Woody Guthries Autobiografie

The Great Hobo

Woody Guthries Autobiografie ist das Gegenstück zum großen amerikanischen Roman.

Im Smithsonian Institute und in der Library of Congress in Washington, D.C. wird die Geschichte Amerikas penibel archiviert und für die Ewigkeit erhalten. Und Amerika ist stolz auf seinen Gründermythos, mit allen Unpässlich- und Notwendigkeiten, die zur Erschließung des Landes gehörten und dessen Unabhängigkeit begründeten. Viele der im »historischen« Kanon kolportierten Geschichten sind Volksmärchen über einfache Menschen, die in der Not über sich hinauswuchsen und für ihre Vision ihr Leben opferten. Auch das ein Gründermythos. In der umfassenden Anthologie »American Heritage« sind sie schließlich zu Helden geworden, Proto-Amerikaner, auf die jeder anständige, hart arbeitende US-Bürger auch heute noch Bezug nehmen kann.

Andere Texte des »American Heritage« sind Originalschriften aus der Frühphase der amerikanischen Besiedlung: Texte über die Lebensbedingungen der Städter, der Westerners, der Mountain People und über die verschiedenen Kulturen und Traditionen, auf denen das amerikanische Selbstverständnis des »Land of the Free« beruht. Eine »weiße« Geschichte.

Aber es gibt auch eine Parallelhistorie, die wie ein Subtext auch im »American Heritage« angelegt ist und erst im späten 19. Jahrhundert, u.a. mit der Sklavenbefreiung, zu Tage trat. Diese Geschiche ist nicht weniger mythenumwoben, vor allem deswegen nicht, weil sie über Generationen nur mündlich überliefert wurde. Die Helden der oral history sind keine amerikanischen Helden im üblichen Sinne, es sind Schwarze, Outlaws, Tramps und Sozialisten, die nicht in das Bild des American Dream passten und so zu Identifikationsfiguren für die verarmte Landbevölkerung wurden. Da ein Großteil dieser Bevölkerungsschicht des Schreibens nicht mächtig war, sollte die Musik zu ihrem Kommunikationsmedium werden: Musik als eine Form der Geschichtsschreibung. Weil die Themen dieser Songs so tief im Leben der einfachen Bevölkerung verankert waren, wurde hierfür später der Begriff »Social Music« geprägt.

Der amerikanische Musiksoziologe Alan Lomax begann in den dreißiger Jahren, mit seinem Tape Recorder ausgerüstet, das Leben dieser von der Gesellschaft Marginalisierten ausführlich zu dokumentieren. Er interviewte - zumeist schwarze - Kettensträflinge und nahm ihre Feldarbeitsgesänge auf, hörte sich die Geschichten der Hillbillies und politischen Folksänger an und entdeckte bei den schwarzen Straßenmusikern die Frühformen des Rap. Es war nur eine Frage der Zeit, dass er Woody Guthrie traf. Sie nahmen allerdings erstmals 1940 gemeinsam Stücke auf. Im selben Jahr veröffentlichte Victor Guthries Debütalbum »Dust Bowl Ballads«, das seinen Ruf als legitimer Repräsentant des »Amerika von unten« begründete. Guthrie wurde der erste politische Popstar.

Im Vorwort der deutschen Ausgabe von Guthries Autobiografie »Dies Land ist mein Land« (im Original »Bound for Glory«), die nach Jahrzehnten jetzt endlich wieder erhältlich ist, erzählt der englische Agitprop-Folksänger Billy Bragg, welchen Einfluss Bob Dylan auf ihn hatte und wie viel das alles eigentlich mit Woody Guthrie zu tun gehabt hat. Ohne Guthrie kein Dylan, keine amerikanische Protestkultur und, wahrscheinlich, eine andere Bürgerrechtsbewegung. Guthrie war so etwas wie der amerikanische Brecht.

Nicht einfach nur ein Politbarde, der mit seiner Gitarre noch per Anhalter durch das Land zog, als ihm die großen Radiostationen und Labels schon das Geld hinterherschmissen, sondern ein Poet mit Sozialgewissen. Ein sehr genauer Beobachter der gesellschaftlichen Zustände und ein eloquenter Pragmatiker. »Er (Jesus; A.B.) wird dir antworten, dass wir alle ganz schrecklich gemeinsam arbeiten müssen, gemeinsam Sachen aufbauen, gemeinsam neue Gebäude errichten (...) und alles gemeinsam besitzen. Klar, das werden sie einen schlimmen Ismus nennen. Jesus wäre es egal, ob du es Sozialismus oder Kommunismus nennst, oder einfach 'Ich und Du'.«

»Dies Land ist mein Land« ist nicht einfach nur eine Woody-Guthrie-Biografie, es ist die Biografie Amerikas der zwanziger bis dreißiger Jahre, das proletarische Gegenstück zum großen amerikanischen Roman wie F. Scott Fitzgeralds »Der große Gatsby«. In der ersten Hälfte des Buches beschreibt Guthrie die Kindheit in dem kleinen Kaff Okemah, Oklahoma, wo er 1912 geboren wurde. Hier erlebt er die Folgen des Strukturwandes nach den ersten Ölfunden, den Aufstieg und den Fall der amerikanischen Wirtschaft nach dem Ersten Weltkrieg anhand des Schicksals seiner Familie bis zur großen Depression Ende der Zwanziger.

Später reist er als Hobo auf Eisenbahnwaggons durch das Land, immer auf der Suche nach dem wahren Amerika und einem kleinen Tagelohn. Es ist das Bild, das man auch heute noch von Guthrie hat - nicht ohne einen Hauch von billiger Sozialromantik. Tatsächlich fand er in den Waggons der amerikanischen Eisenbahn - dem amerikanischen Urmythos -, so etwas wie das »wahre Amerika«, und bezeichnenderweise war es illegal. Guthrie erzählt in »Dies Land ist mein Land« vom ständigen Kampf gegen die »Polypen«, die die Hobos, die Opfer der Wirtschaftskrise, von den Waggons vertrieben und nicht selten töteten, von den Konflikten innerhalb der großen gesellschaftlichen Randgruppe - meist Schwarze gegen Weiße - und betont immer wieder, dass nur ein ehernes Solidaritätsbündnis der Marginalisierten ihre gesellschaftliche Position stärken kann. Das ist es auch, was Bragg meint, wenn er Guthries Werk immer noch eine Aktualität zuschreibt.

Wie der Geist von Tom Joad, der Romanfigur aus John Steinbecks »Früchte des Zorns«, die neben dem schwarzen Bahnarbeiter John Henry und dem Mörder Stackalee eine der mythischen Gestalten dieser Sub-Folklore ist, zog Guthrie durchs Land und stand Hilfebedürftigen zur Seite. Mit den Musikern Pete Seeger, Cisco Houston und Lee Hays tourte er bis in die vierziger Jahre durch die Lager der Wanderarbeiter, unterstützte mit seiner Folk-Supergroup The Almanac Singers die amerikanische Arbeiterbewegung und spielte auf Gewerkschaftstreffen.

Ein anderes wichtiges Forum waren seine politischen Kolumnen im Daily Worker. Auf seiner Gitarre stand zu dieser Zeit in Großbuchstaben: »This Machine Kills Fascists.«

Um sein Land gegen die Nazis zu verteidigen, meldete er sich schließlich sogar bei der Armee, wurde aber aus gesundheitlichen Gründen nur zur Handelsmarine zugelassen. Später landete er dafür fast vor McCarthys Ausschuss zur Bekämpfung unamerikanischer Aktivitäten, aber er war bereits zu schwach. Die Nervenkrankheit Huntington's Disease hatte ihm zu stark zugesetzt, er konnte kaum noch sprechen. 1967 starb Guthrie schließlich nach langem Leiden. Er hinterließ ein Archiv mit 1 000 Texten, die immer noch auf eine Vertonung warten.

Woody Guthrie: Dies Land ist mein Land. Mit Bonus-CD »Billy Bragg sings Woody Guthrie«. Nautilus, Hamburg 2001, 448 S.,DM 49,80