Ein giftiges Gemisch

Der Nahost-Konflikt dient der deutschen Linken vor allem als Projektionsfläche für ihre internen Debatten.

Vor etwa zehn Jahren hat der so genannte Zweite Golfkrieg die politische Landschaft im Nahen Osten fundamental verändert. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion ging es in diesem Krieg darum, die Kräfteverhältnisse und Einflusszonen in der Region neu zu bestimmen. Während lokale Potentaten ihre Stunde gekommen sahen, wollten die USA den Nahen Osten unter ihrer Führung und dem Schlagwort des New Middle East neu ordnen. Diese globalen Machtverschiebungen und die sie begleitenden lokalen Vorgänge wie die Intifada brachten Israel und die PLO an den Verhandlungstisch. Dies war der Anfang des so genannten Osloer Friedensprozesses.

In der deutschen Linken bewirkten diese Entwicklungen diskursive Veränderungen, deren Tragweite nicht zu unterschätzen ist. Die Intifada und der Golfkrieg brachten den in der Linken seit über 20 Jahren latenten Antisemitismus - zumeist artikuliert als Solidarität mit dem palästinensischen Befreiungsnationalismus und als Antizionismus - zu einem neuen Höhepunkt.

Zugleich ließ diese Entwicklung aber auch eine grundsätzliche Kritik am Antizionismus laut und im linken Diskurs vernehmbar werden. Im Verlauf der Auseinandersetzungen wendeten sich zumindest Teile der ehemaligen Solidaritätsbewegung vom Antizionismus ab und begannen, nach den nationalistischen und antisemitischen Grundlagen ihrer früheren Position gegenüber Israel zu fragen. Der antizionistische Konsens der deutschen Linken war damit jedenfalls gebrochen.

Martin Kloke hat diese Entwicklung 1994 in einem Buch analysiert, das den gleichen Titel wie diese Veranstaltung trägt, und an dessen Ende eine düstere Prophezeiung gesetzt. »Sollte es nach den hoffnungsvollen israelisch-palästinensischen Dialogen doch wieder zu Rückschlägen kommen, in denen die Politik des jüdischen Staates auf weltweite Missbilligung stößt, dürften im vereinigten Deutschland - erst recht vor dem Hintergrund der erstarkenden antisemitischen Tendenzen - erklärte Feinde Israels die Gunst der Stunde nutzen, um ihr giftiges Gemisch aus antizionistischen und antisemitischen Extrakten zu verspritzen.«

Die von Kloke befürchteten Rückschläge sind mit der so genannten Al-Aqsa Intifada und dem Wahlsieg Ariel Sharons in Israel offensichtlich eingetreten. Die Palästinenser scheinen seither nicht mehr bereit zu sein, den Friedensprozess als eine Sache von Verhandlungen zu begreifen. In den besetzten Gebieten wird wieder unverhohlen zur Vernichtung des zionistischen Erbfeindes aufgerufen, und Nationalismus und Islamismus finden in der palästinensischen und in den anderen arabischen Gesellschaften immer mehr Rückhalt.

Auf den Wahlsieg Sharons reagierte beispielsweise die Fatah mit der Ankündigung, die Intifada noch weiter zu verschärfen. Sharon wiederum ist mit dem Versprechen angetreten, den Oslo-Prozess zu beenden. Mittlerweile stößt seine Politik bei über 70 Prozent der israelischen Bevölkerung auf Zustimmung. Keine der beiden Seiten scheint in absehbarer Zeit zu Verhandlungen bereit zu sein.

Diese Veranstaltung soll nun nicht dazu dienen, die politische Situation in Israel zu bewerten und Prognosen über die Zukunft des Nahost-Konfliktes aufzustellen. Vor allem soll keine Diskussion über die jüdische Identität des Staates Israel geführt werden - eine Diskussion, die in Deutschland nicht nur vollkommen unfruchtbar, sondern geradezu verheerend ist. Diese Debatte sollte den Israelis überlassen bleiben.

Stattdessen soll es um die Linke in Deutschland und den deutschen Israel-Diskurs gehen. Woran liegt es, dass das Verhältnis der deutschen Linken zu Israel so gründlich missraten ist? Wie funktioniert der linke Israel-Diskurs in Deutschland und warum funktioniert er so eben nicht? Vor welchem politischen und historischen Hintergrund ist diese Debatte zu sehen? Wie könnte demgegenüber ein angemessener Diskurs in der deutschen Linken über Israel und den Nahost-Konflikt aussehen?

Martin Klokes Vorahnung hat sich auch in weiterer Hinsicht bewahrheitet. Nach dem Beginn der zweiten Intifada hat die Offensive der deutschen Antizionisten nicht lange auf sich warten lassen. Beim Hamburger »Freien Senderkombinat« wiederholten sich im Dezember fast bis ins Detail die Vorfälle, die während des Golfkrieges bei »Radio Dreyeckland« in Freiburg geschahen, als eine Redaktionsgruppe einen bekennenden Antisemiten die Situation im Nahen Osten kommentieren ließ. In einschlägigen Organen der Linken, von ak bis zum Gegenstandpunkt, werden heute wieder antiisraelische Positionen vertreten. Von der notorisch antizionistischen Berichterstattung in der jungen Welt ganz zu schweigen.

Auf der anderen Seite hat die langjährige Auseinandersetzung der Linken um den Antizionismus Positionen hervorgebracht, die eine uneingeschränkte, in der altbekannten Solidaritätsdiktion gehaltene Unterstützung jeglicher Politik Israels propagieren. Dabei wird nicht nur in bewährter linker Manier den Israelis vorgeschrieben, wie sie sich in diesem Konflikt zu verhalten hätten, um den theoretischen Anforderungen der deutschen Linken zu genügen. Es wird ihnen auch zugemutet, diese Ansprüche auf unabsehbare Zeit mit einer nicht unerheblichen Zahl an Todesopfern zu bezahlen. Und es wird der israelischen Gesellschaft verwehrt, eine eigene Kritik am israelischen Nationalismus und damit am israelischen Staat zu formulieren. Auch hier stellt sich die Frage, inwieweit Israel als Projektionsfläche für Konflikte innerhalb der deutschen Linken herhalten muss.

Wenn man sich die Debatten anschaut, die in der deutschen Linken über Israel geführt werden, so erhebt sich der Verdacht, dass diese Linke aus ihrer eigenen Geschichte nicht sehr viel gelernt hat. Weiter muss gefragt werden, ob sie sich für die deutsche Geschichte, die Geschichte von Auschwitz, je wirklich interessiert und sie vor allem begriffen hat. Die deutsche Linke hat vor dem Antisemitismus immer versagt, ob 1933 oder 1967. Die Frage muss sein, ob sie auch angesichts ihrer eigenen Geschichte versagt hat, und ob darin die Ursache für das schwierige Verhältnis der deutschen Linken zu Israel zu suchen ist.

Diese Frage stellt sich umso dringlicher, wenn man das atemberaubende Tempo betrachtet, in dem sich der Antisemitismus in den letzten Jahren hierzulande wieder zu einer gesellschaftlich respektierten Meinung entwickeln konnte. Die Art und Weise, wie etwa die Thesen von Norman Finkelstein in Deutschland rezipiert und in antisemitische Argumentationen eingepasst wurden, führte dies erneut eindrucksvoll vor Augen.

Die Haltung der deutschen Linken gegenüber Israel muss also nicht nur vor dem Hintergrund des historischen Antisemitismus der Deutschen und der deutschen Linken gesehen werden. Sie steht vor allem im Kontext des aktuellen Antisemitismus. Damit meine ich einerseits die zunehmende Unbefangenheit, in der hierzulande über die deutsche Geschichte gesprochen wird. Und zum anderen das gesamtgesellschaftliche Projekt der Entsorgung dieser Vergangenheit.

So wäre dann vielleicht als erste Anforderung an die deutsche Linke und ihre Haltung zu Israel, dem Zionismus und dem Nahostkonflikt zu stellen: In ihrem Verhältnis gegenüber Israel drückt sich auch immer ihr Verhältnis zur deutschen Geschichte, zum Antisemitismus und zu Auschwitz aus.