Demonstrationsrecht für Neonazis am 1. Mai

Rascheln gegen Rechts

Am 1. Mai hat sich gezeigt, dass Verfassungsgericht und Ordnungsamt viel tun, um den Nazis das Versammlungsrecht zu garantieren.

Als Erfolg für die Demokratie feiert das Frankfurter Römerbergbündnis aus DGB und Kirchengemeinden den gescheiterten Versuch freier Kameradschaften, am 1. Mai zu demonstrieren. Ein klares Zeichen sei gesetzt, dass in Frankfurt kein Raum für neonazistische Aufmärsche geboten werde. Das allerdings dürften einige anders sehen.

Denn der geplante Nazi-Aufmarsch konnte nur von den rund 3 000 Gegendemonstranten verhindert werden, die die Straßen blockierten. Das Bündnis hingegen begnügte sich damit, couragiert zu einer Kundgebung am anderen Ende der Stadt aufzurufen. Auch die Frankfurter Ordnungsbehörden taten alles ihnen Mögliche, um Steffen Hupka und seiner Bürgerinitiative für deutsche Interessen zu ihrem Versammlungsrecht zu verhelfen. Rund 1 000 Stiefelfaschisten wurden in Sonderzügen und Bussen der Frankfurter Verkehrsgesellschaft unter Polizeischutz zum Kundgebungsort an der Bertramswiese gefahren, einem Sportgelände, das unter der Woche vom jüdischen Sportverein TuS Makkabi benutzt wird.

Schon vorher wurde deutlich, dass sich im Bündnis gegen Hass und Gewalt die Reihen vor allem dann schließen, wenn es gegen die nicht staatstragende Antifa geht. So hatte sich das Römerbergbündnis geweigert, eine Mobilisierung aus der Mai-Demo zum Versammlungsort der Nazis zu unterstützen. Um ein Abwandern von DGB-Demonstranten in Richtung Bertramswiese zu verhindern, machte man aus der Kundgebung eine geschlossene Veranstaltung. Türkische Gruppen und die DGB-Jugend wurden nach Verlassen des Platzes von der Frankfurter Polizei eingekesselt und teilweise in Gewahrsam genommen. Auf der Kundgebung selbst lobte die Frankfurter Oberbürgermeisterin Petra Roth (CDU) vor allem ihre Polizei.

Die Stadt Frankfurt verhielt sich zu der seit langem angemeldeten Nazi-Demo, die zuerst am zentral gelegenen Hauptbahnhof stattfinden sollte, durchaus nicht so ablehnend, wie sie glauben machen wollte. Schon die Verbotsverfügung war eher eine Pflichtübung. Die Stadt hatte sie hauptsächlich mit der Personalnot der Polizei wegen mehrerer Demonstrationen an diesem Tag begründet. Kurz darauf hob das Frankfurter Verwaltungsgericht das Verbot formgerecht auf und genehmigte eine verkürzte Kundgebung ohne Demonstration.

Während die Stadt Widerspruch vor dem hessischen Verwaltungsgerichtshof (VGH) in Kassel einlegte, handelten der Frankfurter Sicherheitsdezernent und der Ordnungsamtsleiter einen Deal mit dem Anmelder aus, der die Demonstration doch noch ermöglichen sollte. Am 30. April meldete die Frankfurter Rundschau, dass die Nazi-Kundgebung in den Norden der Stadt verlegt und anstelle der Europäischen Zentralbank die nahegelegene Bundesbank zum Ziel der geplanten Demo gewählt wurde. Am selben Tag hob der hessische VGH die Verbotsverfügung auf. Am neuen Versammlungsort bestünden nicht mehr die Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die in der Innenstadt zu fürchten seien.

Mit dieser Argumentation folgte das VGH der jüngsten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das in den vergangenen Monaten mehrere Verbote von Nazi-Demonstrationen aufhob. Eine Versammlung könne »nicht schon deshalb, weil politisch missliebige Meinungen geäußert werden, wegen Verstoßes gegen die öffentliche Ordnung verboten werden«.

Die Verbote werden ungeachtet ihres politischen Inhalts aufgehoben, während das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit gestärkt wurde. Dennoch wird in allen Urteilen ausdrücklich darauf hingewiesen, dass ein Versammlungsverbot durchsetzbar ist, wenn »eine Gefahr für die öffentliche Ordnung auszugehen droht, die nicht auf der bloßen Äußerung der Inhalte beruht«. Das Verfassungsgericht gibt die Verantwortung damit praktisch den Ordnungsbehörden zurück.

Die Stadt Mannheim hat gezeigt, welchen Spielraum das Versammlungsrecht den Behörden trotz der Karlsruher Urteile einräumt. Dort untersagte der Oberbürgermeister am 1. Mai die Nazi-Kundgebung, nachdem 300 Antifaschisten die Straße blockiert hatten, wegen der möglichen Gefahrensituation. Diesen Spielraum wusste auch die Frankfurter Polizei zu nutzen, aber im Sinne der Nazis. Die Veranstaltung wurde um zwei Stunden verlängert, um den geplanten Aufmarsch auch gegen massiven Widerstand durchzusetzen. Die Polizei setzte Hubschrauber, Wasserwerfer, Tränengas und Schlagstöcke ein. Mehr als 100 Gegendemonstranten kamen in Polizeigewahrsam, 39 weitere wurden festgenommen.

In der aktuellen Debatte über die Auseinandersetzungen am 1. Mai zeigt sich nun die Wirkung der Karlsruher Urteile. Statt über den neonazistischen Mob zu sprechen, wird über die Meinungsfreiheit diskutiert. In diesem Sinne berichtete auch der Hessischen Rundfunk, dessen Studios sich direkt neben dem Kundgebungsort befinden. Obwohl die Nazis durch den Vorgarten des Senders trampelten, zeigten die Lokalnachrichten lediglich Aufnahmen eines Amateurfilmers von Jugendlichen, die Steine auf eine mit Nazis besetzte U-Bahn warfen. Der mitgelieferte Kommentar behauptete, linke Jugendliche hätten sich auf das Niveau der Nazis begeben und die Bemühungen des Bürgerbündnisses gegen Gewalt und für eine weltoffene Stadt unterlaufen.

Draußen waren es tatsächlich Jugendliche, die einen großen Teil zur Verhinderung des Aufmarsches beitrugen. Rechtsanwalt Thomas Scherzberg von der Vereinigung Hessischer Strafverteidiger schätzt, dass 50 Prozent der Festgenommen nicht volljährig waren. Der Erfolg der antifaschistischen Mobilisierung in Frankfurt liegt also nicht nur darin begründet, die Demonstration verhindert zu haben, sondern auch im Beweis, dass man Kids in Rischelraschelhosen mit der Meinungsfreiheit von Neonazis nicht zu kommen braucht.