Passau fürchtet um seinen Ruf

Eine Stadt macht mobil

In Passau wurde mehr als drei Jahre lang gegen Antifas wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung ermittelt. Kritik wehren die Behörden und die Lokalpresse vehement ab, denn es geht um den Ruf ihrer Stadt.

Passau sorgt sich um sein Image. Nicht etwa, weil die Stadt seit Jahrzehnten schon Aufmarschfeld der Alt- und Neonazis von DVU und NPD ist. Auch nicht deshalb, weil die örtliche Polizei und die Staatsanwaltschaft wie üblich nicht die Nazis ins Visier genommen haben, sondern diejenigen, die sich ihnen in den Weg stellen. Und auch nicht, weil Journalisten ihren Job verlieren, wenn sie in der hiesigen Presse kritisch über das Verhalten der Behörden berichten.

Nein, schuld an den Sorgen ums Image ist der Spiegel. Das Nachrichtenmagazin hatte Ende April der niederbayerischen Bischofsstadt einen ausführlichen Artikel gewidmet und das Verhalten der Passauer Medien und Behörden im Umgang mit Antifaschisten heftig kritisiert. Die Überschrift des Artikels lautete: »Passau ist braun.«

Die Lokalpresse ist seither voll empörter Leserbriefe und Schlagzeilen: »Meiden Investoren und Touristen jetzt Passau?«, »Bürger empört: Passau keine rechtsextreme Stadt«. Oberbürgermeister Willi Schmöller (SPD) forderte vom Spiegel sogar eine Entschuldigung: »Hier wird eine ganze Stadt verunglimpft. Das hat mit seriösem Journalismus nichts mehr zu tun.« Und selbst Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber legte sich ins Zeug: »Ich weise die Verunglimpfung und Beleidigung einer ganzen Stadt mit Nachdruck zurück.«

Dass in Passau Antifas jahrelang systematisch verunglimpft, verfolgt, kriminalisiert und ausspioniert wurden, darüber regen sich in der Stadt hingegen nur wenige auf. Mehr als drei Jahre lang haben Staatsanwaltschaft und Polizei gegen die Antifaschistische Aktion Passau (AAP) wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung nach Paragraf 129 ermittelt. Tausende von Telefonaten wurden abgehört, unzählige Bewegungsbilder erstellt, Kneipen und Wohnungen per Video überwacht. Ende letzten Jahres wurde das Verfahren schließlich eingestellt. »Der Nachweis, die Begehung von Straftaten sei ein mehr als untergeordneter Zweck der Vereinigung gewesen, war nicht zu führen«, heißt es lapidar in einer Presseerklärung der Münchener Staatsanwaltschaft.

Die Behörden hatten wohl gehofft, über die Affäre würde schnell Gras wachsen; nicht ohne Grund wurde die Verfahrenseinstellung zwischen Weihnachten und Silvester bekannt gegeben. Doch der handfeste Polizei- und Justizskandal ist noch lange nicht erledigt. Im bayerischen Landtag und im Bundestag wurden Anfragen gestellt, die das Verhalten der Behörden aufklären sollen. Einige der Beschuldigten machen gegenüber dem Freistaat Bayern außerdem Entschädigungsansprüche geltend.

Dass sie ins Visier der Staatsanwaltschaft geraten waren, merkten die Beschuldigten von der AAP - viele von ihnen waren inzwischen in andere Städte umgezogen - am 12. Mai 1998. An diesem Tag durchsuchte die Polizei unter der Leitung des bayerischen Landeskriminalamtes in Passau und sieben weiteren Städten insgesamt 39 Wohnungen.

Während einer Durchsuchung in Berlin traten Beamte eine Tür ein und fesselten einen Beschuldigten mit Handschellen ans Bett. In Passau zwangen sie eine 16jährige, sich nackt auszuziehen. Eine andere Beschuldigte wurde als »rote Fotze« beschimpft. Unmengen an Beweismaterial wurden damals beschlagnahmt: Computer, Disketten, Handys, Broschüren, Adressbücher, Fotos, Tagebücher. Nach Angaben der AAP belief sich der Wert der beschlagnahmten Gegenstände auf 60 000 Mark.

Die Grundlage der Ermittlungen bildete der Kollektivhaftungsparagraf 129: »Kriminelle Vereinigung«. Innerhalb der AAP gebe es eine Organisation, die es sich zum Ziel gemacht habe, Straftaten zu begehen, lautete der Vorwurf der Staatsanwaltschaft. Für insgesamt 33 Straftaten sei diese kriminelle Vereinigung verantwortlich.

Nach über dreijährigen Ermittlungen blieben schließlich sieben Straftaten übrig, die mutmaßlichen Mitgliedern der AAP zugeordnet wurden. Dabei handelte es sich beispielsweise um eine nicht genehmigte Spontandemo für Kurdistan, um einen Angriff auf einen NPD-Infostand oder um die Störung einer Veranstaltung des Bundes der Vertriebenen im Passauer Rathaussaal durch Zwischenrufe und Applaus. Die meisten Verfahren wurden eingestellt, nur in zwei Fällen gab es eine Verurteilung zu einer geringen Geldstrafe bzw. zu einer Jugendstrafe, die zur Bewährung ausgesetzt wurde.

Was auf den ersten Blick wie eine Blamage für Polizei und Justiz aussieht, hat sich am Ende doch gelohnt. Wie schon bei den Ermittlungen gegen die Göttinger Antifa konnten die Behörden auch in Passau dank der erweiterten Sonderermittlungsbefugnisse, die bei Verfahren nach dem Paragrafen 129 erteilt werden, die antifaschistische und linke Szene ausspionieren.

Mit richterlicher Genehmigung wurde observiert und abgehört, Zeugen wurden unter Androhung von Beugegeld bzw. -haft vernommen, es gab Anwerbeversuche des Verfassungsschutzes. Die Ermittlungsakten enthalten ausführliche Aufstellungen über Bewohner von Szene-WGs, die teilweise bis ins Jahr 1979 zurückreichen. Neben den Beschuldigten tauchen in den Akten zudem rund 300 Unbeteiligte auf.

Der Passauer Juraprofessor Ulrich Manthe, dessen minderjährige Tochter ebenfalls ins Visier der Ermittler geriet, findet deutliche Worte für das Verhalten der Münchner Staatsanwaltschaft: »Das waren Geheimverhandlungen und Geheimermittlungen, wie ich sie mir in einem Rechtsstaat nicht hätte vorstellen können.« Da die Staatsanwaltschaft an Weisungen gebunden ist, sei der Anstoß zu den Ermittlungen vermutlich direkt aus dem bayerischen Kabinett gekommen.

Ähnlich sehen das auch die Beschuldigten: »Es war eine politische Entscheidung, die Verfahren einzuleiten und durchzuführen. Das politische Interesse liegt auf Landesebene und zeigt sich in der bekannten Law-and-Order-Politik der bayerischen Staatspartei CSU.«

Doch für die meisten Passauer und die Monopolzeitung Passauer Neue Presse (PNP) ist nicht das der Skandal, sondern, dass darüber berichtet wird. Als die zum PNP -Verlag gehörende Wochenzeitung Am Sonntag die Affäre im März aufgriff, wurde ihr Chefredakteur Hubert Denk sofort beurlaubt und anschließend fristlos entlassen.