Ariel Muzicant, Israelitische Kultusgemeinde in Österreich

»Man darf sich nicht verkriechen«

»Wie kann jemand Ariel heißen und soviel Dreck am Stecken haben?« Mit antisemitischen Äußerungen gegen Ariel Muzicant, seit 1998 Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde in Österreich, versuchte Jörg Haider vor den Wiener Landtagswahlen seine Wähler zu mobilisieren. Im Gegensatz zu seinen Vorgängern, die politisch zurückhaltend agierten, nimmt Muzicant offensiv Stellung gegen Antisemitismus und Rassismus. Ebenso deutlich hat er sich über die Entschädigung von ehemaligen Zwangsarbeitern und über die Rückgabe arisierten jüdischen Eigentums geäußert. Nach der Bildung der blau-schwarzen Regierungskoalition vor einem Jahr exponierte sich der Präsident der Kultusgemeinde als vehementer Gegner der FPÖ.

Was waren Ihrer Ansicht nach die Motive für die antisemitischen Angriffe Jörg Haiders gegen Ihre Person?

Haider hat ein Thema gebraucht, mit dem er provozieren und sich in die Medien bringen konnte. Er wollte Emotionen in der Bevölkerung auslösen, damit die Leute zur Wahl gehen und die FPÖ wählen. Nachdem das Ausländerthema bei den Parlamentswahlen 1999 einen derartigen Skandal ausgelöst hatte, dachte er sich, dass er jetzt die Auseinandersetzungen um die Entschädigungsforderungen für die ehemaligen Zwangsarbeiter und die Diskussion um die Rückgabe arisierten jüdischen Eigentums, die so genannte Restitution, für seine Zwecke benutzen kann. Er hat gehofft, mit seinem offenen Antisemitismus Wählerstimmen zu gewinnen.

Ich nehme auch an, dass Haider oft gar nicht merkt, wenn er antisemitische Codes verwendet, denn das macht er fast ununterbrochen. Die antisemitischen Codes sind bei ihm fast ein Reflex. Immer wieder hört man das bei ihm, diese typischen Assoziationen, diese Codes. Seine Wähler verstehen genau, was er damit meint.

Von Seiten des Präsidiums der Jüdischen Gemeinde gab es eine eigenartige Reaktion auf die Äußerungen Haiders. In der Replik auf die Aussage Haiders, »Muzicant hat sich nicht als guter Österreicher erwiesen«, versuchte das Präsidium der Israelitischen Kultusgemeinde, Sie als den besseren Österreicher darzustellen. So heißt es in einer Stellungnahme des Präsidiums, dass Sie in der Vergangenheit mehr »Heimatbewusstsein« gezeigt hätten als Haider.

Haider hat gegenüber meiner Person typische antisemitische Codes verwendet. Ich sei zugewandert, nicht loyal und daher kein echter Österreicher. Dann hat er mir noch unterstellt, ich hätte Österreich verraten, indem ich irgendwelche Verschwörungen mit dem Jüdischen Weltkongress inszeniert hätte. Das waren die Aussagen Haiders - für mich übrigens eine der schlimmsten Unterstellungen, schlimmer noch als das Wortspiel mit meinem Vornamen. Wenn jemand schon zu solchen Aussagen greift, dann muss man auch darauf hinweisen, wer sich nicht gut gegenüber Österreich verhalten hat. Deshalb hat das Präsidium auf diese Weise reagiert. Das hat anscheinend auch bei Haider Wirkung gezeigt, denn anschließend hat man nichts mehr von ihm gehört.

Bisher hatte sich die Jüdische Gemeinde mit derart scharfen Äußerungen gegenüber Haider weitgehend zurückgehalten. Woher kommt die Änderung im Ton?

Es gibt eine Regel in solchen Auseinandersetzungen: Man muss in der Sprache korrekt bleiben, aber man darf sich nicht alles gefallen lassen. Einige Kollegen im Präsidium vertraten nach den antisemitischen Ausfällen die Meinung, Haider müsse wissen, dass er von uns dieselbe Härte zurückbekommt, mit der er gegen uns vorgeht. Wenn er solche Unterstellungen verwendet, dann werden wir ihm das deutlich zurückgeben. Wir werden uns nicht, wie es andere gemacht haben, prügeln lassen und dann noch die andere Wange hinhalten. Und das haben die Präsidiumsmitglieder getan. Ich habe in meinen Stellungnahmen darauf verzichtet.

Glauben Sie, dass die Sozialdemokraten glaubwürdiger sind in der Ablehnung des Antisemitismus? Erst kürzlich hat der ehemalige SPÖ-Innenminister und jetzige Pensionistensprecher der Sozialdemokraten, Karl Blecha, in einer Rede unter anderem gesagt, dass »die Zionisten« allesamt »Rassisten« seien und »Wortbrüche« einer »zionistischen Tradition« entstammten.

In der SPÖ gab es, ebenso wie in der ÖVP, eine Menge prominenter Politiker, die antisemitisch gedacht und auch antisemitisch geredet und sicher auch antisemitisch gehandelt haben. Ich erinnere nur an die Rede des jetzigen SPÖ-Vorsitzenden Alfred Gusenbauer, der vergangenes Jahr eine Erklärung über die braunen Flecken in der SPÖ abgegeben hat. Ich glaube, dass es diese braunen Flecken nach dem Krieg gab, aber auch, dass die antifaschistische und antinazistische Einstellung bei der SPÖ dominierend war.

Die Rede von Blecha war furchtbar und kann als antisemitisch bezeichnet werden. Die Kultusgemeinde hat entsprechend reagiert und die Rede verurteilt. Tatsache ist aber auch, dass der SPÖ-Vorsitzende sofort erklärt hat, das die Äußerungen von Blecha von der SPÖ abgelehnt und in keiner Weise mitgetragen würden.

Es ist sehr schwer, den Antisemitismus in den österreichischen Parteien zu quantifizieren. Ich glaube beispielsweise nicht, dass man sagen kann, dass alle Mitglieder der FPÖ Antisemiten sind. Genauso wenig kann man sagen, dass es in den anderen Parteien keine Antisemiten gibt. Aber es existieren sehr große Unterschiede zwischen den einzelnen Parteien.

Seit einem Jahr sitzt die FPÖ nun mit in der Regierung. Wie schätzen Sie die Stabilität der blau-schwarzen Koalition ein?

Die ÖVP ist, ob sie will oder nicht, mit Jörg Haider und seiner FPÖ verbunden und kann aus dieser Umklammerung offenbar nicht heraus. Das heißt, selbst wenn man den Bundeskanzler Wolfgang Schüssel mehrfach auffordert, eindeutig Stellung gegen antisemitische und rassistische Äußerungen von FPÖ-Mitgliedern zu beziehen, kann er nur bis zu einem bestimmten Punkt gehen, denn sonst würde er seinen Koalitionspartner verlieren. Das ist die problematische Situation, in der wir uns befinden.

Auf der anderen Seite hat sich seit 1986 eine starke Zivilgesellschaft entwickelt: Grüne und Liberale, aber auch Parteiunabhängige, die zu einem Gegengewicht zur FPÖ geworden sind. Wenn ein Wiener Bürgermeister sofort und derart heftig auf Haider reagiert, wie es bei den Landtagswahlen der Fall gewesen ist, dann wäre er vor 15 Jahren wahrscheinlich nicht gewählt worden. Diesmal hat er die absolute Mehrheit bekommen. Es hat sich also schon etwas geändert, zum Guten und zum Schlechten.

Sie haben sich in den letzten Monaten politisch stark exponiert. Werden Sie das, trotz oder gerade wegen der Attacken von Rechts, weiterhin tun?

Sie können mir glauben, das ist alles andere als angenehm. Lieber wäre es mir, wenn ich mich nicht exponieren müsste. Aber ich glaube, wenn man als Jude in Österreich leben will und nicht nur ein Mitbürger, sondern ein gleichberechtigter Bürger sein möchte, den die anderen respektieren, dann muss man eben bei bestimmten Dingen Stellung beziehen. Man darf sich nicht verkriechen und man darf keine Angst davor haben, zu kontroversen Dingen auch seine Meinung zu sagen. Das betrifft auch nichtjüdische Themen. Wenn es um Menschenrechtsverletzungen geht - egal welcher Art - sind wir verpflichtet, auch aus unserer Geschichte heraus, dazu nicht mehr zu schweigen.

Die Kultusgemeinde beschreitet diesen Weg seit drei Jahren, und wir werden dafür bei vielen Menschen anerkannt und respektiert. Ich halte das für sehr wichtig, da wir sonst als Kultusgemeinde über kurz oder lang keine Existenzberechtigung mehr haben.