Berliner Bezirke und Zwangsarbeit

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Von ihrer Bedeutung für das NS-Zwangsarbeitssystem wollen einige Berliner Bezirke nichts wissen. Schlecht für die Opfer, denn ohne Belege über ihr Schicksal bekommen sie kein Geld.

Rechtssicherheit ist ein Unwort, das die aktuelle Debatte zur Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiter beherrscht. Wegen der noch bestehenden »Rechtsunsicherheit«, so behaupten deutsche Wirtschaft und Politik, könnte noch keine Geld an Opfer ausgezahlt werden. Ein zweites Mal würden diese nun gefangen genommen - symbolisch, bis die angebliche Rechtsunsicherheit ausgeräumt ist.

Dabei wäre es so einfach. Der Bundestag könnte eine »ausreichende Rechtssicherheit« feststellen und damit das normativ-faktische Rechtsgeplänkel im Land der Täter beenden. Erst dann hätte die in der Präambel des so genannten Zwangsarbeitergesetzes anerkannte moralische und politische Verantwortung auch praktische Folgen.

Ein unbürokratisches Prozedere erwartet ehemalige Zwangsarbeiter aber auch dann nicht. Bis zum 11. August müssen die Opfer des Nationalsozialismus bei den jeweils zuständigen Stiftungen einen Antrag auf Entschädigung stellen und beweisen, dass sie Opfer sind. Ohne Unterlagen und Nachweise haben sie dazu keine Chance.

Allerdings besitzen viele der Anspruchsberechtigten überhaupt keine entsprechenden Dokumente mehr. Entweder gingen sie in den Wirren der Nachkriegszeit verloren oder wurden vor der Heimkehr vernichtet. In der Sowjetunion beispielsweise galten jene, die in Deutschland Zwangsarbeit leisten mussten, als »Vaterlandsverräter«, sie wurden nach der Rückkehr drangsaliert, teilweise sogar interniert. Viele der betagten Opfer leben heute in Armut und sind ohne Unterstützung bei der Dokumentenbeschaffung aufgeschmissen.

In manchen Fällen gibt es die Unterlagen, ohne die selbst nach dem Ende der so genannten Rechtsunsicherheit kein Geld fließen wird, schlichtweg nicht. Oder sie liegen unausgewertet in irgendwelchen Archiven. Die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus ist schließlich nicht gerade die Stärke deutscher Behörden.

Die Berliner Kommunen bilden da keine Ausnahme. Dabei ist die Rolle des öffentlichen Sektors bei der Zwangsarbeit unbestritten. Ob Verwaltung, Bezirksämter, Stadtverwaltungen, Reichsbahn oder Post - die gesamte deutsche Kriegswirtschaft hätte ohne Zwangsarbeiter nicht funktionieren können.

Ein Beispiel aus dem ehemaligen Bezirk Kreuzberg: Der »Ausländereinsatz« im früheren Straßenreinigungsdepot am Landwehrkanal, wo sich auch ein vom Bezirksamt betriebenes Zwangsarbeiterlager befand, in dem Polen und Ukrainer untergebracht waren, wurde von der Interessengemeinschaft ehemaliger Zwangsarbeiter Mitte März bekannt gemacht.

Heute heißt die Straße Carl-Herz-Ufer nach einem 1933 abgesetzten jüdischen Bürgermeister, und das wilhelminische Gebäude beherbergt ein Restaurant. Schon in früheren Ausstellungen und Publikationen zur NS-Geschichte Kreuzbergs ist beschrieben worden, dass fast jeder größere Betrieb Zwangsarbeiter beschäftigte und daher auch Unterkünfte für sie bereitstellen musste. Mindestens 29 Lager habe es daher gegeben - so das Ergebnis einer Untersuchung des Kreuzberg-Museums aus dem Jahre 1995.

Die ist aber längst überholt. Auf der Homepage www.zwangsarbeit-forschung.de nennt der Kulturhistoriker Bernhard Bremberger 61 Lagerorte in Kreuzberg. Darunter auch das am Landwehrkanal gelegene Lager des Bezirkamts Kreuzberg, »Abt. Straßenreinigungsanstalt« und das Arbeitsamt in der Charlottenstraße. Aktuelle Recherchen ergaben sogar die Zahl von 200 Lagern im Bezirk.

Die Lokalpolitiker im neuen Verwaltungsbezirk Friedrichshain-Kreuzberg scheinen sich damit aber nicht beschäftigen zu wollen. Ende März antwortete das Beziksamt auf eine Anfrage der von PDS, SPD und den Grünen dominierten Bezirksverordnetenversammlung (BVV): »Ob die Bezirksverwaltung selbst Zwangsarbeiter beschäftigte, wurde bisher nicht erforscht - es ist aber vorstellbar.« Nicht erforscht, weil bisher kein Geld dafür ausgegeben wurde.

Schon mehr als ein Jahr zuvor, im Februar 2000, beschloss die damals nur für Kreuzberg zuständige BVV, das Kreuzberg-Museum solle »eine fundierte Recherche zur Situation von Zwangsarbeitern in Kreuzberger Firmen und kommunalen Einrichtungen« realisieren. Die erforderlichen ABM-Stellen wurden nicht bewilligt. Und so geschah nichts.

Das Beispiel weiterer Bezirke zeigt, dass es auch anders geht. Das Lichtenberger Heimatmuseum hat mehr Mühe darauf verwendet, die Lager im einstigen Industriebezirk zu erforschen. Mindestens 80 kommunale Lager-Standorte hat es demnach gegeben - bestehend aus nur einer einzelnen oder gar bis zu 20 Baracken. Auch der Bezirk Charlottenburg listet gerade seinen »Lagerkosmos« auf - mit dabei auch fünf vom Bezirksamt unterhaltene Lager - und will sich darüber hinaus auch weiter mit dem Zwangsarbeitersytem beschäftigen. Und die evangelische Kirche lässt ihre Rolle beim sogenannten Fremdarbeiter-Einsatz (Jungle World, 32/00) von mehreren ABM-Kräften untersuchen.

Insgesamt ist es aber schlecht bestellt um jene Zwangsarbeiter, die einst in Berlin die deutsche Wirtschaft aufrecht erhalten mussten und die bis heute noch immer nicht entschädigt wurden. Sollte das Thema »Rechtsunsicherheit« irgendwann erledigt sein, gibt es weiterhin kein Geld, wenn die entsprechenden Nachweise nicht bis August vorliegen. Und die Verwaltung der ehemaligen Reichshauptstadt leistet wenig Hilfe, die notwendigen Bescheinigungen zu besorgen. Das Landesarchiv Berlins beispielsweise ist wegen Umzugs geschlossen.

In den kommunalen Verwaltungen gibt es zwar weitere Unterlagen. In den Aktenbeständen der Verwaltungsämter, der Bauämter, der Standesämter sowie in lokalen, regionalen und überregionalen Archiven liegt jede Menge Material. Es gibt mittlerweile eine Koordinationsstelle für Auskunftsersuchen von Zwangsarbeitern des NS-Staats und anderen Berechtigten mit einigen bis zum Jahresende eingestellten ABM-Kräften. Die sollen jetzt offenbar für alle Antragsteller sämtliche Aktenarchive durchforsten. Damit die bisher eher untätigen Bezirksverwaltungen sowie die Senatsverwaltung, die sich um die Geschichte der kommunalen Eigenbetriebe wie Gasag, Bewag und BSR bisher auch eher schlecht als recht gekümmert hat, sich nicht zu sehr engagieren müssen.

Den einstigen Zwangsarbeitern bleibt eigentlich nur die Hoffnung, dass sich bis zum Ende der Antragsfrist am 11. August Dokumente finden, die als Nachweis geeignet sind. Sofern die deutsche Seite überhaupt irgendwann ein Ende der »Rechtsunsicherheit« ausmacht.

Jeden Montag zwischen 16 und 17.30 Uhr findet eine vom Aktionsbündnis Entschädigung für ZwangsarbeiterInnen organisierte Protestmahnwache vor dem Haus der Deutschen Wirtschaft, Breite Str./Mühlendamm, statt.