Französische Diskussion um Norman Finkelstein

Revue der Revisionen

In Frankreich diskutieren die Kritiker von Norman Finkelstein dessen Buch im Kontext der revisionistischen Literatur. Die FAZ findet dies erstaunlich und nutzt die Chance zur Revision der Geschichte der Linken.

Zaghafte Kritiker unternahmen während der zweiten Welle des Streites um Norman G. Finkelsteins Pamphlet »The Holocaust Industry« den untauglichen Versuch, das Skandalon herunterzuspielen, indem sie auf den spezifisch US-amerikanischen Entstehungskontext der Debatte verwiesen. Das war naiv.

Ein Buch, das in der Weltsprache Englisch in New York und London erscheint, strahlt international aus. Der politische, wissenschaftliche und kulturelle Diskurs ist internationalisiert. Längst schon hatte beispielsweise auch in den Niederlanden eine intensive Diskussion eingesetzt. Übersetzungen in alle europäischen Sprachen waren nur eine Frage der Zeit, zumal Finkelstein es in der ersten Phase der Debatte mit tatkräftiger Unterstützung deutscher Medien verstanden hatte, das Buch schon vor seinem Erscheinen zu einem politischen Ereignis zu machen.

Knapp zwei Monate nach dem großen Mediengetöse um die Vorstellung der deutschen Übersetzung legt die FAZ nun mit einer Betrachtung zur französischen Rezeption der Finkelstein-Thesen nach.

Auch wenn hinter dem Blatt vielleicht manch kluger Kopf steckt, ist die FAZ dennoch nicht in der Lage, den französischen Buchtitel richtig wiederzugeben. Doch ist dieses kleine Versehen nicht die einzige Absonderlichkeit des wirren Artikels aus der Feder Jürg Altweggs. Unter der Überschrift »Wer beleidigt wen« kommt Altwegg zu einigen erstaunlichen Ergebnissen. Er stellt verwundert fest, dass »Finkelsteins Buch in Frankreich ausschließlich unter dem Aspekt des linken Antisemitismus und der Auschwitz-Lüge rezipiert« werde. Da rutscht bei Autor und Redaktion der Neonazi-Jargon durch, und der vom Auschwitz-Leugner Wilhelm Stäglich eingeführte Propagandabegriff wird nicht einmal - das wäre das Minimum - in Anführungszeichen gesetzt.

Nur aus der Perspektive der FAZ, deren Untertitel »für Deutschland« lautet, ist es erstaunlich, dass die Nähe Finkelsteins zu Auschwitz-Leugnern in Frankreich breit diskutiert wird. Denn hierzulande kam dieser Umstand fast ausschließlich in Medien zur Sprache, deren Anteil an der Macht über die Diskurse verschwindend gering ist. Dass die internationale Naziszene Finkelstein als »jüdischen David Irving« feiert und sein titelgebender Begriff »Holocaust-Industrie« in Wortlaut und Bedeutung Vorgänger im Neonazismus spätestens seit Beginn der neunziger Jahre hat, wurde bei der nationalen Aneignung Finkelsteins völlig unterschlagen (Jungle World, 7/01).

Bezeichnend war die Reaktion auf den Vorschlag Michael Brenners, Professor für Jüdische Geschichte und Kultur in München, man solle revisionistischen Historikern, deren Sympathiebekundungen für sich sprechen, die Entlarvung Finkelsteins überlassen. Brenners ironische Parole »Finkelstein kommt und keiner geht hin« wurde zum Auftakt der Finkelstein-Show im ZDF vom Moderator übersetzt: »Mit anderen Worten: Kauft nicht bei Finkelsteins!« Weder Peter Steinbach noch Rafael Seligmann protestierten gegen diesen Ausfall.

Und Tina Mendelsohn setzte wenige Tage später vor laufender Kamera noch eins drauf. Sie unterstellte, »ein Publizist« habe gefordert: »Kauft nicht beim Juden Finkelstein!« Der Antisemitismus der Vergangenheit wurde auf einen Finkelstein-Kritiker projiziert, um den Antisemitismus der Gegenwart bloß nicht erkennbar werden zu lassen.

Anders in Frankreich: Auf den zwei Seiten, die Le Monde Mitte Februar der französischen Übersetzung des Buches widmete, wurde der Zusammenhang zwischen Finkelstein und dem Negationismus - neben anderen Aspekten wie dem der deutschen Rezeption des Buches - eigens betont. Im Editorial macht die Tageszeitung darauf aufmerksam, dass Finkelstein die »Holocaust-Literatur« beschimpft, Teilen der negationistischen Literatur indes Seriosität bescheinigt.

Die kritische Diskussion um Finkelstein eröffnete Pierre Vidal-Naquet. Der renommierte linke Historiker war gebeten worden, ein Vorwort zur französischen Ausgabe des Buches zu schreiben, lehnte aber ab. Das Buch verdiene nur Schweigen, bekundete Vidal-Naquet. So muss das Pamphlet mit einem Nachwort von Rony Braumann auskommen. Der 1950 in Jerusalem geborene langjährige Präsident der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen ist hierzulande bekannt durch den Film »Ein Spezialist« über den Eichmann-Prozess, den er gemeinsam mit seinem israelischen Cousin Eyal Sivan produzierte. Sein Nachwort zeigt ihn als einen Finkelstein ebenbürtigen antizionistischen Eiferer.

Bemerkenswert ist die Stellungnahme Enzo Traversos. Der Autor von »Auschwitz denken« (Jungle World, 32/00) gehört zum »Kollektiv« des Verlages La Fabrique, bei dem Finkelsteins »L'Industrie d'Holocauste« erschienen ist. Traverso, von Altwegg »Totalitarismusexperte« genannt, als hieße dessen Buch »Auschwitz heißt Gulag denken«, konnte im vergangenen Jahr in der niederländischen trotzkistischen Zeitschrift grenzeloos Finkelstein noch einiges abgewinnen.

In der trotzkistischen Zeitschrift Avanti erschien im Oktober eine holprige Übersetzung des Artikels. Dort bezeichnete Traverso Finkelsteins Text als eine »scharfe und brillante Kritik an der Holocaust-Ideologie« und als eine »politisch überzeugende Kritik an der amerikanischen 'Holocaust-Industrie'«. Das Buch sei »ehrlich und fruchtbar« und stehe »völlig über der Beschuldigung, die ein paar britische Zeitungen gegen 'Holocaust-Industrie' erhoben« haben. Zwar meinte Traverso, das Buch bedürfe der Bearbeitung, denn in der derzeitigen Form laufe es Gefahr, als eine »antizionistische Broschüre verworfen zu werden«. Das wäre allerdings, so sein Fazit, »ungerecht«.

In seinem Statement in Le Monde haben sich einige Akzente verschoben: »Es handelt sich um ein sehr oberflächliches Buch (...). Es kann als ein antisemitisches Pamphlet erscheinen, und deshalb war ich gegen die Publikation im gegebenen Zustand.« Ein unvorbereiteter Leser, der die Analysen Finkelsteins auf den französischen Kontext übertrage, könne die vom Premierminister eingesetzte Restitutions-Kommission irrtümlich für eine Erpresseragentur im Dienste einer jüdischen Lobby halten. Traverso fürchtet um den Ruf des Verlages, wandte sich aber zugleich gegen eine Klage der Organisation Anwälte ohne Grenzen, die Finkelstein und La Fabrique wegen Aufstachelung zum Rassenhass angezeigt hat.

Der Historiker Florent Brayard spricht im Interview mit Le Monde von einem »doppelten Bezug« Finkelsteins zu den Negationisten. Erstens entleihe Finkelstein sich bei ihnen sein Vokabular. Diese »semantische Nähe« sei »wahrscheinlich gewollt«, sie sei Teil einer »wohl abgewogenen Skandalstrategie«. Des Weiteren reklamiere Finkelstein eine »'nonkonformistische' Haltung«, wie sie auch Noam Chomsky eingenommen habe. Chomsky unterstützt seit fast zwei Jahrzehnten französische Holocaust-Leugner unter Berufung auf die Meinungsfreiheit - eine politische Gemeinsamkeit hält diese bizarre Allianz zusammen: der Antizionismus.

»Mehr oder minder« nehme Finkelstein diese Sichtweisen auf, so Brayard ironisch weiter, »es ist nicht sicher, dass die sehr respektable palästinensische Sache mit Argumenten dieses Typs verteidigt werden muss.« Wie Finkelstein zu behaupten, die negationistische Literatur sei »'nicht völlig uninteressant' und dafür David Irving als Beispiel zu nehmen«, fährt Brayard fort, sei »wirklich skandalös. Das ist ungefähr so idiotisch wie zu behaupten, dass die antisemitische Literatur 'nicht völlig uninteressant' sei, da Céline 'Voyage au bout de la nuit' geschrieben hat.«

Solche Einschätzungen beurteilt Altwegg als »übervorsichtige, mit dem Eifer eines späten Antifaschismus betriebene Auseinandersetzung«. Während Lorenz Jäger in der FAZ begrüßte, dass mit Finkelstein ein Fenster geöffnet werde, wird in Frankreich, was im neuen Deutschland als Frischluft gilt, eher als Muff empfunden. Daher moniert die FAZ: Die Debatte in Frankreich »wurde eindimensional geführt und vom Argument beherrscht, dass der Antisemitismus kein Recht auf Meinungsfreiheit habe«.

Schon die Selbstverständlichkeit, mit der Altwegg von »linkem Antisemitismus« spricht, statt von Antisemitismus in Teilen der Linken - die damit ihr Links-Sein praktisch dementieren, weil linke Politik für Gleichheit steht -, verweist auf seine politischen Absichten. Altwegg konstatiert eine »Wahlverwandtschaft der Extremisten« und meint unter Berufung auf Alain Finkielkraut: »Der Negationismus ermöglichte den Ultramarxisten die Treue zur revolutionären Utopie.«

Eine »revolutionäre Utopie«, die einzig durch Auschwitz-Leugnung möglich wäre, hätte sich in der Tat für immer desavouiert; das wäre vollendete Eindimensionalität, die ultimative Legitimation dafür, die gesellschaftliche Entwicklung auf dem Status quo der »westlichen Wertegemeinschaft« einzufrieren. Ob das die These Finkielkrauts ist, sei dahingestellt. Dieser Erfolgsautor ist für so manche gesinnungsstarke wie ahnungslose These gut, wenn sie dem modernitäts- und vor allem medienkritischen Essayisten Medienpräsenz verschaffen kann.

In der kritischen Debatte über diejenigen französischen Auschwitz-Leugner, die aus einer obskuren linken Sekte kommen, ist seit Vidal-Naquets 1980 veröffentlichtem Aufsatz »Un Eichmann de papier« eine überzeugendere Analyse Stand der Forschung: Nicht zur Beibehaltung der revolutionären Utopie gingen diese zum Negationismus über, sondern um ihren krassen, zur Weltanschauung ausgebauten Ökonomismus aufrechterhalten zu können. Die Gruppe um die Buchhandlung »Der alte Maulwurf« schwenkte Anfang der siebziger Jahre vom platten Ökonomismus der Amadeo Bordiga verpflichteten Sekte um die Zeitschrift Programme communiste zur Auschwitz-Leugnung um. Denn der Weltanschauungs-Materialismus blamierte sich bei der Faschismus-Analyse und der Analyse der antisemitischen Vernichtungspolitik der Nazis.

Doch auf solche Kleinigkeiten kann die FAZ keine Rücksicht nehmen, wenn die Linke getroffen werden soll. Geht es in deutschen Medien um Frankreich und die Diffamierung der französischen Linken, steht dieser Operation immer der überragende linke Intellektuelle im Weg - Jean-Paul Sartre.

Ihn erledigt Altwegg wie nebenbei, mit einem vernichtenden kurzen Satz wird Sartre und der radikalen Linken nach 68 der Prozess gemacht. »Das ultralinke Engagement des Nach-Mai unterstützte wechselnde 'fortschrittliche' Regimes, Castro, Mao, Pol Pot. (...) Als die Palästinenser an die Reihe kamen, wurden die Dinge komplizierter. Nun erschien Israel als Täter. Sartre rechtfertigte das Attentat von München«.

Diese im Stakkato vorgetragene Aneinanderreihung - »Israel als Täter« und »Sartre rechtfertigte das Attentat von München« ist erstaunlich. Sollte sich Emmanuel Lévinas so geirrt haben, als er 1980 schrieb: »Niemals gab es aus seiner (Sartres) Feder und in seinen öffentlichen Interventionen einen Zweifel an der Legitimität des jüdischen Staates«? Und als er im gleichen Jahr in einem Interview bekannte, »extrem beeindruckt« gewesen zu sein von der »Anerkennung des Staates Israel (die seine Sympathie für die Palästinenser nicht ausschloss), die Sartre so entschlossen bekundete, dass er sich damit von einigen seiner Freunde auf der extremen Linken absetzte«? Ein historischer Irrtum, dass die Hebräische Universität Jerusalem Sartre 1976 die Ehrendoktorwürde verlieh?

Es gibt in der Tat einen Artikel Sartres zur Münchner Aktion. Er sticht unangenehm von den anderen Aufsätzen, Artikeln und Interviews ab, die Vincent von Wroblewsky unter dem Titel »Überlegungen zur Judenfrage« zusammengestellt hat. Der Artikel ist, daran kann kein Zweifel bestehen, ein politischer Fehler Sartres, was sich nicht zuletzt unter Berufung auf seine anderen Texte und Interventionen zum Thema begründen lässt.

Auch in diesem Text erkennt Sartre die Souveränität Israels an. Da er den Palästinensern ebenfalls das Recht auf Souveränität zugesteht und die »Politik des israelischen Establishments wahnsinnig« sei, bestehe zwischen Israel und den Palästinensern ein Kriegszustand. Die einzige Waffe, über die die Palästinenser in diesem Krieg verfügten, sei die »schreckliche Waffe« des Terrorismus. Immun gegen die Tatsache, dass gleich zu Beginn der Aktion drei Sportler erschossen wurden, behauptet Sartre: » Es ging in keiner Weise darum, die Geiseln an Ort und Stelle zu ermorden (...)«. Schuld am Tod von acht Israelis und fünf palästinensischen Terroristen sei »allein die Münchner Polizei.« Seine Haltung auf diesen Text zu reduzieren und diesen Text auf die Rechtfertigung des »Attentats von München« zu verkürzen, mit allen Assoziationen, die dies weckt und erwecken soll, zeugt von mehr als nur von Ignoranz.

Gemäß der kruden Logik der »Extremismus-Forschung«, der zufolge die extreme Rechte und ihre Gegner sich gegenseitig aufschaukeln, suggeriert Altwegg schließlich, dass die extreme Rechte in Frankreich, die bisher zu Finkelstein geschwiegen habe, schon bald wohl aus Anlass der Klage gegen das Buch auf ihn einsteigen werde. Sollte die extreme Rechte in Frankreich diesen Anstoß brauchen?

Gerade ihr negationistischer Zweig ist bestens in die internationale Holocaust-Leugner-Szene integriert, und jenseits des Atlantiks jedenfalls ist Finkelstein lange schon bei den Amokläufern gegen die geschichtliche Wahrheit angekommen. Das Institute for Historical Review dokumentiert auf seiner Homepage die »Experten«-Aussage Mark Webers vor der Human Rights Commission in Toronto, Ontario, Anfang Oktober letzten Jahres. Finkelstein wird hier ausdrücklich und stolz als »Revisionist« präsentiert.