»Black Box BRD«

Dream on, deutsche Idealisten

Andreas Veiels Dokumentarfilm »Black Box BRD« über Wolfgang Grams und Alfred Herrhausen restauriert zwei zum Klischee gewordene Biografien.

Sie träumten den Traum von einer besseren Welt, und sie träumen ihn noch. Das ist es, was wohlmeinende Menschen von den Angehörigen der Bewegung 2. Juni und der RAF meinen verstanden zu haben, auch weil es viele Selbstdarstellungen »Ehemaliger« nahe gelegt haben. Diese Wohlmeinenden waren immer irgendwie solidarisch, und gerne versuchen sie am Exempel einer Kämpferbiografie wenigstens diesen Traum ins 21. Jahrhundert hinüberzuretten.

Es ist der Blues, mit dem alles anfing, in seiner melancholischsten Form. So versuchte Volker Schlöndorff unlängst - entlang der Biografie von Inge Viett - der Vergangenheit noch mal etwas Groove einzuhauchen, was misslang, weil das Leben einer »Aussteigerin« in der DDR nunmal nicht groovy war. »Die Stille nach dem Schuss« individualisierte die Geschichte einer kollektiven Widerstandspraxis; die in jeder Situation auftauchenden politischen Fragen gerieten Schlöndorff zu bloßen Entscheidungsmomenten eines moralischen Subjekts.

Mit Andreas Veiels »Black Box BRD« startet in dieser Woche erstmalig ein groß angelegter Dokumentarfilm zum Thema in den Kinos. Es ist ein Film über das Leben von Wolfgang Grams, dem in Bad Kleinen erschossenen RAF-Mitglied, und Alfred Herrhausen, Vorstandssprecher der Deutschen Bank, bis er 1989 von einem Kommando der RAF in die Luft gesprengt wurde. Schon im Vorspann empfiehlt sich Veiel als Parteigänger des inszenierten Dokumentarfilms, der kein Zitat aus dem Repertoire des zeitgenössischen Actionfilms scheut, wenn die Kamera sich zu einer Musik, die man wohl bombastisch nennen muss, vom Hubschrauber aus langsam den Bankenhochhäusern Frankfurts nähert: Weltstädtischer wirkte diese Stadt nie.

Anders als Heinrich Breloer, der in »Todesspiel« Flugzeugentführungen und Geiselnahmen der RAF durch mittelmäßige Fernsehschauspieler nachstellen ließ, setzt Veiel niemals auf Inszenierungen im Sinne einer quasi-dokumentarischen Abbildung historischer Ereignisse. Schon in früheren Dokumentationen, »Winternachtstraum« (1991/92), »Balagan« (1993) und »Die Überlebenden« (1995/96), nutzte Veiel - ähnlich wie Claude Lanzmann - Inszenierungen vielmehr dazu, Unbekanntes oder verschüttete Erinnerungen zu Tage zu fördern. Nicht reglose Fotos oder andere abgefilmte Dokumente, sondern bewegte Bilder verknüpfen die Interview-Passagen von »Black Box BRD«.

Veiel hat erstaunlich viele Leute, von denen man annehmen darf, dass sie in der Öffentlichkeit eigentlich zu Auskünften über ihren Kontakt mit Grams nicht bereit sind, vor die Kamera bekommen, darunter zahlreiche Wiesbadener Antiimps. Und sogar Helmut Kohl als enger Freund Herrhausens ist - wie so ungefähr jeder, der heute in der Deutschen Bank Rang und Namen hat - neben der Witwe des Ermordeten zu einem Plausch mit dem Filmemacher bereit gewesen, der ja nicht gerade als Konservativer gilt.

Nicht im Film: Birgit Hogefeld. Sie wurde 1993, als auf einen Tip des Spitzels Klaus Steinmetz ein GSG-9-Kommando die Gesuchten auf dem Bahnhof Bad Kleinen stellte, im Gegensatz zu Grams lebend festgenommen und später zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Die Ermordung Herrhausens freilich ließ sich ihr nicht nachweisen, ebenso wenig wie eine Beteiligung von Grams an dem Attentat je geklärt werden konnte (nachträgliche Indizien via gentechnische Haaranalyse wie jüngst im Fall Rohwedder sind hier wohl nicht zu erwarten).

Hogefeld weigerte sich also aus guten Gründen, an dem Film mitzuwirken, der eine unmittelbare Beteiligung von Grams an dem Attentat auf Herrhausen zwar nicht behauptet, durch die Zusammenstellung aber nahe legt. Doch: »Man kann nicht über die RAF sprechen, ohne Raum für die Opfer zu lassen«, begründet Veiel sein Stück Rekonstruktion bundesdeutscher Geschichte entlang dieser zwei Biografien.

Es könnte auch ein Film über zwei Tode sein. Die Umstände, unter denen Wolfgang Grams ums Leben kam, bleiben jedoch, als seien sie ähnlich wenig ermittelbar wie die Täterschaft im Fall Herrhausen, seltsam unterbelichtet. Lediglich ein Interview mit dem Bruder von Grams - vor Ort in Bad Kleinen gedreht -, in dem dieser sich allerdings deutlicher Äußerungen enthält, und eine nebulöse Notiz im Abspann verweisen darauf.

Noch lange nach den Ereignissen in Bad Kleinen haben die Eltern von Grams erfolglos gegen die frühzeitige Einstellung des Ermittlungsverfahrens gekämpft, das des Mordes an Grams verdächtige GSG-9-Beamte im Visier hatte. Das Verfahren war derart schlampig geführt worden, dass in der Folge ein Innenminister und ein Generalbundesstaatsanwalt in den vorzeitigen Ruhestand versetzt werden mussten - nicht zuletzt wegen des Drucks der bürgerlichen Presse, die nichts weiter als rechtsstaatliche Standards einforderte.

Denn es gab im Gegensatz zu den Toten in Stammheim von 1976 und 1977 Zeugen vor Ort, und die widersprachen der amtlichen Version, Grams habe sich schwer verletzt auf den Gleisen liegend selbst erschossen. Doch weder dies noch die Unfähigkeit der parlamentarischen wie außerparlamentarischen Linken, die Ereignisse von Bad Kleinen zu skandalisieren, ist Gegenstand der Gespräche im Film. Und so verpasst Veiel abermals die Gelegenheit einer Auseinandersetzung darüber, wie es denn angehen kann, dass dieser Staat höchstwahrscheinlich die terroristische Exekution seiner Feinde durch GSG-9-Beamte zulässt und deckt.

Stattdessen ist »Black Box BRD« zu einem Film über zwei deutsche Idealisten geworden. Denn Veiel führt Herrhausens Bemühung um die teilweise Entschuldung der Dritten Welt, die seinerzeit auch viele Linksliberale für ihn einnahm und ihm einige Widersacher in den Führungsetagen deutscher Banken und deutscher Politik bescherte, mit den politischen Überzeugungen Grams parallel. Und dies bis in die Inszenierung hinein: Idyllische Super-8-Filme aus der Jugend der beiden - wohl von Freunden oder Familienangehörigen aufgenommen - lassen beide als unschuldige Träumer erscheinen, passender Soundtrack inklusive. Träumer gleichwohl, so stellt es Veiel dar, die für ihre Überzeugungen bis zur Selbstaufgabe zu kämpfen bereit waren.

Vom politischen Werdegang Grams' bleibt kaum mehr als ein paar Stichworte: Vietnamkrieg, die Auseinandersetzung mit der NS-Generation, Bullenrepression, Knastaufenthalt. Und wäre da nicht die Radikalisierung, die mit Besuchen bei inhaftierten RAF-Mitgliedern und der Auseinandersetzung mit deren Haftbedingungen einsetzte, die Lebensbeschreibung könnte ebensogut die eines Mitglieds der ersten Generation der RAF sein.

Doch Wolfgang Grams wurde 1953 geboren. Die Reduzierung seiner Gründe, sich Mitte der achtziger Jahre der RAF anzuschließen, auf eine längst zum Klischee gewordene Empörung beschönigt, was schon damals zum Gegenstand von Kritik taugte: Spätestens die 3. Generation der RAF hatte die Analyse der politischen Verhältnisse zugunsten eines rein technokratischen Verständnisses von Angriffen auf »Staat und Kapital« aufgegeben.

Ein Blick auf Veiels vorletzten Film macht diese Idealisierungen verständlicher. In »Die Überlebenden« hatte der 1959 Geborene versucht, seiner Generation ein Denkmal zu setzen, der letzten Generation, wie Veiel sich in einem Interview äußerte, »deren Eltern noch bewusst die Nazizeit miterlebt haben«. Drei seiner Stuttgarter Klassenkameraden hatten inzwischen Selbstmord begangen, der Film setzt in gewisser Weise - wie schon der Titel nahe legt - eine ganze Generation als letzte Opfer der NS-Täter in Szene.

Wenn Veiel nun Grams auf der Basis einer behaupteten gemeinsamen Erfahrung, die schon die der 68er war, politisch in Schutz nimmt, schreibt er zugleich alle, die bis zum Ende der fünfziger Jahre geboren sind, in diese historische Kontinuität ein. Politische Überzeugungen geraten derart zu einer Frage purer moralischer Haltung, die sich mit der jeweils aktuellen Bewegung der Dinge in der BRD nicht weiter befassen muss. Und der Traum von einer besseren Welt kann weiter geträumt werden.

»Black Box BRD«, D 2001. R: Andreas Veiel; bereits angelaufen