, der nach dem Krieg des Verbrechens gegen die Menschheit angeklagt - und freigesprochen - wurde.

Veit Harlan, die dunkle Glamourgestalt des NS-Films, zu fragwürdigem Ruhm gekommen als respektierlicher Platzhalter in Goebbels Tagebüchern, seit den späten Dreißigern Haus- und Hofregisseur des Führers, u.a. mit dem antisemitischen Proto-Hetzfilm »Jud Süß« und dem Durchhalte-Epos »Kolberg«, ist die Persona non grata des deutschen Kinos. Seine Filme werden im Fernsehen so gut wie nie ausgestrahlt, in die Kinos verirrt sich allenfalls »Kolberg« - wohlgemerkt zu rein padädagogischen Zwecken -, und als Videos sind einige seiner harmloseren Filme erst seit wenigen Jahren erhältlich. Literatur ist zu dem Thema sowieso nicht vorhanden, und wer sich wie Noack doch auf die schlüpfrige Spur begibt, landet früher oder später in einer nebulösen Grauzone klandestiner Archivarkulte.

Kurzzeitig geht es in der Darstellung zu wie bei Umberto Eco. Doch mit persönlichen Ausschmückungen hält Noack sich im Weiteren zurück. Er hat sich ganz in den Dienst der Rehabilitation eines der künstlerisch eigenwilligsten deutschen Regisseure der dreißiger bis fünfziger Jahre gestellt, dessen Fähigkeiten wegen zweier kleiner Verfehlungen ein halbes Jahrhundert lang nicht anerkannt wurden. So locker kommen ihm die großen Worte aus der Feder, und schon die Bezeichnung »des Teufels Regisseur« bedient das alte Klischee vom übermenschlichen Verführer Hitler, dem das deutsche Volk einfach verfallen musste. Dabei legt Noack selbst ausführlich dar, wie reibungslos die Kommunikation zwischen Harlan und Goebbels seit 1939 funktionierte. Zwar gab es immer wieder Diskussionen um unwichtige Details, aber gerade im Falle des damaligen Vorzeige-Projekts »Jud Süß« herrschte zwischen den beiden Einigkeit. Nicht wenige seiner Entlastungsindizien finden in der Vielzahl der Verweise den Gegenbeweis, der die vorangegangenen Argumente umgehend wieder entkräftet.

Besonders unangenehm fällt jedoch der Furor auf, mit dem Noack Harlan von aller Schuld freizusprechen versucht, gerade so, als wolle er sich noch nachträglich als dessen Prozess-Verteidiger empfehlen. Seine praktikabelste Strategie ist der Vergleich mit ebenfalls schuldbehafteten Kollegen, die im Gegensatz zu Harlan nach dem Krieg ungehindert weiterarbeiten konnten. Zur Entlastung seines Schützlings kann er so natürlich nichts beitragen.

In der Wahl der Mittel ist Noack nicht zimperlich. Da kann es auch schon mal passieren, dass er sich im Ton etwas vergreift. Zur Rehabilitation Harlans muss schließlich sogar eine ganze Generation von Filmemachern denunziert werden. Durch »die fortdauernde ästhetische Abwertung der NS-Kultur (...) soll auch vom künstlerischen Unvermögen der Nachfolge-Generation abgelenkt werden. Den Vertretern des Neuen Deutschen Films ist es in dreißig Jahren nicht gelungen, den Nazi-Machwerken auch nur ein einziges humanistisches Meisterwerk entgegenzusetzen«. Starker Tobak, insbesondere, da der Autor keinesfalls unter einem Ideologieverdacht steht. Noacks Schilderungen des Falls Harlan und der Gepflogenheiten in der NS-Filmkultur sind im Gegenteil sogar über weite Strecken ausgewogen und kritisch, nur im Fazit meistens unglücklich. Wenn er es z.B. als eine Leistung Harlans betrachtet, dass dieser die Vergewaltigung Dorotheas durch den Juden Oppenheimer noch nachträglich in den Film eingebaut habe, um die antisemitische Hetze zumindest vordergründig zu rechtfertigen, und wenn er diese Szene als Beweis für die nicht-antisemitische Haltung des Regisseurs heranzieht, bleibt beim erstaunten Leser gewiss kein Auge trocken. Dabei tut die Frage, ob Antisemit oder nicht, überhaupt nichts zur Sache. Harlan hat ab 1939 all seine Filme in Absprache mit dem Propagandaministerium gedreht (was Noack auch nicht verschweigt), hat dabei alle Privilegien genossen und kannte bei seiner künstlerischen Selbstverwirklichung keine politischen Skrupel.

Noacks Position bleibt unhaltbar. Er propagiert die Trennung von Form und Inhalt, eine der vielen Thesen, die er später an einer anderen Stelle des Buches selbst widerlegt. Er macht seine Argumentation einzig am schaffenden, politisch unverantwortlichen Künstler-Subjekt fest und versucht ihm durch Dekontextualisierung eine absolute Legitimation zu verschaffen. An anderere Stelle wiederum plädiert er für ein Verfallsdatum individueller Schuld. Ein launisches Update der alten Riefenstahl-Debatte, das keine neuen bzw. anderen Erkenntnisse liefert. Viel näher liegt dagegen die Frage, ob sich die ganze Mühe heute überhaupt noch lohnt. Harlan mag zwar ein versierter Regisseur gewesen sein, dem sogar ein Antonioni Respekt gezollt hat. Trotzdem sind die meisten seiner Filme absolut unerträgliche Melodramen, aufgeblasene Groschenromane voll von Kitsch und grauenhaftem Pathos, bestenfalls geeignet für das Sonntagnachmittag-Programm des MDR. Harlan war vor allem ein Mann der großen, simplen Effekte.

Umso sinnvoller scheint dagegen die von Noack angeregte Auseinandersetzung mit bislang als unverdächtig geltenden Figuren wie Helmut Käutner oder Heinz Rühmann und mit ihrer Funktion im NS-Kino. Anstatt sich mit der künstlerischen Rehabilitation des Opportunisten Harlan zu befassen, könnte hier eine tiefer gehende Forschung ganz sicher noch für einige handfeste Überraschungen sorgen.

Frank Noack: Veit Harlan. Des Teufels Regisseur. belleville, München 2001, 483 S., DM 78