»Tarantel/Tarantula« von Bob Dylan

das jaulende F

Bob Dylans »Tarantula« ist Unsinn mit poetischem Kalkül.

Die Veröffentlichungsgeschichte von »Tarantula«, Bob Dylans einzigem längeren Prosatext, ist ähnlich verkorkst wie die der legendären »Basement Tapes« und nicht zuletzt deshalb auch genauso mythenselig und geschichtenumrankt. Auch hier müssen erst sechs Jahre ins Land ziehen, bis der Text schließlich veröffentlicht wird; bei den Kelleraufnahmen aus dem »Big Pink« waren es neun.

Und so wie dort längst Bootlegs kursieren und reißenden Absatz finden, bevor die Tapes offiziell erscheinen, gibt es hier zunächst nur einen Raubdruck, der die Korrekturbögen zur Grundlage hat, jene auch an ein paar Zeitungen und Zeitschriften verschickten Fahnenabzüge, die Dylan nicht bearbeiten konnte, weil ihn ein Motorradunfall, der berühmte Motorradunfall, für längere Zeit außer Gefecht gesetzt hatte, und die er danach nicht mehr bearbeiten wollte, weil er sich von dem Text in der Zwischenzeit schon zu weit entfernt hatte und ihn als »Unsinn« abtat. Nicht zu Unrecht übrigens, denn das ist er ja wirklich, Unsinn, und zwar durchaus mit poetischem Kalkül. Aus Anlass seines Geburtstages ist »Tarantula« jetzt in einer zweisprachigen Ausgabe bei 2001 wieder erschienen.

Niedergeschrieben wurde »Tarantula« von Januar bis September 1965, in einer Zeit also, in der Dylan auch in seinen Lyrics - der Alben »Bringing It All Back Home« und »Highway 61 Revisited« - gegen die längst ritualisierte und also wohlfeile Protest-Attitüde der Folkies aufbegehrt und sich in eine surrealistische Bilderwelt flüchtet, sich also durch literarische Uneindeutigkeit gegen schnelle politische Vereinnahmung sperrt.

»Tarantula« geht noch einen Schritt weiter. Der Text ist ein Experiment des totalen Sinnentzugs und lässt zunächst an die surrealistische Praxis der écriture automatique denken, an das bereits von Rimbaud, Lautréamont und Apollinaire vorweggenommene und von André Breton dann nachdrücklich empfohlene delirante, trancehafte Schreiben, das der Konditionierung und Domestizierung, wie sie Logik und gesellschaftliche Normen nun einmal zeitigen, durch bloße Schnelligkeit oder aber chemische Hilfsmittel zu entkommen trachtet.

Dazu passt, was Joan Baez über die Zeit der Niederschrift von »Tarantula« zu berichten weiß. Dylan habe gearbeitet wie »ein Fernschreiber. Er stand da und wackelte mit den Knien. Er stand, rauchte den ganzen Tag und trank Wein. Und ich konnte ihn nur zum Essen bringen, wenn ich hinging und vor seinen Augen aß. Und sofort langte er nach allem, was ich in der Hand hatte.«

Auch wenn nichts davon stimmt, ist die Beschreibung aufschlussreich, weil sie zeigt, was Dylan prätendiert, in welche Tradition er sich stellt - in die des triebhaften, ekstatischen Schreibens der Beat-Literaten nämlich, vor allem der großen Drei, Allen Ginsberg, mit dem er gut befreundet war, William S. Burroughs und nicht zuletzt Jack Kerouac. Die schöne Legende um die Abfassung von »On The Road« zeigt denn auch große Ähnlichkeit mit der Baezschen Geschichte.

Und manche Passagen des Buches offenbaren durchaus eine gewisse stilistische Affinität zu den Genannten. Die folgende könnte etwa, der so ähnlich in »Naked Lunch« oder »Nova Express« stehen: »das jaulende F aus dem neon dobro & ein erhebendes gefühl nach enttäuschenden liedertexten auf der outlaw matratze am ende der straße während du trophäen abfummelst die zu besuch sind & dem tramp mit dem eisbeutel auf dem kopf im bett ein kissen in den rücken stopfst und die nächsten verwandten stehn am nackten paravent - ein herz voll tratsch & ein wolf mit silbrigen speichelfäden, drohend und unumgänglich, ein schoß der sich öffnet wie ein abgrundtiefer rostiger tümpel, ein jähes erwachen & dann gefriert alles in träumen von einem nebulösen geburtstag.«

Aber die Inkohärenz dieses Textes geht letztlich doch weit über das hinaus, was uns die Beats zumuten. Bisweilen sieht es so aus, als hätte er alle avantgardistischen Schreibweisen inkorporiert, deren er habhaft werden konnte: dadaistische Montage, Cut-up-Verfahren, drogeninduziertes Bewusstseinsprotokoll, religiöse Exaltationen in der Nachfolge von William Blake etc. Er verschmilzt das alles zu einer gewaltigen Kakophonie, was manchmal nach einem monumentalen Medien-Mix klingt, so als würden alle Rundfunk- und Fernseh-Sender des Landes für einen kurzen Moment übereinandergeblendet. Ein unlesbares, weil undurchschaubares Stimmengewirr also, das ein bisschen an »Finnegans Wake« erinnert, weil man auch hier nicht herausbekommt, worum es eigentlich geht, und an die manieristischen Satzmäander in Johann Fischarts »Geschichtklitterung«.

Dieses dicke Prosamüsli wird immer wieder vermengt mit leichter goutierbaren versartigen Passagen, die nicht mit dem Bewusstseinsstrom, oder was immer das ist, sondern eher untereinander korrespondieren. Sie sind stringenter, bisweilen geradezu herkömmlich erzählt, oft in der Form eines Briefes, vor allem aber albern, anscheinend parodistisch.

Und meistens komisch: »lieber tom hab ich dir schon mal gesagt daß ich finde du solltest eigentlich bill heißen. ist natürlich nicht so wichtig, aber weißt du, ich habs gern leger wenn ich mit jemand zusammen bin. Wie gehts margy? Oder martha oder wie zum Teufel heißt sie eigentlich? Paß auf: wenn du ankommst & du hörst daß einer 'willy' brüllt, dann bin das ich, ja? ... also komm. Ein wagen & eine party werden dich erwarten. ich werde sehr leicht zu finden sein, also sag hinterher nicht du hättest nicht gewußt daß ich da war

dein dankbarer

truman peyote«.

Nun, alles in allem haben wir es hier also mit einem dieser Texte zu tun, die man eigentlich nicht lesen kann, über die sich nur schreiben lässt. Aber nicht mal das ist passiert. Außerhalb der Dylanologie wurde kaum etwas zu diesem Buch veröffentlicht, wenn man von zeitgenössischen Kritiken absieht, und selbst dort behandelt man es auch nur am Rande.

Dass »Tarantula« gleich nach dem offiziellen Erscheinen 1971 zum Bestseller avancierte und schließlich, mit einer Million verkaufter Exemplare auf Platz 7 der Time-Charts vorrückte, lag also an der geheimnisvollen Aura, die, wenn die verspätete Publikation nicht doch vom Verlag kalkuliert war, kein Werbestratege besser hätte evozieren können. Und nicht zuletzt an der Popularität des Autors. So einem frisst man ja bekanntlich aus der Hand, auch wenn er nur Kraut und Rüben zu bieten hat.

Bob Dylan: Tarantel/Tarantula. Zweisprachig. Zweitausendeins, Frankfurt a. M. 2001. 314 S., DM 24.