Neue Überwachungsrechte für Geheimdienste

Alle hören mit

Das neue G-10-Gesetz räumt dem Bundesnachrichtendienst weitgehende Befugnisse ein. Die strategische Fernmeldeüberwachung wird zum Normalfall.

Die Bundesverfassungsrichter hatten im Juli 1999 anderes im Sinn, als sie den Bundestag aufforderten, das G-10-Gesetz, das die Abhörrechte der Geheimdienste regelt, zu überarbeiteten. Bis zum 30. Juni dieses Jahres, so der Auftrag des obersten Gerichts, sollte die Legislative für eine bessere Kontrolle der staatlichen Lauscher sorgen. Doch die rot-grüne Bundestagsmehrheit, die die Gesetzesnovelle am Freitag gemeinsam mit den Abgeordneten der CDU/CSU verabschiedete, entschied sich stattdessen für die stärkere Kontrolle der Bevölkerung. Die Lücke, die das Karlsruher Urteil von 1999 ließ, nutzten die Parlamentarier, um das im Artikel 10 des Grundgesetzes garantierte Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis weiter einzuschränken.

Kein Wunder, dass sich vor allem auf Regierungsseite am Ende alle zufrieden zeigten. Nicht zuletzt deshalb, weil der Bundesnachrichtendienst (BND) nach dem Ablauf der vom Bundesverfassungsgericht gesetzten Frist nicht mehr legal hätte weiterarbeiten können. Fritz Rudolf Körper, parlamentarischer Staatssekretär im Bundesinnenministerium, hob hervor, dass künftig auch der leitungsgebundene Kommunikationsverkehr abgehört werden darf. Darüber hinaus darf der BND ans Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle weiterreichen. Aber auch das Bundesamt für Verfassungsschutz (VS) darf sich über erweiterte Befugnisse freuen, denn Einzeltäter in der links- und rechtsextremistischen Szene dürfen künftig überwacht werden.

Der grüne Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele wollte in dem Lauschgesetz trotzdem lieber ein Kontrollgesetz sehen. So sei die Stellung der parlamentarischen Kontrollkommission (PKK) gestärkt worden, da sie doch am gesamten Prozess der Erhebung, Verarbeitung und Nutzung der Daten durch die Nachrichtendienste beteiligt werde. Zufrieden äußerte sich Ströbele auch darüber, dass keine Erkenntnisse für das NPD-Parteiverbotsverfahren verwendet werden dürfen. Kritiker hatten die Gesetzesnovelle zuvor als »Lex NPD« bezeichnet. Dabei begrüßte auch der CDU-Bundestagsabgeordnete Erwin Marschewski die Erweiterung des Straftatenkatalogs.

Allein die PDS zeigte sich unzufrieden. Schon am Tag vor der Abstimmung hatte die PDS-Abgeordnete Petra Pau eine weitere Beschneidung von Bürger- und Grundrechten prophezeit. Vorangegangen war der Abstimmung im Bundestag eine denkwürdige Sitzung des Innenausschusses, als die PDS erst in letzter Minute einen Antrag auf eine öffentliche Anhörung einbrachte. Die Entscheidung fiel denkbar knapp aus. Während die Grünen sich brav enthielten, stimmte die SPD gegen die Anhörung, obwohl der Koalitionsvertrag bei Unstimmigkeit vorsieht, dass sich beide Regierungsfraktionen der Stimme enthalten.

Die öffentliche Anhörung hätte mehrere Rätsel lösen können. So wäre vielleicht die Frage beantwortet worden, wie der Bundesnachrichtendienst bei der künftig erlaubten Überwachung der Internetkommunikation im leitungsgebundenen Verkehr ausschließen will, dass auch der innerdeutsche Datenaustausch überwacht wird. Bislang hatte der BND nur Zugriff auf die Kommunikation per Satellit. Rechtliche Schwierigkeiten tauchen also schon dann auf, wenn etwa ein deutscher Nutzer seine Domain bei einem ausländischen Anbieter verwaltet. Dann werden alle E-Mails über das Ausland geroutet, obwohl sie vielleicht einen deutschen Adressaten haben.

Der Zugriff auf die Leitungen scheint den staatlichen Lauschern deshalb nötig, weil Richtfunkverkehr und Satellitensignale kaum noch eine Rolle spielen. In einigen Regionen macht die Satellitenkommunikation weniger als zehn Prozent der gesamten Kommunikation aus. Herkömmliche Kabel und Lichtwellenkabel werden seit der Liberalisierung der Telekommunikationsmärkte im Jahr 1997 jedoch verstärkt benutzt, weil sie höhere Übertragungsraten zulassen. Paketvermittelte Kommunikation im Internet lässt sich aus Sicht der Lauscher allerdings nur dann sinnvoll abhören, wenn der Lauschangriff an der letzten Vermittlungsstelle vor dem Empfänger einsetzt.

Oder, wie die Bundesregierung in der Gesetzesbegründung meinte, wenn alle Übermittlungswege angezapft werden. Da das Bundesverfassungsgericht es bislang als Vorteil ansah, dass bei der strategischen Fernmeldekontrolle nur zehn Prozent der internationalen Telekommunikation erfasst wurde, darf der BND künftig auf festgelegten Übertragungswegen höchstens 20 Prozent überwachen. Dies widerspricht jedoch dem Argument, man müsse auf alle Leitungen zugreifen können.

Unklar bleibt außerdem, wie viele Gespräche der BND tatsächlich abhört. Die Bundesregierung behauptet, dass seine Empfangsanlagen mit dem Anzapfen von Satellitensignalen täglich 100 000 Telekommunikationen erfassen können, die danach in eine so genannte Wortbank geschickt und nach bestimmten Stichwörtern wie »Giftgas« oder »Saddam Hussein« sortiert werden. Von den 750 Telekommunikationen, die von oder nach Deutschland geführt werden, blieben täglich nur drei Nachrichten übrig, die für den Pullacher Dienst von Interesse seien.

Noch 1996 arbeitete der BND wesentlich effektiver. Dies suggerieren jedenfalls die Zahlen, die der BND damals dem Bundesverfassungsgericht vorlegte. Von 15 000 erfassten Telekommunikationen blieben immerhin fünf Nachrichten für die weitere Auswertung übrig. Aber vielleicht stimmten die Daten ja auch gar nicht. Eine entsprechende Anfrage der PDS-Abgeordneten Ulla Jelpke wollte das Bundeskanzleramt jedenfalls nicht beantworten.

Reichlich Kritik hatte es im Vorfeld auch von kritischen Rechtsanwälten, Bürgerrechtsorganisationen und Datenschützern gegeben. Sönke Hilbrans von der Deutschen Vereinigung für Datenschutz (DVD) und Wolfgang Kaleck vom Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein (RAF) monierten, die strategische Fernmeldeüberwachung habe sich unter der schwarz-gelben Regierung von einem Ausnahme-Instrument der Außen- und Sicherheitspolitik zu einem gesetzlichen Normalfall entwickelt.

Dieser Trend setze sich nun mit neuen Überwachungszielen fort, zu denen eine Geiselnahme im Ausland ebenso zählen kann wie das Treiben verfassungsfeindlicher Parteien. Auch Zufallsfunde, die Castor-Gegner und -Gegnerinnen oder Neofaschisten betreffen, können nun den Weg zu den Polizeibehörden finden. Damit verliere jedoch die Trennung von Polizei und Geheimdiensten weiter an Bedeutung.

Schon der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Joachim Jacob, hatte kritisiert, dass »nun nicht mehr nur Mitglieder terroristischer Vereinigungen belauscht werden können, sondern auch Einzeltäter, die Mord, Totschlag, räuberische Erpressung planen«. Jacob fürchtet, dass sich geheimdienstliches Informationsrecht mit polizeilichen Befugnissen überschneidet. Interessanterweise scheiterte ein ähnlicher Vorstoß schon 1994 unter der Regierung Helmut Kohls am Widerstand des Parlaments.

Die Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union (HU) hatte im Vorfeld darauf hingewiesen, dass die Ende 1994 eingeführte Überwachung des internationalen Fernmeldeverkehrs zur Verbrechensbekämpfung praktisch ergebnislos geblieben sei. Es sei eine »falsche Konsequenz«, wenn jetzt die verdachtslose Überwachung des Fernmeldeverkehrs durch den BND noch ausgeweitet werde. Schließlich unterlägen auch künftig die Geheimdienste, also Verfassungsschutz, Militärischer Abschirmdienst und Bundesnachrichtendienst, wenn sie den Fernmeldeverkehr überwachen, keiner Erfolgskontrolle.

Die Humanistische Union, der auch Otto Schily angehört, präsentierte sich jedoch nicht in bestem Licht. Nur wenige Tage vor der Anhörung veröffentlichte sie eine umfangreiche Stellungnahme, obwohl einer ihrer Experten an der Ausarbeitung der Regierungsvorlage beteiligt war.